Attacke mit der Glasflasche:Eine "abstrakte Lebensgefahr" in Kauf genommen.

Lesezeit: 2 min

Der Prozess fand vor dem Landgericht Landshut statt. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Das Landgericht Landshut verurteilt einen 49-Jährigen nach zäher Beweisaufnahme wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Haft. Die Richter folgen der Empfehlung des Sachverständigen und ordnen einen Aufenthalt in einer geschlossenen Entzugsanstalt an.

Von Vivien Götz, Erding

Der Alkohol "scheint bei Ihnen das Grundübel zu sein", sagte Richter Ralph Reiter nach der Urteilsverkündung zu dem 49-jährigen Angeklagten, den er gerade wegen schwerer Körperverletzung zu drei Jahren Haft verurteilt hatte. Der Arbeiter aus Erding hatte sich seit Mitte März vor dem Landgericht Landshut verantworten müssen, weil er im vergangenen Sommer betrunken und im Streit einen Nachbarn mit einer abgebrochenen Glasflasche am Hals verletzt hatte.

Dem Urteil am Dienstag ging eine zähe Beweisaufnahme an der als Schwurgericht tagenden ersten Strafkammer des Landgerichts voraus. Über drei Verhandlungstage stand die Frage im Zentrum, wie genau und in welcher Absicht der Angeklagte dem 34-jährigen Geschädigten Schnittverletzungen im Hals- und Gesichtsbereich zugefügt hatte.

Zeugen machen widersprüchliche Aussagen

Die geladenen Zeugen, einschließlich des Geschädigten, machten in der Verhandlung teilweise ganz andere Aussagen als bei ihrer Polizeivernehmung im Sommer 2023. Eine Zeugin wollte sich erst an den Tathergang erinnern, als die Richter sie mit Nachdruck erinnerten, sie müsse vor Gericht die Wahrheit sagen.

Das Gericht sah es trotzdem als erwiesen an, dass der Angeklagte am 15. Juli 2023 mit dem Geschädigten über eine kritische Bemerkung zu dessen Lebenssituation in Streit geriet. Als der 34-Jährige die Entschuldigung des Angeklagten nicht annehmen wollte, eskalierte die Auseinandersetzung. Der 49-Jährige zerschlug eine leere Glasflasche, aus Notwehr gegen den aggressiv auftretenden Kontrahenten, wie er aussagte und "fuchtelte" damit vor dem Gesicht des Geschädigten herum.

Kein Anlass für Notwehr

Das Gericht folgte der Argumentation, dass "Gefuchtel" sei Notwehr gewesen, nicht. Der Geschädigte sei dem Angeklagten gegenüber zwar körperlich überlegen gewesen und habe sich aggressiv geäußert. Er habe aber keine Anstalten gemacht, den Angeklagten anzugreifen. Vielmehr habe der Angeklagte durch das Zerschlagen der Glasflasche und die Bewegungen in Richtung des Halsbereichs des Geschädigten eine "abstrakte Lebensgefahr" in Kauf genommen.

Allerdings glaubten die Richter dem Angeklagten, er habe nicht mit Tötungsabsicht gehandelt und rechneten ihm den Versuch, den Streit zunächst zu deeskalieren, positiv an. Ein Sachverständigengutachten bestätigte dem 49-Jährigen außerdem eine "gewichtige Alkoholisierung" zum Tatzeitpunkt und eine schwere, bereits Jahrzehnte währende Alkoholabhängigkeit, aus der er sich trotz mehrerer Versuche nicht mit eigener Kraft befreien konnte. Die Richter folgten deshalb der Empfehlung des Sachverständigen und ordneten statt einer regulären Haftstrafe einen Aufenthalt in einer geschlossenen Entzugsanstalt an. Der Sachverständige hatte zuvor deutlich gemacht, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte wieder straffällig werde, solange er seine Sucht nicht in den Griff bekomme.

Angeklagter bedankt sich bei den Richtern

Vor der Verurteilung in Deutschland war der 49-jährige Mann schon mehrmals in anderen Ländern mit dem Gesetz in Konflikt geraten, auch wegen übermäßigen Alkoholkonsums. Er wurde bereits wegen mehrerer Diebstähle und kleinerer Gewaltdelikte mehrfach verurteilt. Mögliche Gründe für diese Biografie und die Alkoholsucht sah der Sachverständige in der Kindheit des Angeklagten. Er sei mit einem gewalttätigen Vater aufgewachsen und habe sich früh in die Rolle des "schwarzen Schafes" gedrängt gefühlt.

Als der Richter dem Angeklagten vor der Urteilsverkündung das letzte Wort erteilte, zeigte sich, wie ungewöhnlich die sachliche Behandlung vor dem Landgericht dem 49-Jährigen erschienen war: "Sie sind alle sehr professionell", sagte der Mann zu den verdutzen Vorsitzenden. "Ich habe noch nie so eine Gerichtsverhandlung erlebt. Ich habe noch nie erlebt, dass Leute so ehrlich sind, sogar die Staatsanwältin." Er wolle sich für die Arbeit des Gerichts bedanken, vor allem auch für die Arbeit der Sachverständigen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Prozess am Landgericht
:Blutige Auseinandersetzung

Bei einem Streit in einer Erdinger Arbeiterunterkunft verletzt ein 49-jähriger Bewohner seinen Widersacher mit einem abgebrochenen Flaschenhals im Gesicht. Nun muss er sich wegen versuchten Totschlags verantworten.

Von Alexander Kappen

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: