Staats- und Kommunalpolitik:Erdinger Gendersternchen

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In diesem Ausschnitt aus der Geschäftsordnung des Erdinger Kreistags findet sich das von der Staatsregierung verbotene Sternchen in geballter Form. (Foto: Florian Tempel/OH)

Es war der einzig erfolgreiche Antrag der Grünen bislang: Die Geschäftsordnung des Kreistags ist seit dreieinhalb Jahren gendergerecht verfasst. Die AfD fordert die Änderung. Das "Verbot der Gendersprache" der Staatsregierung greift in diesem Fall aber nicht.

Von Florian Tempel, Erding

Wie konnte das nur passieren? Martin Bayerstorfer (CSU) hat in den bald 22 Jahren, in denen er als Landrat die Geschicke des Landkreises Erding lenkt, so gut wie jeden Antrag der Grünen im Kreistag zu verhindern gewusst. Viele wurden von ihm gar nicht erst zur Diskussion zugelassen und die wenigen, die er immerhin so weit durchgehen ließ, wurden alle abgelehnt. Doch einmal, ein einziges Mal, wich Bayerstorfer von seinem festen Grundsatz ab, ließ eine grüne Idee gewähren und stimmte im Kreisausschuss sogar selbst dafür: Die Geschäftsordnung des Erding Kreistags ist seitdem gendergerecht formuliert, Frauen, Männer und alle anderen inkludierend. Auf den 30 Seiten Text findet sich 113 Mal ein Gendersternchen. Man liest von "Kreisrät*innen", "Kreisbürger*innen" und sogar von dem oder der "Stellvertreter*in des Landrats".

Als ihr Antrag vor dreieinhalb Jahren im Kreisausschuss durchging, war Grünen-Kreisrätin Helga Stieglmeier ziemlich baff. "Ich war so gut vorbereitet und hatte Argumenten aufgeschrieben, und dann sagt keiner was dagegen und allen waren dafür", erinnert sie sich. Dass mit AfD-Kreisrat Wolfgang Kellermann zumindest einer die gendergerechte Erdinger Geschäftsordnung ablehnte, hatte Stieglmeier in ihrer Überraschung nicht registriert. So breite Unterstützung für einen gesellschaftspolitischen Antrag der Grünen, das war ein ungeahnter und schöner Erfolg.

Ulrike Scharf, die auch Erdinger Kreisrätin ist, trägt als Regierungsmitglied das Verbot mit

Es waren natürlich ganz andere Zeiten damals, als so etwas noch passieren konnte. Es war September 2020. Heute weht ein anderer Wind. Heute müssen wir uns ernsthaft andere Fragen stellen: Ist die Geschäftsordnung für den Kreistag Bayern noch erlaubt oder ist sie schlichtweg illegal? Darf das so bleiben oder müssen die Erdinger "Kreisrät*innen" in sich gehen und zurück auf den angeordneten rechten Weg?

Das sind schwierige Fragen. Am Dienstag hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) Vollzug zum Kabinettsbeschluss gemeldet. "Bayern beschließt Verbot der Gendersprache" ist die Pressemitteilung aus seinem Haus übertitelt. Und weiter: "In Behörden in Bayern ist die Gendersprache mit Sonderzeichen zur Geschlechterumschreibung unzulässig." Herrmann wird explizit so zitiert: "Mehrgeschlechtliche Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt sind nun ausdrücklich unzulässig." Mit ihren 133 Sternchen verstößt die Erdinger Kreistagsgeschäftsordnung also ab sofort und fortlaufend 133 Mal gegen Recht und Ordnung. Oder nicht?

Der Begriff Behörde ist weit gefasst. Er beginnt mit den Ministerien und ihren nachgeordneten Ämtern, bezieht aber auch Schulen und viele andere Institutionen ein. Und wie ist es mit einem Kreistag? In der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) steht: "Behörde im Sinn dieser Geschäftsordnung ist jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt." Das tut der Kreistag auf alle Fälle. Er ist sogar das wichtigste Organ des Landkreises, entscheidet über alle grundlegenden Angelegenheiten des Landkreises und kann Grundsätze für die Verwaltung des Landkreises festlegen. Aber staatlich ist er nicht, er ist eine kommunale Angelegenheit.

Rechtlich gesehen ist vom neuen bayerischen Gendersprache-Verbot nur die Textproduktion in staatlichen Behörden betroffen, da die Regelung durch eine Änderung der bereits genannten Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern vollzogen wird. Die AGO - und somit das staatliche Genderverbot - gilt damit nicht für den Kreistag.

Die breite Mehrheit des Erdinger Kreisausschusses wollte das Gendersternchen und es darf bleiben, egal was Ministerpräsident Markus Söder, seine Stellvertreterin Ulrike Scharf - die auch Erdinger Kreisrätin ist - und der Rest der Staatsregierung verbieten. In der rot-grün regierten Stadt München will man deshalb auf die staatliche Schreibbevormundung pfeifen und weiter gendern.

Gleichwohl gibt es auch andere Positionen. Im "Handbuch für die Verwaltungspraxis" - unter Kennern als "Der Linhart" bekannt - sieht man die Sache etwas anders. Hier findet sich der Hinweis, dass die AGO ganz explizit "den Gemeinden, Landkreisen und Bezirken und den sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts empfiehlt, nach der AGO zu verfahren". Das sei "im Interesse der Bürger". Denn es wäre "misslich, wenn die Behörden der öffentlichen Verwaltung nach außen kein einheitliches Erscheinungsbild bieten und ihr Dienstbetrieb nicht auf allen Stufen nach einheitlichen Regeln abgewickelt wird." Tja, was nun?

Eine "genderfreie Version" - das würde der Erdinger AfD so schön passen

Der bereits erwähnte AfD-Kreisrat Wolfgang Kellermann hat, noch bevor das Genderverbot der Staatsregierung erlassen wurde, vorauseilend einen Antrag auf eine Überarbeitung der Geschäftsordnung des Kreistags eingebracht. "Bezugnehmend auf die Ankündigung des MP Söders", schreibt Kellermann, soll die Geschäftsordnung "wieder in die ursprüngliche genderfreie Version zurückgesetzt" werden.

Das würde der Erdinger AfD so schön passen. Dass schlicht und einfach mit einem Hinweis auf den bayerischen CSU-Chef der einzige jemals erfolgreiche Antrag der Grünen im Erdinger Kreistag revidiert würde - womit im Gegenzug der erste AfD-Antrag angenommen wäre. Was für eine Vorstellung. Landrat Bayerstorfer wird sicher mehr als ein Argument finden, dem AfD-Antrag nicht zu folgen. Der Hinweis auf die eigenen Rechte der kommunalen Selbstverwaltung würde schon genügen. Und außerdem: getroffene Entscheidungen infrage zu stellen und sich selbst zu revidieren, ist, bei aller CSU-Linientreue, so gar nicht Bayerstorfers Art. Oder?

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