Angesichts des russischen Vormarschs:Kaum Hoffnung auf ein Ende des Krieges

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Anastasiia Mazur mit ihrer Tochter Polina. Das Mädchen ist nach der Flucht der Ukrainerin in Freising zur Welt gekommen. (Foto: Marco Einfeldt)

Vor fast zwei Jahren musste die damals schwangere Anastasiia Mazur aus der Ukraine flüchten und ihren Mann zurücklassen. Ihre Tochter Polina kam in Freising zur Welt, ihren Vater kennt das Mädchen nur über das Handy.

Von Anna-Lena Schachtner, Freising

Vor fast zwei Jahren floh Anastasiia Mazur aus Charkiw im Osten der Ukraine nach Deutschland. Ihre Tochter Polina brachte sie in Freising zur Welt, während ihr Mann zurückbleiben musste. Seitdem teilt sich die 34-Jährige mit ihren Eltern und einer weiteren Familie eine Wohnung in Attaching. Bereits im November 2022 hat die SZ mit Anastasiia Mazur gesprochen. Nun erzählt sie, welche Hoffnungen sie für die Zukunft hat und wie sie auf die Lage in der Ukraine blickt. Ihre Freundin Eva Faraghi, Ehrenamtliche des Helferkreis Freising, übersetzt aus dem Russischen.

SZ: Was hat sich für Sie seit dem November 2022 verändert?

Anastasiia Mazur: Polina ist jetzt viel größer und mir ist klar geworden, dass ich das Leben so nehmen muss, wie es kommt. Der Krieg wird wahrscheinlich noch sehr lange dauern.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft? Hoffen Sie, irgendwann wieder in die Ukraine zurückzukehren?

Je länger ich hier bin, umso mehr denke ich, dass ich mein Leben wahrscheinlich hier aufbauen werde. Denn in der Ukraine weiß man nie, was morgen kommt, da gibt es einfach keine Stabilität. Aber wenn der Krieg zu Ende wäre - das wäre zwar ein Wunder - würde ich sehr gerne wieder zurück nach Hause gehen.

Haben Sie schon konkrete Vorstellungen, wie Sie Ihre Zukunft in Deutschland aufbauen könnten?

Noch weiß ich es nicht. Ich denke, dass ich die Arbeit, die ich in der Ukraine hatte, nicht weitermachen kann, weil es schwierig werden wird, bald auf so einem guten Niveau Deutsch zu sprechen.

Wie verbringen Sie Ihren Alltag? Ist es schwierig, sich mit so vielen Menschen eine Wohnung zu teilen?

Es ist natürlich nicht leicht, in einem Gemeinschaftshaus zu leben, weil man sich immer mit anderen absprechen muss. Aber im Grunde haben wir es sehr gut, das Haus ist schön und eigentlich habe ich sehr großes Glück gehabt, dass ich hier sein darf. Mein Alltag ist so, wie bei allen jungen Müttern: Ich wache morgens auf, Polina isst was, wir gehen spazieren, dann schläft sie wieder. Ihr geht es gut, sie ist ein sehr glückliches Kind. Nebenan ist ein großer Spielplatz und drumherum viel Natur. Das Einzige ist, dass sie ihren Papa nicht bei sich hat.

Hat Polina ihren Vater überhaupt schon mal gesehen?

Nein, nur durch WhatsApp.

Wie geht es deinem Mann in der Ukraine? Kämpft er im Krieg?

Er ist nicht in der Armee, sondern arbeitet. Es ist natürlich für die Psyche sehr schwer, weil er nie weiß, was morgen kommt. Denn jeder Mann in der Ukraine könnte sofort Soldat werden und jetzt weiß ja jeder, wie grausam der Krieg ist. Natürlich mache ich mir große Sorgen. Ich weiß nicht, wie das Frauen ausstehen, deren Männer in der Armee kämpfen.

Wie bewerten Sie die Hilfen für ukrainische Geflüchtete in Deutschland? Fühlen Sie sich ausreichend unterstützt?

Ich habe sehr viel bekommen. Vor allem im ersten Jahr haben die Ehrenamtlichen sehr, sehr viel geholfen. Ich bin auch noch mit ihnen in Kontakt und sie helfen mir manchmal immer noch. Mir wurde noch nie Hilfe abgelehnt, als ich danach gefragt habe. Irgendjemand hat mir immer geholfen. Ich habe großes Glück gehabt.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in der Ukraine ein? Glauben Sie an den Sieg?

Ich bin eine Realistin. Die Ukraine hat bereits so viele einfache Menschen und Soldaten verloren. Selbst wenn wir jetzt gewinnen, wäre das nach solchen Verlusten keine Freude. Ich denke, es wird für die Ukraine schwierig sein, einen solchen Feind ohne Unterstützung zu besiegen. Natürlich würde ich gerne nach Hause gehen, die Ukraine ist mein Zuhause. Vor dem Krieg ging es uns sehr gut, wir hatten dort alles, was wir wollten. Sicher gab es immer kleine Sorgen, aber im Großen und Ganzen war es ein schönes Leben. Aber ich sehe das auch realistisch: Ich denke, es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Krieg bald beendet sein wird. Und es ist meine Verantwortung als Mutter, meinem Kind ein sicheres Leben zu ermöglichen.

Machen Sie sich Sorgen, dass der Krieg in Deutschland immer mehr in Vergessenheit gerät?

Natürlich. Es ist leicht, den Krieg zu vergessen, wenn man in Deutschland ist, ohne zu wissen, was wirklich vor sich geht. Aber die Ukrainer erinnern sich und wollen, dass auch Deutschland sich daran erinnert. Jetzt vor dem zweiten Jahrestag des Krieges bin ich sehr nervös und unruhig, weil ich immer darüber lese, wie Russland weiter und weiter an der Front vorrückt. Vor zwei Tagen wurde der Film "20 Tage in Mariupol" im Fernsehen gezeigt. Ich habe ihn nicht geschaut, das tut mir zu sehr weh. Aber die Leute, die ihn gesehen haben, sagen: Die ganze Welt sollte sehen, was die Russen in der Ukraine angestellt haben.

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