50 Jahre Jugendzentrum Dorfen:Dem Pfarrer und der NPD getrotzt

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Eine Sonnenuhr mit Tierkreiszeichen ziert die Südseite des Jugendzentrums Dorfen. (Foto: Renate Schmidt)

 Das selbstverwaltete "Jugge" ist heute eine Institution. 1974 musste das Jugendzentrum noch gegen den Widerstand der konservativen Bürgerschaft hart erkämpft und später gegen Rechtsextremisten verteidigt werden.

Von Thomas Daller, Dorfen

In den 1970er-Jahren hatte der Protest der Studentenbewegung und das damit aufgekommene neue Lebensgefühl auch im ländlichen Oberbayern viele junge Leute erfasst. In Dorfen mündete das in die Gründung eines selbstverwalteten Jugendzentrums, das am 27. April 1974 eröffnet wurde und in dieser Form bis heute existiert. Derzeit laufen die Vorbereitungen für ein Festwochenende, bei dem das Jubiläum Anfang Juli nachgefeiert werden soll.

Die ersten Sticker für das Jubiläumsfest kleben bereits in Dorfen, auch auf der Internetseite des Jugendzentrums wird die Feier schon beworben. Etliche Bands, die bereits in den vergangenen Jahren im Jugendzentrum aufgetreten sind, haben ihr Kommen zugesagt, eine Ausstellung ist geplant und eine Gruppe von Mitgliedern sichtet schon seit Längerem historisches Pressematerial aus den vergangenen Jahrzehnten, um eine Dokumentation zusammenzustellen.

Dorfen war in den 1970er-Jahren eine konservative Kleinstadt, die mit dem Slogan "Unser geliebtes Nest" für sich warb und den man sich als Aufkleber hinten aufs Auto pappen konnte. Der Klerus in Person des damaligen Stadtpfarrers Hermann Eigner hatte großen Einfluss und die Jugend in und um Dorfen war traditionsgemäß nur in kirchlichen Gruppen wie der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB) organisiert. Verschiedene Jugendliche propagierten aber die Emanzipation der Jugendarbeit von der religiösen Bindung zu einer weltanschaulich neutralen Organisationsform.

Der Stadtpfarrer sah "marxistische Tendenzen"

So bildete sich Anfang 1973 der Verein "Freizeitzentrum". Mit 700 Unterschriften hatte sich die Jugend damals an die Stadt gewandt, die den Antrag schleppend behandelte. Auch Stadtpfarrer Eigner war strikt dagegen: Er sah bei den Jugendlichen "marxistische Tendenzen" am Werk. Um sie auszuhebeln, präsentierte er bei einer CSU-Versammlung überraschend sein eigenes Konzept für ein kirchliches Freizeitzentrum in der alten Schule.

Eine undatierte Aufnahme aus dem Archiv des Jugendzentrums, die vermutlich Anfang der 1980er-Jahre entstanden ist. In der Mitte sind Armin Olbrich und Berthold Gams zu erkennen. (Foto: Repro: Renate Schmidt)

Schließlich lenkte die Stadt jedoch ein. Die Jugendlichen bekamen erst vier Räume der alten Mädchenrealschule zugewiesen und schließlich das alte Hitlerjugend-Heim an der Jahnstraße 14, das als Provisorium vorbehaltlich einer besseren Lösung dienen sollte. Nach vielen freiwilligen Arbeitsstunden war es bezugsfertig. Am 27. April 1974 wurde das Jugendzentrum offiziell eröffnet.

Obwohl sich viele weiterhin gegen die "Langhaarigen" im JZ ereiferten, funktionierte die Selbstverwaltung erstaunlich gut: Es wurden Bandauftritte organisiert, im Filmraum zeigte man künstlerisch wertvolle Filme, Dia-Abende und Ausstellungen rundeten das Programm ab. Aber der Stadtpfarrer hatte seine letzte Karte noch nicht ausgespielt.

Die Verhandlungen zwischen der Kirche und dem TSV Anfang der 1980er-Jahre über einen Grundstückstausch für den Bau eines neuen Vereinsheims und zweier Sportplätze zogen sich auffällig lange hin. Eigner hatte an den Tausch Bedingungen geknüpft. Deren Inhalt wurde streng geheim gehalten. Man munkelte von "Erpressungsversuchen" des Pfarrers gegen die Stadt. Die damalige Vorstandschaft des Jugendzentrums ahnte Schlimmes: In einem Leserbrief an die SZ erinnerten sie an frühere Äußerungen Eigners, dass er nur auf einen Sportplatztausch einginge, wenn das Jugendzentrum an der Jahnstraße geschlossen werde. Der Brief zeigte Wirkung. Der Tausch kam zustande, das Jugendzentrum blieb trotzdem.

Ins Büro des Sozialpädagogen stellte man eine Kloschüssel

Nach einem Punkfest 1984 mit erheblichem Sachschaden drängte die Stadt darauf, ab 1985 im Jugendzentrum einen Sozialpädagogen einzusetzen. Dem Mann gelang es jedoch nicht, die Sympathien der Jugendlichen zu gewinnen und auch die Einmischung in die Selbstverwaltung kam nicht gut an. Schon nach kurzer Zeit bekam er den Spitznamen "der Scherge". Bei einem Fest im Sommer 1985, bei dem der Sozialpädagoge nicht anwesend war, wurde am Lagerfeuer spontan beschlossen und umgesetzt, seine Büromöbel einzuheizen. In das leere Büro stellte man noch in der gleichen Nacht eine Kloschüssel aus dem Ersatzteillager. Er kündigte und das Thema Sozialpädagoge war vom Tisch.

Das linke Jugendzentrum wurde in den sogenannten Nullerjahren dann zum Ziel von gewaltbereiten Rechtsextremisten. In der Nacht von 14. auf 15. April 2000 versuchten acht Jugendliche und Heranwachsende, die einen Benzinkanister dabeihatten, das Jugendzentrum in Brand zu stecken. Sie scheiterten an Jugendzentrumsbesuchern, die sich dort aufhielten und das Vorhaben unterbanden. Die Gruppe verübte daraufhin in derselben Nacht einen Brandanschlag auf das von vier türkischen Familien und mehreren deutschen Sozialhilfeempfängern bewohnte Gemeindehaus. Die 19 schlafenden Bewohner konnten sich nur retten, weil ein Hund Alarm bellte.

Die NPD organisierte 2004 Demonstrationen für die Schließung des Jugendzentrums, doch die Gegendemonstranten der Bürgerschaft, wie hier im Bild, waren zahlreicher und behielten die Oberhand. (Foto: Mooser)

Ab 2004 nahm die NPD das Jugendzentrum ins Visier. Sie zog damals mit Infoständen unbehelligt durch benachbarte Städte, doch in Dorfen gab's Rabatz: Mitglieder des Jugendzentrums forderten sie auf, den Stand abzubauen und warfen den Tisch mit Infomaterial um. Daraufhin organisierte die NPD an vielen Samstagen Demonstrationen mit der Forderung, das Jugendzentrum zu schließen. Doch die Dorfener Bürgerschaft ließ sich nicht erpressen. Sie organisierte so lange Gegendemonstrationen, bis die Rechtsextremisten aufgaben.

Anschließend kehrte mit Konzerten, Mottopartys und Open Airs wieder Alltag im JZ ein, bis Corona eine zeitweilige Schließung erforderte. Danach fing man etwas schleppend wieder an. Bei den geplanten Feiern am ersten Juliwochenende wird man sicher auch noch mittlerweile ergraute Damen und Herren treffen, die das Jugendzentrum mit begründet und in den frühen Jahren begleitet haben.

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