Energieversorgung ohne Atomkraft:Der Umbauarbeiter

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Energie muss langfristig zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen stammen, meint Martin Faulstich. Im Sachverständigenrat für Umweltfragen in Berlin vertritt der TU-Professor seine Position gegen Lobbyisten.

M. Tibudd

Was Umweltschäden sind, das hat Martin Faulstich früh miterlebt, auch wenn weder er noch sonst jemand im westfälischen Hagen diese unschönen Dinge je als Umweltschäden bezeichnet hätte. Es passierte ja zu viel Gutes. Da waren die Häuser, die jedes Frühjahr einen neuen Anstrich bekamen und dann wieder ein paar Wochen lang strahlend leuchteten, ehe sie schnell wieder einen dunkleren Ton annahmen.

Zu seinen Aufgaben gehört auch Lobby-Arbeit in Berlin: Martin Faulstich ist nicht nur Professor für Rohstoff- und Energietechnologie an der Technischen Universität München, sondern auch Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen. (Foto: Stephan Rumpf)

Da war die kostenlose Autopolitur, die das örtliche Stahlwerk, die Hasper Hütte, an die Fahrzeugbesitzer ausgab, damit die Autos immer wieder mal glänzen konnten. Und da war irgendwann dieses Dach über dem Werksparkplatz, das praktischerweise dazu führte, dass die darunter abgestellten Autos nicht fortwährend von diesen schwarzen Partikeln überdeckt waren. Ganz klar, man tat etwas gegen die Folgen der Umweltverschmutzung in einer Stadt, in deren Mitte eine große Firma Stahl produzierte und somit ihren Teil zum Wirtschaftswunder beitrug.

Es sind Begebenheiten aus seiner Kindheit und Jugend, von denen Martin Faulstich in aller Distanziertheit berichtet. "Es gab ja dann unter Willy Brandt einen Paradigmenwechsel", sagt Faulstich, "der Himmel muss wieder blau werden", hieß es dann, es kamen die Abgasfilter, Häuser wie Autos blieben länger sauber.

Beim Umweltschutz setzt man mittlerweile an den Ursachen an

Einige Jahrzehnte später hat sich die Erkenntnis weitgehend durchgesetzt, dass Umweltschutz an den Ursachen des Übels ansetzen sollte und nicht an den Symptomen. Und Martin Faulstich, der Junge aus dem einst so schmutzigen Hagen, ist mit seinen heute 53 Jahren Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung. In dieser Rolle setzt sich der Mann, der an der TU München den Lehrstuhl für Rohstoff- und Energietechnologie innehat, schon lange für einen weiteren Paradigmenwechsel ein, der in dieser Woche unverhofft ein gehöriges Stück vorangekommen ist: Den Übergang zu 100 Prozent erneuerbaren Energien in der Stromversorgung, und zwar unter möglichst raschem Verzicht auf die Atomkraft.

"Manches gute Konzept bleibt für immer in der Schublade, wenn es nicht zum rechten Zeitpunkt veröffentlicht wird", sagt Faulstich. Angesichts der Katastrophe in Japan droht diese Gefahr dem Gutachten sehr viel weniger, das er im Januar gemeinsam mit seinen sechs Wissenschaftlerkollegen aus dem Sachverständigenrat vorgelegt hat. "Wege zur 100 Prozent erneuerbaren Stromversorgung" heißt es, und es skizziert, wie Deutschland bis ins Jahr 2050 ausschließlich mit der Kraft aus Sonne, Wasser, Wind und anderen regenerativen Quellen versorgt werden kann. "Es geht", sagt Faulstich, "und man muss noch nicht mal das Tempo des Ausbaus erhöhen." Vor allem aber funktioniere der Umbau ohne eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke - oder gerade erst recht, wenn die Meiler möglichst bald abgeschaltet werden.

''An 100 Prozent Erneuerbaren führt kein Weg vorbei''.

Denn die Fachleute um Martin Faulstich skizzieren den großen Zielkonflikt, der ihrer Ansicht nach als Folge eines zu langen Festhaltens an der Atomkraft entstünde: Hier das stete Zunehmen der erneuerbaren Energieträger wie Wind und Sonne, die bekanntermaßen unregelmäßig ihre Kraft entfalten und entsprechende Flexibilität im Stromnetz erfordern; dort die Atomkraftwerke, die man eben nicht einfach nach Bedarf hoch- und herunterfahren kann. "Dieser Konflikt wird letztlich hohe volkswirtschaftliche Kosten und Investitionsrisiken für die erneuerbaren Energien schaffen", heißt es in dem Gutachten, was aus Sicht von Martin Faulstich in jedem Fall schlecht ist, "denn langfristig führt an 100 Prozent Erneuerbaren ohnehin kein Weg vorbei".

Was bringt nun einen studierten Maschinenbau-, Verfahrens- und Umwelttechnikingenieur jenseits solcher ökonomischen Aspekte dazu, an der Atomkraft zu zweifeln? Jener Technik, auf die Generationen von Ingenieuren stolz waren und sind? "Man muss Technik so gestalten, dass sie Fehler vertragen kann", sagt Faulstich. "Ein Ingenieur kann einfach nicht sämtliche Fehler ausschließen." Dazu komme der Nachteil der fehlenden Flexibilität bei der Standortwahl: Schließlich braucht ein Atomkraftwerk immer Kühlwasser, weswegen die Anlagen in Deutschland stets an Flüssen stehen.

"Bei erneuerbaren Energieträgern kann man sich den Standort aussuchen, an dem die Belastung am geringsten ist", sagt Faulstich. Entlang von Autobahnen oder Bahnlinien etwa, wo die Umwelt ohnehin schon beeinträchtigt ist, stören Solaranlagen deutlich weniger als anderswo. Dazu könne man die Anlagen quasi jederzeit wieder abbauen, ganz im Gegensatz zu einem hochkomplexen Atomkraftwerk. "Eigentlich sind das unschlagbare Argumente", glaubt der Wissenschaftler.

Wettkampf der Lobbyisten

Müssen also nur noch Politik und Bevölkerung zur gleichen Ansicht gelangen. Für Ersteres verbringt Martin Faulstich viel Zeit in Berlin, was auch seiner Terminplanung eine Menge Flexibilität abverlangt. Denn der Professor hält zwar Vorlesungen am Stammsitz der TU in der Münchner Innenstadt, sein Lehrstuhlbüro samt 30 Mitarbeitern findet sich aber an einer Außenstelle der Universität in Straubing. Faulstichs Wohnort, Amberg in der Oberpfalz, macht die Planungen noch ein wenig schwieriger. In der Hauptstadt also hält er regelmäßig Vorträge bei Verbänden, putzt Klinken bei Abgeordneten und schüttelt auf Empfängen im Politikbetrieb fleißig Hände.

Im Wettkampf der Lobbyisten muss er sich dabei auch gegen jene Kräfte behaupten, die sich einen schnellen und geschmeidigen Übergang hin zu den erneuerbaren Energien schlicht nicht vorstellen können oder wollen. In Bayern übernahm diese Rolle in dieser Woche, in der die langjährige Atomkraftbefürworter-Partei CSU eine bemerkenswerte Kehrtwende hinlegte, der Wirtschaftsverband VBW. Der hielt an seinem Szenario bis 2050 - Ausbau der erneuerbaren Energien unter weiterer Beibehaltung der Atomkraft - unbeirrt fest.

Faulstich erwartet vor allem auch Aufklärungsarbeit von der Politik

Der Wissenschaftler Faulstich erwartet von der Politik neben den richtigen strategischen Grundsatzentscheidungen auch, dass sie den Bürgern vermittelt, warum der Energieumbau auch Zumutungen bedeuten kann. Denn beim Ausbau der Stromnetze zeigt sich schon heute jede Menge Widerstand dort, wo etwa eine neue Hochspannungsleitung entlangführen soll. "Ich glaube, man kann Menschen für eine große Gemeinschaftsleistung gewinnen, auch wenn diese für einzelne zunächst Nachteile mit sich bringt", sagt Faulstich - man brauche eben den geeigneten Vermittler.

Das freilich würde schon den nächsten Paradigmenwechsel bedeuten, ist die Politik bis heute doch wenig bekannt dafür, Themen mit Blick auf eine langfristige Perspektive anzugehen. Der Umwelt-Sachverständige Martin Faulstich aber will hier Optimist sein, wundert sich ein wenig über die Kehrtwende der schwarz-gelben Atompolitik und sagt: "Es ist tragisch, dass dafür erst so dramatische Ereignisse wie in Japan passieren müssen."

© SZ vom 19.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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