Einrichtungsstil:Es gibt kaum etwas Besseres, als in fremde Häuser hineinzuschauen

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Blink-Orgien erinnern am ehesten an Berlin: Eine Wohnung im Stadtteil Friedrichshain. (Foto: dpa)

Unser Autor findet es beängstigend interessant, im Winter abends die Wohnungen der Münchner zu studieren. Und fragt sich manchmal: Wie kann man nur so ungemütlich leben?

Von Johan Schloemann

Längs der Isar gibt es ja diesen Radweg mit Gegenverkehr, auf nur einer Seite der Autofahrbahn. Die Strecke ist auch sonst schon nicht ungefährlich, aber in den letzten Tagen, den dunkelsten des Jahres, wäre ich mehrere Male beinahe gegen andere Radler oder die Bäume gekracht. Haarscharf konnten die Unfälle noch vermieden werden.

Schuld aber war ich allein. Denn ich kenne, das sei freimütig gestanden, kaum etwas Besseres, als in den frühen Abendstunden in fremde Häuser hineinzuschauen. Und kaum irgendwo gibt es einen Prospekt von Altbauwohnungen, der einen so anstrahlt wie gegenüber dem winterschwarzen Fluss. Wie ein Mondsüchtiger werde ich von diesen Lichtern abgelenkt, obwohl ich beim Fahren nach vorne schauen müsste.

Von manchen Wohnungen bin ich einfach beeindruckt und finde es beängstigend interessant, mit welchen Leuchten, Regalen, Sofas sie sich eingerichtet haben. Ich rechne es zudem München hoch an, dass es mit der Weihnachtsbeleuchtung im Großen und Ganzen geschmackvoll umgeht. Die vereinzelten bunten Blink-Orgien dazwischen erinnern mich nostalgisch an Berlin. Beim Blick in andere Wohnungen aber regt sich in mir eine schwer zu unterdrückende ästhetische Überheblichkeit, die ich nur biologistisch mit meinen skandinavischen Genen versuchen kann zu entschuldigen: Wie kann man nur so ungemütlich leben? Wieso haben so viele Leute eine einzige grelle Deckenlampe und nichts Schönes auf der Fensterbank stehen?

Ich bin so empört, dass ich schon wieder fast vom Weg abkomme, und zugleich schäme ich mich für diesen missgünstigen Voyeurismus. Könnte es nicht doch sein, dass unter den ungastlichen Deckenlampen herzensgute Menschen wohnen? Haben sich etwa die Weisen aus dem Morgenland in Bethlehem darüber beschwert, dass im Stall keine sorgsam arrangierten Designerlampen standen? Wie stilvoll sind denn die Flüchtlingsheime eingerichtet? Und hatte sich Thomas Mann, als er den seither überstrapaziertesten Satz über diese Stadt schrieb, also den über ihr Leuchten, nicht eigentlich damit lustig machen wollen über ein München, in dem "ein treuherziger Kultus der Linie, des Schmuckes, der Form, der Sinne, der Schönheit obwaltet"?

Auch in den Kirchen wird jetzt viel von Hell und Dunkel die Rede sein, gerade in diesem Jahr. Ich biege gerade noch sicher ab, quere die Isar und denke mir, dass ich meinen Schutzengel nicht verdient habe.

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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