Hochwasserkatastrophe:Der Bedarf ist groß - nach wie vor

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In Bad Münstereifel hat die über die Ufer getretene Erft erhebliche Schäden angerichtet. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Initiator Stefan Winsel über die Hilfsaktion Zornedings nach der Flut in Bad Münstereifel: Spenden werden auch nach einem halben Jahr sehr gerne angenommen.

Interview von Julia Manon Gottfried, Zorneding

Im Juli 2021 wurde die Stadt Bad Münstereifel in Nordrhein-Westfalen von einer Flut überschwemmt. Bis heute haben die Einwohner mit den Folgen der Naturkatastrophe zu kämpfen. Stefan Winsel, seine Familie und die Organisation " Zorneding hilft!" tun seit Juli ihr Bestes, um bei dem Wiederaufbau zu helfen.

SZ: Vor knapp sechs Monaten haben Sie der Süddeutschen Zeitung schon einmal ein Interview gegeben. Der Titel dieses Artikels lautete: "Die Leute wollen helfen". Trifft das jetzt, fast ein halbes Jahr später, immer noch zu?

Stefan Winsel: Ja, wir bekommen nach wie vor E-Mails und Anrufe mit Angeboten von Leuten, die Sachspenden anbieten. Insbesondere Möbel und Haushaltsartikel werden uns angeboten. Aber weil das Thema in den Medien nicht mehr so präsent ist, lässt die Hilfsbereitschaft natürlich nach. In dem Moment, in dem es wieder auftaucht, wird das Interesse größer, allerdings nicht mehr in dem Umfang wie vor einem halben Jahr, als das Ganze noch aktuell war.

Würden Sie sich mehr Medienpräsenz und mehr Hilfe von anderen Menschen wünschen?

Es wäre natürlich wichtig, dass es nicht vergessen wird. Der Bedarf vor Ort ist nach wie vor riesig. Es haben schlichtweg Tausende Familien ihr Hab und Gut verloren, und Ersatzleistungen gehen nur sehr schleppend voran. Die Versicherungen handeln zögerlich und staatliche Förderanträge sind jetzt erst zu 30 oder 40 Prozent bearbeitet. Man muss natürlich auch bedenken, dass viele Anträge noch gar nicht gestellt werden konnten, weil die Betroffenen die benötigten Unterlagen in der Flut verloren haben. Und gleichzeitig haben diese Menschen natürlich ein Zuhause, das ebenfalls durch das Wasser zerstört wurde, das saniert und wiederhergestellt werden muss. Das kostet Geld. Und jeder Euro, der durch Spenden von Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Einrichtungsgegenständen und dergleichen gespart wird, kann hergenommen werden, um die Häuser wieder bewohnbar zu machen. Wir in Zorneding arbeiten zusammen mit Hilfsorganisationen wie " Eifel für Eifel" und " Schrittchen für Schrittchen", und versuchen aktuell vor allem mit Geldspenden, den Menschen konkret zu helfen. Sachspendentransporte dagegen sind für uns ein enormer Aufwand, den wir im Moment gar nicht bewerkstelligen können.

Hilfe für Nordrhein-Westfahlen: Stefan und Meike Winsel sowie Andrea Heine von der Gärtnerei Schütz unterstützen bis heute die Flutopfer. (Foto: privat/oh)

Sie würden also sagen, im Moment ist Ihnen finanzielle Hilfe lieber als Sachspenden?

Im Moment ist finanzielle Hilfe besser, ja. Was wir von Zorneding aus machen können, ist ganz gezielt zu helfen, am besten mit Geld. Wir sammeln Spenden, die wir dann einsetzen, um konkret für die ein oder andere Familie Dinge zu besorgen. Der Bedarf ist mittlerweile sehr individuell geworden, und vor Ort sind schließlich die anderen Hilfsorganisationen, die viel näher an den Betroffenen dran sind. In die Eifel zu fahren ist für uns sehr aufwendig. Sechs Mal haben wir das zwar schon gemacht, effektiver ist es aber, von unseren Spendengeldern vor Ort etwas zu kaufen, oder Spenden zu der betreffenden Familie direkt zu schicken.

Wie suchen Sie aus, wem Sie helfen?

Wir sind natürlich viel in Social Media unterwegs und stimmen uns mit den Hilfsorganisationen vor Ort ab. Es gibt da inzwischen unzählig viele selbst organisierte Gruppen, die dort Bedarf oder auch Angebote einstellen und uns über das Internet kontaktieren. Zum Beispiel hat uns eine Betroffene, die wir vorher schon unterstützt hatten, auf einen Post einer anderen Betroffenen aufmerksam gemacht. Die Tochter dieser Frau wünschte sich zu ihrem vierten Geburtstag eine Puppe. Wir kontaktierten die Mutter und teilten ihr mit, dass wir die Puppe von unseren Spendengeldern kaufen wollten. Als wir uns enger austauschten, haben wir erfahren, dass die Kleine sich auch über ein Puppenhaus freuen würde. Daraufhin haben wir einen Aufruf in Zorneding und auf unseren Social Media Plattformen gestartet und wunderbare Angebote bekommen. Wir suchten eines der uns angebotenen Puppenhäuser aus und luden es ins Auto. Dann sprachen wir noch einmal mit der Familie und ließen sie eine Bedarfsliste aufstellen, von Dingen, die sie in der Flut verloren hatten, veröffentlichten sie auf unserer Website und sammelten die benötigten Sachspenden. So wussten wir ganz genau, was gebraucht wurde, und konnten gezielt danach suchen. Als wir ihnen die Sachen dann brachten, von der Puppe bis hin zum Rasenmäher, haben alle geheult wie Schlosshunde. Das war eine riesige Freude, und dann hilft man natürlich auch sehr sehr gerne. Wir konnten durch unser mittlerweile entstandenes Netzwerk der Familie noch viele weitere Kontakte, Sach- und Geldspenden vermitteln.

Wie lange, würden Sie schätzen, dauert es noch, bis Bad Münstereifel wieder so weit hergestellt ist, dass es nicht mehr auf Hilfsorganisationen angewiesen ist?

Was sie uns vor Ort sagen, was Sachspenden und handwerkliche Unterstützung angeht: mit Sicherheit noch zwei Jahre. Was die post-traumatische Betreuung angeht, worum sich auch der Verein " Schrittchen für Schrittchen" sehr stark kümmert, das wird noch sehr viel länger dauern. Was wir versuchen, was auch ein Auswahlkriterium für unsere Hilfe ist, ist, zu sehen, wo wir dem ein oder anderen Menschen einen Glücksmoment ermöglichen können. Weil, die sind natürlich heute noch tagtäglich mit der Flut konfrontiert. Kinder können nicht in ihre normale Schule gehen, sondern müssen in eine Übergangsschule. Der normale Linienbus fährt nicht, weil die Brücke immer noch kaputt ist, Züge fahren auch nicht mehr. Freunde sind in eine andere Stadt gezogen. Da mal für einen Moment Abwechslung zu schaffen, ein Stück Normalität zu ermöglichen, das ist unser Ziel.

All dieses Engagement muss ziemlich anstrengend und vor allem auch zeitaufwendig sein. Wie fügt sich das in Ihren Alltag ein?

Das ist einer der Gründe, warum wir das Ganze jetzt ein Stück zurückfahren mussten, auch wenn immer sehr viel Unterstützung aus dem über 25-köpfigen Helferteam geboten war. Weil es unglaublich viel Zeit kostet. Und das für unsere ganze Familie: meine Frau ist genau wie ich voll mit dabei, meine 13-jährige Tochter hat natürlich auch immer mitgedacht und mitgeholfen, also da ist viel, viel Zeit draufgegangen und auch viel Familie auf der Strecke geblieben. Das alles ist natürlich viel Arbeit. Arbeit, die nicht als solche empfunden wird, weil sie auch viel Freude macht und viel zurückgibt. Aber Arbeit, die wahnsinnig viel Zeit kostet, und da musste unsere Familie mal ein gutes Stück zurückfahren, um auch wieder Zeit für uns zu haben. Spendentransporte sind daher nicht mehr geplant, aber Geld kann weiterhin sehr gerne gespendet werden. Informationen dazu findet man auf unserer Website.

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