Literatur:"In jedem Buch steckt ein Stück von mir"

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Verlegerin Elisabeth Sandmann schrieb den Roman "Porträt auf grüner Wandfarbe". (Foto: Gaby Gerster)

Elisabeth Sandmann bringt in ihrem Verlag seit bald 20 Jahren Bücher über mutige Frauen heraus. Jetzt schrieb sie ihren ersten Roman. Die Geschichte dreier Generationen vor dem Panorama des 20. Jahrhunderts.

Von Martina Scherf

Zwei lesende Frauen im Wald. Elisabeth Sandmann gefällt dieses Ölgemälde, sie hat es einmal in Bad Tölz entdeckt. Jetzt hängt es prominent an der Wand. Auf dem Schreibtisch Stapel von Manuskripten. Im Regal, auf dem Fensterbrett, an jedem freien Platz in ihrem Büro stehen Bücher, deren Titel Frauen mit selbstbewusstem Blick zeigen. Die Verlegerin ist umgeben von ihren Heldinnen. Seit bald 20 Jahren macht sie Bücher. Fast immer sind es Bücher über mutige Frauen.

"Es gibt noch so viele vergessene Biografien", sagt Elisabeth Sandmann, als sie sich mit dem Besuch an den kleinen Biedermeiertisch setzt. "Die Arbeit wird mir nicht ausgehen." Die Frauen des Bauhauses, Künstlerinnen ("Malweiber"), Wissenschaftlerinnen ("Mit Wagemut und Wissensdurst"), Erfinderinnen, Widerstandskämpferinnen oder die bayerischen Soufragetten hat sie in ihrem kleinen Elisabeth-Sandmann-Verlag an der Münchner Theresienstraße schon gewürdigt. Es ärgert sie, wie wenig noch immer über Frauen, die die Welt veränderten, bekannt ist. Und wenn sie findet, dass so eine Geschichte nicht übersehen werden darf, dann macht sie ein Buch dazu. "Diese Freiheit als Unternehmerin zu haben, ist ein Geschenk", sagt sie.

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Jetzt nahm sie sich die Freiheit, ihren ersten Roman zu schreiben. Er liegt vor ihr auf dem Tisch: "Porträt auf grüner Wandfarbe", 500 Seiten dick, im Piper-Verlag erschienen. Eine pralle Familiengeschichte. Vieles, was die Autorin in all den Jahren als Verlegerin beschäftigt, ist darin eingeflossen. Die politischen Verwerfungen im 20. Jahrhundert. Der Kampf um Gleichberechtigung. Verlust und Neuanfang.

Das Cover ziert ein Schwarz-weiß-Foto, zwei Freundinnen flüstern sich darauf lachend etwas zu. Ganz so heiter geht es im Buch allerdings nicht immer zu, denn das Leben der drei Generationen spielt sich vor dem Panorama von zwei Weltkriegen, Judenverfolgung, Enteignung, Flucht und Vertreibung ab. Und doch: Die Frauen in diesem Roman lassen sich nicht unterkriegen. Sie nehmen ihr Leben selbst in die Hand. Elisabeth Sandmann begleitet sie mit liebevollem, heiterem Blick.

"Die Figur der Ella hatte ich schon lange im Kopf", erzählt die Autorin. Ella, die zentrale Figur im Buch, ist eine lebenskluge Bauerntochter aus Bad Tölz, die mehr will, als Frauen ihres Standes damals vorbestimmt war. Sie trifft eines Tages auf Ilsabé, Tochter aus großbürgerlichem Haus, mondän und exzentrisch. Die braust mit dem Auto durch Europa und gibt ihre Tochter in Ellas Obhut, wodurch die Familien auf immer verstrickt sind. Ilsabés Enkeltochter fängt eines Tages an, "das Trümmerfeld" der Familiengeschichte Schicht für Schicht abzutragen.

"In jeder Familie gibt es doch Leerstellen", meint Elisabeth Sandmann während sie über ihre Inspirationen für das Buch spricht. "Und man fragt sich: Warum wird einer geliebt, der andere vergessen?" Schlimme Erlebnisse, die verdrängt werden, Brüder, Schwestern, Onkel, Tanten, über die nie gesprochen wird - "in Gedanken und Gefühlen sind solche Lücken spürbar, auch noch nach Generationen."

Gab es konkrete Vorbilder? Nein, sagt die Autorin. Oder eben doch. In der Danksagung am Ende des Buchs macht sie ihrer Mutter das vielleicht schönste Kompliment, das eine Tochter einer Mutter machen kann: "Meine Mutter wird mir in ihrer Eleganz, ihrem ihrer Zeit weit vorauseilenden Sexappeal, ihrer ausgeprägten Liebe zu Kochkunst und Tischkultur und ihrer pragmatischen Art, Probleme zu lösen, ein unerreichtes Vorbild bleiben." Die Mutter sei geistig unabhängig gewesen, auch in der Ehe. "Sie fuhr alleine zum Sprachkurs oder in den Urlaub - zu einer Zeit, in der Frauen sich so etwas kaum erlaubten." Jeder der Frauenfiguren in ihrem Buch habe sie ein bisschen etwas von diesem starken Charakter mitgegeben, sagt die Autorin.

Elisabeth Sandmann ist auf bescheidene Art elegant, ihre 62 Lebensjahre sieht man ihr nicht an. Sie trägt ausgesuchte Kleider, die sie mitunter auch in Schwabinger Secondhand-Läden findet, und umgibt sich gerne mit schönen Dingen. Das großbürgerliche Ambiente, das sie im Buch beschreibt - in Ilsabés Familie zitiert man wie selbstverständlich Shakespeare, reist nach Florenz, spricht mehrere Sprachen - ist ihr durchaus vertraut. "Meine Großeltern fuhren schon mit dem Taxi von Augsburg nach Italien", erzählt sie. Der früh verstorbene Vater war Jurist, reiste viel, sprach mehrere Sprachen und hatte eine gepflegte Bibliothek zuhause.

Sandmann steht auf und holt aus einer Kiste einen alten Baedeker-Reiseführer heraus. "Oberitalien" steht auf dem roten Leineneinband. Das Buch wurde viel benutzt, manche Seiten sind ein wenig zerfleddert. In dünner Antiqua-Schrift sind Landschaften, Städte und Sehenswürdigkeiten beschrieben, inklusive Zollformalitäten, Hotelempfehlungen, Landkarten. "Diese Reiseführer waren eine wichtige Inspirationsquelle für mich", sagt die Autorin.

Schloss Elmau, einer der Schauplätze im Roman. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Schauplätze ihres Romans kennt Elisabeth Sandmann gut: Berlin, London, Köslin (das heutige Koszalin in Polen), Salzburg, Bad Tölz, das elitäre Schloss Elmau in Oberbayern. Die Frage, wie weit der Roman autobiografisch ist, drängt sich da buchstäblich auf. Nein, sagt Sandmann, sie selbst stamme nicht von altem pommerschen Adel ab. Aber ihr Mann hatte dort Familie, zweimal wurden sie vertrieben, nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Geschichte von Schloss Elmau wiederum, mit seinem eigenwilligen Hausherrn, der Künstler und Literaten einlud, die Tischordnung für seine Gäste bestimmte, einen Hang zur Esoterik pflegte und Hitler verehrte - "diese Geschichte hat mich fasziniert", sagt Sandmann, deshalb komme sie im Roman vor.

Und nein, auch für den Baron mit jüdischen Wurzeln, den Ilsabé heiratet, gebe es kein konkretes Vorbild. "Aber ich habe jüdische Freunde, die mir viel erzählten." Das Thema Restitution beschäftigt Elisabeth Sandmann schon lange. 2015 schrieb sie das Sachbuch "Der gestohlene Klimt - Wie sich Maria Altmann die Goldene Adele zurückholte". Gustav Klimt hatte Adele Bloch-Bauer porträtiert, es ist sein berühmtestes Werk. Die Nazis hatten das Bild geraubt. Nach dem Krieg wurden alle Bemühungen der Familie, das Bild zurückzubekommen, abgeschmettert. Bis Adeles Nichte Maria Altmann im hohen Alter den Staat Österreich verklagte und die rechtmäßige Rückgabe des Bildes erwirkte.

Immer wieder setzte sich die Verlegerin mit dem Nationalsozialismus auseinander. "1938 - Warum wir heute genau hinschauen müssen", lautete der Titel eines Buches, das 2018 erschien. "Und heute ist die Frage: Wie verhält man sich, wenn man sich plötzlich in einer Diktatur wiederfindet? Leider noch aktueller geworden", sagt Sandmann, "für viele Menschen in vielen Teilen der Welt."

Die Verlegerin gibt mutigen Frauen eine Stimme wie in diesem jüngst erschienenen Buch über Freiheitskämpferinnen im Iran mit dem Titel "Wir haben keine Angst!". (Foto: Elisabeth Sandmann Verlag)

Sie hat in jüngerer Zeit Bücher herausgebracht über Frauen in Afghanistan und in Iran. Im Herbst erscheint "Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis. Briefe von Frauen aus der Ukraine an die freie Welt". Zwar gibt es im Verlagsprogramm auch andere Bücher, "Sommerfreuden - von der Leichtigkeit einer Jahreszeit", ein Fotobuch über Barack Obama oder im Herbst einen Bildband über Pompeji. Doch im Zentrum stehen außergewöhnliche Frauen. "Und in jedem Buch steckt auch ein Stück von mir."

"Frauen, die lesen, sind gefährlich", lautete der Titel eines der ersten Bücher nach der Verlagsgründung 2004. Ein ironischer Titel, könnte man meinen, aber eben auch ein politischer. "Es gab tatsächlich männliche Journalisten, die sich von dem Buch persönlich provoziert fühlten", erzählt Sandmann. Bildung ist Macht, und darum müssten Frauen bis heute kämpfen.

Sie wird also weiter die Bücher machen, die sie selbst für wichtig hält, auch wenn sie die Mehrheitsanteile am Verlag 2016 an Suhrkamp verkauft hat. Das erleichtert den Auftritt auf einem hart umkämpften Buchmarkt. "Aber ich kann trotzdem meine Ideen umsetzen" - anders kann sie es sich auch nicht vorstellen.

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