Bahnlinie München-Rosenheim:Bitte weiträumig umfahren

Lesezeit: 3 min

Kommunen an der Bahnlinie München-Rosenheim beurteilen die geplanten Lärmschutzmaßnahmen skeptisch und fordern eine andere Route für den Bahnverkehr zum Brennerbasistunnel.

Von Wieland Bögel, Ebersberg

Die kleinen Stationen sind stolz darauf, dass die Schnellzüge an ihnen vorbei müssen, spottete einst Karl Kraus. In dieser Hinsicht gäbe es für die Landkreiskommunen Grund zur Freude, schließlich werden in einigen Jahren noch mehr Züge an ihren Stationen vorbeimüssen. Denn 2026 soll der Brennerbasistunnel fertig sein, dann könnten auf der Strecke München-Rosenheim statt täglich 200 bis zu 400 Züge fahren. Doch statt stolz und froh ist man bei den Anliegern eher besorgt.

Die von Bahn und Bundesverkehrsministerium kürzlich vorgestellte Studie zum verbesserten Lärmschutz an der Strecke sieht man in den Kommunen skeptisch, die vorgeschlagenen Maßnahmen seien nicht ausreichend. Ein Kritikpunkt der Kommunen ist, dass auf zukünftige Entwicklungen nicht genügend Rücksicht genommen wird. So sollen etwa in Zorneding oder auch Grafing zwar zusätzliche Lärmschutzwände gebaut werden - deren Umfang lässt nach Meinung der Kommunen allerdings zu wünschen übrig.

Ohne Schallschutz kein Baugebiet

So ist es für Grafings Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) einerseits eine gute Nachricht, dass laut der Studie nun Lärmschutzwände in Grafing-Bahnhof, Schammach und Oberelkofen geplant sind, diese habe die Stadt schon seit Jahren gefordert. "Wir hätten sie uns aber länger gewünscht", sagt Obermayr. Denn gerade in Schammach gäbe es eigentlich Entwicklungspotenzial für Siedlungen, aber eben nur, wenn es auch einen Lärmschutz an der Bahn gebe. "Bauland ist knapp", sagt die Bürgermeisterin, aber ohne Schallschutz dürfe die Stadt neben der Strecke keine Baugebiete ausweisen.

Ein ähnliches Problem gibt es auch in Zorneding, gerade auf Pöringer Seite der Bahnlinie könnten in den kommenden Jahren zusätzliche Wohngebiete entstehen. Darauf hatte Bürgermeister Piet Mayr (CSU) bereits bei der Vorstellung der Studie hingewiesen und eine eher ausweichende Antwort erhalten. Die Gemeinde möchte deshalb mehr Auskünfte, wie Mayrs Stellvertreterin Bianka Poschenrieder (SPD) sagt. Darum habe man die Planer der Studie für Anfang Juni ins Rathaus eingeladen, bei dem Termin mit den Bürgermeistern, Mitarbeitern des Bauamts und Vertretern aller Fraktionen sollen die möglichen Lärmschutzmaßnahmen in Zorneding genau erläutert werden.

Die Meinung der Anwohner komme zu kurz

Neben dem möglicherweise unzureichenden Lärmschutz kritisiert Poschenrieder aber auch das Verfahren selbst. Dass der Brennerbasistunnel kommt "ist doch ewig bekannt", sagt Poschenrieder, "nur in Deutschland hat man ewig gebraucht, um in die Puschen zu kommen". Nun würde "Druck aufgebaut", die Gemeinden sollten möglichst schnell Stellung nehmen, ohne dass man etwa Zeit habe, eigene Gutachten zu erstellen oder die Bürger zu befragen. Besonders letzteres kommt für Poschenrieder bei der aktuellen Studie deutlich zu kurz: "Man müsste mehr mit den Anwohnern sprechen."

Wie deren Antwort aber ausfiele, sollten wirklich einmal doppelt so viele Züge an ihren Häusern vorbeidonnern, kann sich Poschenrieder schon jetzt vorstellen: "Das kann man als Anwohner nicht akzeptieren", gerade die Pläne für mehr Nachtfahrten und zusätzliche Güterzüge auf den S-Bahn-Schienen seien nicht durchdacht. "Das ist die völlig falsche Verbindung, hier ist das Gelände bis direkt an die Schiene bebaut." Besonders für den Güterverkehr solle man andere Strecken suchen, findet Poschenrieder, und verweist auf Überlegungen, die Routen über Mühldorf und Rosenheim-Aying mehr für den Brenner-Zulaufverkehr zu nutzen.

Gleise werden auch für zusätzliche S-Bahnen benötigt

Auf diese Ausweichstrecken hofft man auch in anderen Anliegergemeinden: "Es wäre wünschenswert, wenn man die Strecke anderweitig entlasten kann", sagt Vaterstettens Bürgermeister Georg Reitsberger (FW). Zwar begrüße er die angekündigten Lärmschutzmaßnahmen, wie Schienenstegdämpfer und verbesserte Schallschutzwände. Dass aber eines Tages der gesamte Brenner-Verkehr durch die Großgemeinde fährt, hält er für keine gute Entwicklung. Ähnlich sieht das Kirchseeons stellvertretende Bürgermeisterin Barbara Burgmayr-Weigt (CSU): "Ich hoffe, dass das hier nicht die Hauptroute wird, und dass das nicht alles über unsere Strecke fährt." Dass diese für eine Verdoppelung der Fahrten ausgebaut werden kann, sei ohnehin zweifelhaft - auch und gerade bei Nutzung der S-Bahn-Gleise. Schließlich müsse der öffentliche Nahverkehr mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten, daher werde man die Schienen für mehr S-Bahnen benötigen.

Noch deutlicher wird Ludwig Steiniger von der Kirchseeoner Bürgergruppe für Sicherheit und Lärmschutz an der Bahn. Bereits heute und trotz aller Lärmschutzmaßnahmen, "liegt die Lärmbelastung weit oberhalb der grundrechtlichen Zumutbarkeitsgrenze." Wenn irgendwann auch noch Güterzüge auf den S-Bahnschienen fahren, könnten diese "die Anwohner wesentlich stärker belasten sowie bei der Durchfahrt an den Bahnsteigen wartende Fahrgäste gefährden", schreibt Steiniger in einer Stellungnahme zum Bundesverkehrswegeplan. Statt Strecken, wie jene von Trudering nach Grafing, für den Güterverkehr zu optimieren, sollte man über "Eisenbahn-Ortsumfahrungen" nachdenken. Schließlich verliefen bereits nahezu alle Autobahnen außerorts, und der Bundesverkehrswegeplan sehe "weit über 100 Bundesstraßen-Ortsumfahrungen . . . hingegen kein einziges Projekt einer Eisenbahn-Ortsumfahrung" vor.

Signale, die Hoffnung machen

Dass die großen Züge die kleinen Stationen aber eines Tages einfach links liegen lasen, ist eher unwahrscheinlich. Mehr Gleise zu verlegen - entsprechende Pläne gibt es beispielsweise für den Streckenabschnitt Grafing Bahnhof Richtung Ostermünchen - werde wohl schwierig, meint Obermayr. "Ich sehe nicht, wo die zusätzlichen Schienen noch hinpassen", schließlich sei auch hier oft bis direkt ans Gleis bebaut. Und, so Burgmayr-Weigt: "Dass wir einen Tunnel bekommen, wird wohl nicht passieren."

Allerdings gibt es auch Signale, die Hoffnung machen: SPD-Bundestagsabgeordneter Ewald Schurer hat in den vergangenen Monaten unzählige Gespräche über das Thema auch mit Vertretern der Bahn geführt. Diese hätten immer wieder erklärt, in ihren Augen wäre es unmöglich und auch nicht sinnvoll, den gesamten Verkehr vom und zum Brenner durch die Landeshauptstadt zu führen.

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: