Vorpremiere in Zorneding:"Ich dachte immer, Frauen seien weniger aggressiv"

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Eine Verwandlung, die für den Künstler selbst anfangs auch nicht einfach war: Von "Großalarm im Großhirn" erzählt Florian Reinhold - "schließlich komme ich aus Bruck!" (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schauspieler Florian Reinhold aus Bruck tritt in seinem neuen Programm als selbstbewusste Diva auf. Ist das als Mann befremdlicher? Oder als Frau? Zwei SZ-Autoren testen aus.

Von Anja Blum und Korbinian Eisenberger, Zorneding

Ein eindrückliches Plädoyer für einen ehrlichen und entspannten Umgang zwischen Mann und Frau - das ist das Programm, das Florian Reinhold, besser bekannt als Gaston, am Mittwochabend in Zorneding vor Publikum getestet hat. Der Zauberer und Schauspieler aus Bruck im Landkreis Ebersberg hat nämlich nicht nur magisch-humorvolle Abende im Repertoire, sondern bietet auch szenische Vorträge.

"Mann spricht Frau" heißt der neueste, es geht darin viel um die Macht der Körpersprache, aber auch um Barrieren im Kopf, die ein Verstehen des anderen Geschlechts möglicherweise verhindern. Das Besondere aber ist, wie Reinhold mit seiner Schauspielkunst die Grenzen von Sehgewohnheiten und Rollenbildern auslotet: Ausgehend von einem indianischen Sprichwort - "Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin" - verwandelt sich Gaston vor den Augen des Publikums, das zwischen Belustigung und Befremden schwankt, in sein Alter Ego Jaqueline...

Um zu ergründen, ob die Geschlechter unterschiedlich auf diese ungewöhnliche Performance reagieren, haben gleich zwei Redakteure der Ebersberger SZ diese Vorpremiere im Saal der Christophoruskirche besucht. Zwei Sichtweisen:

Nur ein paar Minuten dauert es, dann ist aus Gaston Jaqueline geworden. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Vollstes Verständnis: Dieser Mann spricht Frauen aus der Seele - und macht Hoffnung, findet unsere Autorin Anja Blum:

Es dauert gar nicht lange, dann würde frau mit Jaqueline gerne Kaffee trinken oder bummeln gehen. Was Freundinnen halt so machen. Dass es eigentlich ein Mann ist, der da fröhlich parlierend auf der Bühne steht, dieses Wissen ist auf winzige Momente des Staunens zusammengeschnurrt. Daran schuld ist nicht nur die Verkleidung, nein, eine Perücke aufziehen kann schließlich jeder. Vielmehr ist es der hohen Schauspielkunst von Florian Reinhold zu verdanken, dass er sowohl Gaston als auch Jaqueline sein kann, ganz nach Bedarf und Belieben.

Freilich gehört die theatrale Übertreibung dabei zum Geschäft, Jaqueline ist mit allen Eigenschaften gesegnet, die die Klischeekiste hergibt: von roten High Heels über einen imposanten Augenaufschlag bis hin zur Geschwätzigkeit. So mancher Feministin mag diese Kunstfigur also durchaus ein Dorn im ungeschminkten Auge sein. Doch das Spiel mit Stereotypen, den Rollenbildern, die tief verankert sind in den Köpfen, gehört zum Konzept. Der Künstler will deutlich machen: Wir alle denken in Schubladen, aber es ist durchaus gewinnbringend, diese mal aufzureißen und den Inhalt durcheinanderzuwirbeln. Die Perspektive zu wechseln nämlich bringe Freiheit im Kopf - und vielleicht Erkenntnisse über das andere Geschlecht.

Reinhold selbst hat es ausprobiert - bis hin zu abendlichen Ausflügen in voller Jaqueline-Montur. Da habe er plötzlich am eigenen Leib erfahren, was Dunkelheit und Männerschritte im Rücken mit einer Frau machen können: "Das war Panik pur", sagt er, und sein Blick lässt keinerlei Zweifel daran zu, dass er das ernst meint. Einsichten wie diese führen dazu, dass frau sich von diesem Mann auf der Bühne verstanden fühlt.

Er benennt weibliche Ängste, auch jene auf der Karriereleiter, weiß um die Ablehnung von Hierarchien unter Frauen, aber auch um ihren Neid und die berühmte Stutenbissigkeit. "Ich dachte immer, Frauen seien weniger aggressiv", sagt Gaston, aber Jaqueline habe ihn eines Besseren belehrt: Eine junge, schöne Tänzerin habe sie tatsächlich mal ins Speckröllchen gekniffen und dabei gerufen: "Oh, wie süß!"

Doch Reinhold hält beiden Geschlechtern den Spiegel vor, zerrt viele unbewusste Mechanismen ans Licht und entlarvt sowohl Alphamännchen als auch Diva ob ihres manipulativen Gehabes. Klar, dass dabei auch das Stichwort "me too" fällt - bei dem Reinhold Diplomatie beweist: Auf die Frage, was ein Übergriff sei, gebe es keine klare, einfache Antwort, denn das Problem beginne meist lange vor einer Berührung. Als Jaqueline testet Reinhold das gleich an seinen Gästen: "Wie nah darf ich Ihnen kommen? Jetzt ist es schon unangenehm, oder?" Die Spannung ist beinahe greifbar.

Jaquelines Fazit: Es komme letztlich immer auf die Beteiligten an, darauf, ob ihre Antennen füreinander offen sind. Dann nämlich brauche es fürs Miteinander keine starren Regeln. Und auch eine hoffnungsvolle Botschaft bekommen die Gäste mit auf den Weg: Wenn wir nur ein bisschen Zeit miteinander verbringen und etwas Interessantes oder Lustiges teilen,gewöhnen wir uns schnell selbst an die größten Irritationen. Dass das stimmt, beweist Gaston mit seiner Jaqueline. Text: Anja Blum

Die innere Schiebetüre: Wie wirkt man auf andere? Jaqueline bricht mit dem, was Mann kennt, findet unser Autor Korbinian Eisenberger:

Die Figur auf der Bühne unterscheidet zwischen "Jungs" und "Frauen". Das ist deswegen schräg, weil da ein Mann zwar sein eigenes Geschlecht verniedlicht, das andere aber nicht. Erwartbarer wäre es, würde er von Jungs und Mädels sprechen, so hört man es ja oft, ohne groß drüber nachzudenken. Aber so?

Entscheidend ist, dass dies im Publikum niemandem auffällt. Und zwar, weil der Mann auf der Bühne schon längst nicht mehr als Mann wahrgenommen wird. In den Augen des Betrachters steht hier eine Frau auf der Bühne. Etwas gut genährt vielleicht, aber elegant und selbstbewusst. Eine Frau, zu der es passt, dass sie die Männer im Saal mit "Jungs" anredet.

Nach der Verwandlung in "Jaqueline". (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Es ist ganz schön befremdlich und teilweise verstörend, was der Schauspieler Florian Reinhold an diesem Mittwochabend in Zorneding auf der Bühne macht. Der 49-Jährige kommt ja aus Bruck, ganz nah also, und doch sind diese 90 Minuten im Saal der Christophorus-Kirche weit weg von allem, was man in der bayerischen Kleinkunst-Szene kennt. Ein Mann wird auf der Bühne zur Frau. Und zwar in zweierlei Hinsicht: Optisch, weil er sich aus dem Anzug schält und plötzlich in Kleid, Stöckelschuhen und blonder Mähne vor einem steht. Viel entscheidender ist aber, was sich innerhalb der Gewandhülle verändert.

Es dauert nur Sekunden, da wird aus der Kunstfigur Gaston die Kunstfigürin Jaqueline. Eine provokante Verwandlung, sie macht etwas mit einem, sie durchbricht Gewohnheiten. Reinhold nennt das die innere Glaswand im Kopf des Menschen: Wie eine durchsichtige Grenze in einem Aquarium, die kein Fisch je überquert, selbst wenn man die Trennwand irgendwann aus dem Wasserbecken nimmt.

Wahrscheinlich gibt es diese Wand in jedem Kopf, bestimmt steht sie aber nicht bei jedem Menschen an der gleichen Stelle, und wahrscheinlich ist das Glas nicht bei jedem gleich dick. Interessant ist auch die Frage, ob diese Grenze bei Frauen grundsätzlich anders verläuft als bei Männern. Könnte ja gut sein. Soweit die blanke Spekulation.

Jaqueline stolziert jetzt von der Bühne und verkündet, sie werde sich einem Mann im Publikum auf den Schoß setzen. Da arbeitet der Kopf. Warum hofft man in so einem Moment, es möge einen anderen treffen? Wird da die innere Glaswand wieder hochgefahren, weil einem erst jetzt wieder bewusst wird, dass unter Schmuck und Schminke eben doch der Körper eines Mannes steckt? Ist diese Glaswand vielleicht eine Schiebetür? Wie wäre es, wenn eine junge Frau sich einem auf den Schoß setzen möchte? Oder ist es nur ein Schutzinstinkt, weil Florian Reinhold sich kurz zuvor zu 89 Kilo Kampfgewicht bekannt hat?

Schwer zu sagen, warum man wie reagiert. Im Zornedinger Publikum sieht man das vielen Gesichtern an. Wie wirkt man selbst? Wie wirken andere auf einen? Und warum? Florian Reinholds neues Programm gibt Antworten - und wirft neue Fragen auf, die einen in sich selbst hineinhorchen lassen. Der Künstler nennt sein Programm "Mann spricht Frau". Hätte er den Satz umgedreht, es wäre wohl nicht aufgefallen. Text: Korbinian Eisenberger

© SZ vom 23.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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