Prozess am Landgericht:Blutige Auseinandersetzung

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Ein 49-jähriger Arbeiter aus Erding griff im Juni 2023 gleich in doppelter Hinsicht zur Flasche: Zunächst trank er reichlich Alkohol, dann soll er mit einem abgebrochenen Flaschenhals bei einem Streit einen Bekannten verletzt haben. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Bei einem Streit in einer Erdinger Arbeiterunterkunft verletzt ein 49-jähriger Bewohner seinen Widersacher mit einem abgebrochenen Flaschenhals im Gesicht. Nun muss er sich wegen versuchten Totschlags verantworten.

Von Alexander Kappen, Landshut/Erding

Viel Alkohol, Verschwörungstheorien und gute Ohren - das ist das Gemisch, das einen heute 49-jährigen Arbeiter aus Erding auf die Anklagebank gebracht hat und seinen Nachbarn im vergangenen Sommer das Leben hätte kosten können. Bei einem Streit in einer Erdinger Arbeiterunterkunft soll der 49-Jährige mit einem abgebrochenen Flaschenhals nach seinem Widersacher geschlagen und diesem Schnittwunden im Gesicht zugefügt haben. Glücklicherweise "nur" im Gesicht, muss man sagen. Denn der Schnitt mit einem zackigen Flaschenhals hätte laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bei einem möglichen Treffer an "der lebensnotwendigen Halsschlagader sogar zum Tod des Geschädigten führen können".

Deshalb muss sich der Mann seit Dienstag vor der als Schwurgericht tagenden ersten Strafkammer des Landshuter Landgerichts unter Vorsitz von Richter Ralph Reiter wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung verantworten. Der 49-Jährige räumte zum Prozessauftakt ein, dass es am 15. Juni 2023 zu besagter Auseinandersetzung gekommen ist und er dabei auch eine Flasche zerschlagen hat, um mit deren abgebrochenem Hals seinen Kontrahenten zu bedrohen. Allerdings nur, um sich zu verteidigen, denn der Geschädigte habe ihn schlagen wollen, so der Angeklagte. Wie es zu den Schnittverletzungen gekommen ist, könne er nicht sagen.

Bereits am ersten Verhandlungstag deutete sich an, dass sich die Beweisaufnahme als langwierig erweisen könnte. In ausschweifenden Erzählungen schilderte der Angeklagte, wie es zu dem Streit gekommen war und was die Hintergründe für sein Verhalten waren. Der 49-Jährige ist laut Vorsitzendem Richter in seiner rumänischen Heimat mehrfach vorbestraft und auch bei einem Aufenthalt in Spanien wegen häuslicher Gewalt und Diebstahls strafrechtlich in Erscheinung getreten. Am vermeintlichen Tatabend traf er sich mit zwei Landsleuten und seiner Freundin zum Grillen und Trinken auf der Terrasse der Arbeiterunterkunft.

Der Geschädigte, der ebenfalls in dem Haus wohnt, und dessen Schwiegervater seien uneingeladen dazu gekommen, berichtete der Angeklagte. Aber das habe "überhaupt nicht gestört, wir haben zusammen getrunken und gelacht", ließ er über seine Dolmetscherin mitteilen. Und dann sei halt passiert, was bei solchen Treffen eben überall mal passiere: Der Geschädigte und sein Schwiegervater hätten sich verabschiedet und seien gegangen. Und er habe mit den Verbliebenen über die anderen geredet: "Ich habe gesagt, dass mir seine Schuhe und seine Jacke nicht gefallen haben und dass ich nicht mit meinem Schwiegervater in einem Haus wohnen wollen würde." Dummerweise hörte der Geschädigte das noch, kehrte zurück und stellte den 49-Jährigen zur Rede, wie dieser es in der Verhandlung darstellte.

Der Angeklagte behauptete, der aggressive Nachbar, der viel größer sei als er und mehr als 100 Kilogramm wiege, habe ihn schlagen wollen. Er habe den abgebrochenen Flaschenhals deshalb in Richtung des Gesichts des Geschädigten gehalten. Der wiederum habe sich ständig bewegt, um daran vorbeizukommen. Und plötzlich habe einer der anderen Anwesenden dem Geschädigten zugerufen: "Du blutest im Gesicht." Der Angeklagte ließ den Flaschenhals fallen und ging in sein Zimmer, nachdem er zuvor noch ein Messer aus der Küche geholt hatte. Weil er Angst hatte, dass sein Widersacher wütend ist und ihn verfolgt. So sagte es jedenfalls der 49-Jährige.

Der Geschädigte erscheint trotz Ladung nicht als Zeuge zur Verhandlung

Dessen Freundin, zu der er ein sehr zwiespältiges Verhältnis hatte und mit der er eigenen Angaben zufolge "an einem Tag zusammen war, am anderen wieder nicht", sagte laut Anklageschrift jedoch aus, der Angeklagte habe gerufen: "Ich stech' ihn ab." Der Richter berichtete auch von Zeugen bei der Polizeivernehmung, die behaupteten, der Angeklagte habe bei der Auseinandersetzung auf der Terrasse unvermittelt und gezielt mit dem Flaschenhals Richtung Hals des Widersachers gestoßen.

Der Angeklagte wiederum, der zugibt, ein Alkoholproblem zu haben, hält alles für ein abgekartetes Spiel, um ihn loszuwerden. Der Geschädigte sei "Teil einer organisierten Gruppierung", die Waren bei einem großen Online-Versandhändler stehle. Er und ein weiterer Landsmann, der auch an dem Grillabend dabei war, hätten die Gegenstände dort als Mitarbeiter des Unternehmens geklaut und seiner Freundin gegeben, die sie verpackt und nach Rumänien geschickt habe. Er habe der Bande einmal gedroht, sie auffliegen zu lassen. "Sie wollten mich loswerden, weil ich eine Gefahr für sie bin", behauptete der Angeklagte.

Seinen Angaben nach hat seine Freundin mehrmals versucht, ihn bei seinem Chef zu diskreditieren, damit er seinen Job verliert und aus dem Arbeiterwohnheim fliegt. Am Abend des 15. Juni, das räumte der 49-Jährige auf Nachfrage des Richters ein, sei diese Angelegenheit aber überhaupt nicht zur Sprache gekommen. Auf die Version des Geschädigten mussten die Prozessbeteiligten am Dienstag verzichten. Obwohl dieser als Zeuge geladen war, erschien er nicht im Gerichtssaal. Der Prozess wird fortgesetzt.

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