Hexenverfolgung:Ein Mesner landet auf dem Scheiterhaufen

Lesezeit: 3 min

Heute kennt man sie nur noch im sprichwörtlichen Zusammenhang: die Daumenschraube. (Foto: Marco Einfeldt)

Schorsch Wiesmaier von der Geschichtswerkstatt Dorfen zeichnet anhand der Originalakten den Hexenprozess im Jahr 1715 gegen den Zeilhofener Gärtner und Lehrer Johann Endtgruber nach. Absurde Dinge werden ihm vorgeworfen. Unter Folterqualen gesteht er schließlich alles.

Von Florian Tempel, Dorfen

Als Johann Endtgruber im August 1715 verhaftet und in den Marterturm in Erding eingekerkert wurde, wusste er nicht, warum. Er war 51 Jahre alt, verheiratet, hatte zwei Töchter und einen Sohn. Seit fast 24 Jahren war er Schlossgärtner in Zeilhofen, nebenbei Mesner und Lehrer. Er war ein ganz normaler Mann, der gerne ins Wirtshaus ging und Bier trank. Einmal hatte er schon mit der Justiz zu tun gehabt und war, wegen unerlaubten Schatzgrabens, drei Tage in Erding in den Stock gesperrt worden.

Doch was ihm nun vorgeworfen wurde, war absurd: Er sei auf einer Heugabel durch die Gegend geritten und habe Hostien geschändet, in dem er mit Pistolen auf sie schoss. Er sei "auf zauberische Art und Manier mithilfe des Teufels" in einer Kutsche, vor die Geißböcke gespannt waren, nach München in die Au geflogen. Dort habe er "nackten Hexentanz gehalten und mit den anwesenden Weibsbildern die Unzucht getrieben haben", während "verstellte Teufel auf dem Hackbrettl, dem Dudelsack und der Schalmei aufgespielt" hätten.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Das alles ist amtlich festgehalten, auf mehr als 300 Seiten handgeschriebener Verfahrensakten, mit Vernehmungsprotokolle, gerichtlicher Korrespondenz bis hin zum Urteil des Magistrats der Stadt Erding.

Schorsch Wiesmaier von der Geschichtswerkstatt Dorfen hat diesen Justizmord, denn nichts anderes ist der Prozess gegen Johann Endtgruber, anhand der seit 300 Jahren archivierten Akten nachvollzogen und im Dezember in einem eindrucksvollen Vortrag in Dorfen präsentiert. Joachim Wild, der frühere Direktor des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, hat ihm bei der Sichtung der Akten geholfen, ihm die alten Handschriften vorgelesen und altertümliche Rechtsbegriffe erläutert.

So ist ein umfassendes Bild eines späten Hexenprozesses gelungen, das in seiner Detailliertheit außergewöhnlich, hochinteressant und erschütternd ist. Durch diese genaue historische Recherche wird deutlich, wie sehr der Hexenwahn auf der einen Seite unkontrollierter Zufall war, der jede und jeden das Leben kosten konnte. Andererseits hatte der Wahnsinn sehr viel Methode. Sich selbst reproduzierende Vorfestlegungen und exakte Vorschriften bei der vermeintlichen Beweisführung ließen kein Entrinnen zu und erzeugten weitere Opfer.

Im Erdinger Marterturm wurde Johann Endtgruber inhaftiert. Der Turm auf dem Gelände der ehemaligen Stiftungsbrauerei wurde am 18 . April 1945 durch eine Fliegerbombe zerstört. (Foto: OH)

Das Verfahren gegen Endtgruber kam in Gang, weil Kaspar Schwaiger, der Schulmeister von Maitenbeth, von zehn seiner Schulbuben der Hexerei und Zauberei beschuldigt und in Haag inhaftiert worden war. Schwaiger, der Endtgruber nur flüchtig kannte, gab unter Folter an, dass dieser sein Hexenmeister gewesen sei. Christoph von Schwaben, der als sogenannter Pfleger der führende Justizvertreter in Haag war, besiegelt schon mit dem ersten Schreiben an seinen Amtskollegen Martin Wächinger, den Pfleger in Erding, Endtgrubers Schicksal.

Die Dinge und Vorfälle, die der Maitenbether Lehrer Schwaiger gegen ihn ausgesagt hat, hat sich dieser nicht selbst ausgedacht. Was Hexen und Hexer tun, steht im 1487 erschienen Hexenhammer. Im Folter-Verhör wurde den Beschuldigten vorgehalten, ob es nicht so und so gewesen sei, wie es in diesem Buch berichtet wird: die Hexentänze, das Durch-die-Luft-Fahren, die verschiedenen Art von Zauberei. Wer die Schmerzen durch Daumenschrauben, Folterbänken und Dornenruten nicht mehr aushielt, gab alles zu. Was wiederum bestätigte, was im Hexenhammer drinsteht.

In der ersten Vernehmung, einem gütlichen Verhör noch ohne Folter, weist Endtgruber alles zurück. Im Protokoll ist das festgehalten: "Er wisse von allem dergleichen nichts und es sei so, als redete man von einer Sache, die am Ende der Welt geschehe. Von allen diesen Sachen, die ihm vorgehalten worden, sei er ohne Makel und möchte von Stund an in den Himmel fahren, wenn es nicht stimme, was er sage."

"Endtgruber beharrt noch auf seiner jüngst getanen ersten gütlichen Aussage und sei durchaus unschuldig."

Doch Leugnen ist zwecklos. Nach einem zweiten gütlichen Verhör schreibt Wächinger an den Hofrat in München, die ihm übergeordnete Justizbehörde, was er tun soll, denn so gehe es nicht weiter: "Endtgruber beharrt noch auf seiner jüngst getanen ersten gütlichen Aussage und sei durchaus unschuldig, er könne sich wegen der Hexerei und anderen Sachen nicht im Geringsten schuldig geben."

Aus München kommen exakte Anordnungen: Endtgruber soll "mit einem Leibgürtel zugeschlossen" und einigen Tagen später "zur wirklichen Tortur geführt" werden. Man soll ihn mit in Weihwasser geweihten Spitzruten bis 60 Streiche gegeben werden, "nicht ohne Effekt, aber auch nicht allzu scharf". Doch Endtgruber bleibt standhaft. In einem Schreiben teilt Wächinger das dem Hofrat mit: Der Angeklagte "verharrt unter kontinuierlichem Schreien und Beteuerung seiner Unschuld immobiliter unbeweglich auf dem Leugnen". Es sei "wohl zu bemerken, dass er heimlich mit der beneficium taciturnitatis (der Wohltat des Schweigens) behaftet sein wird, die er vom Teufel gelernt habe".

Das Todes-Urteil des Magistrats von Erding gegen Johann Endtgruber. Eine von mehr als 300 erhaltenen, handschriftlichen Seiten der Prozessakten. (Foto: Schorsch Wiesmaier/OH)

Der Hofrat ordnet eine zweite Runde Folter an. Diesmal bricht Endtgruber zusammen. Er sagt alles, was man von ihm hören will und bezichtigt nun seinerzeit mehrere Frauen in Haag, mit ihm auf einem Hexentanz gewesen zu sein. Als er einige Zeit später die Frauen in einer Gegenüberstellung identifizieren soll, zieht er sein erpresstes Geständnis allerdings zurück.

Doch das kann auf Dauer nicht funktionieren. Die Maschinerie geht wieder von vorne los, Endtgruber wird gefoltert, gesteht, widerruft nochmals. Als der vierte Durchgang ansteht, kann er nicht mehr. Die Aussicht erneut gefoltert zu werden, lässt ihn alles und endgültig zugeben, er ist am Ende. Seinen Verfolgern ist es wichtig, ihn ein letztes Mal ohne Folter zu vernehmen. Auf diesem "gütlichen Bekenntnis" baut das letztliche Urteil auf - und ermöglicht ihm "die Spezialgnad", vorher an einer Säule erwürgt zu werden, bevor seine Leiche auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: