Kultur im Landkreis Ebersberg:Auf einen Plausch mit den Ritters

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In seiner Unauffälligkeit im heutigen Baldham fast schon auffällig: Das Haus der Künstler Martin und Ulrich Ritter. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein kleines Haus im Baldhamer Fuchsweg steckt voller lebendiger Zeugnisse zweier ungewöhnlicher Menschen und Künstler.

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Die Redewendung "Wenn Wände erzählen könnten" hat etwas Verführerisches. Denn sie scheint zu versprechen, dass ein Lauschen am Original einem das Echte, Wahre, Unverfälschte vermittelt. Dass es eine unmittelbare Begegnung mit jenen möglich macht, die sich in Vergänglichkeit verwandelt haben. Weil es keine Live-Protokolle gibt, kein unmittelbares Echo des Lebens. Das Haus Ritter in Baldham ist ein glaubwürdiger und, buchstäblich, ansprechender Beweis dafür, wie sehr ein solches Versprechen täuschen kann. Weil es gar nicht um Nachhören eins zu eins geht. Sondern um das, was die Menschen innerhalb der Mauern an Gedanken freigesetzt haben, welcher Geist sie beflügelte und wie dieser bis heute noch wirkt. "Genius loci" nennt man das dort, wo die Goethes und Mozarts und Galileis gewohnt haben und sich inspirieren ließen.

Das künstlerisch Erbe Martin Ritters ist umfangreich, wie sich gleich beim Eintreten in das Haus am Fuchsweg zeigt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Es gibt diesen schöpferischen Geist indes auch an kleineren, versteckten Orten wie dem kleinen Häuschen im Norden Baldhams, nahe am Wald, in einer Straße, die "Fuchsweg" heißt, weil sie früher einer war. Zur Kaffeezeit an einem Samstagnachmittag, wenn der Verein Notturno dort die Türen öffnet, wo einmal der Maler Martin Ritter gedacht, gemalt, gelebt hat, gerade dann ist der Schritt durch die Haustür ganz normaler Alltag. Es ist der Beginn eines Besuches bei Freunden. Der imaginäre Hausherr ist nur gerade woanders. Im Atelier vielleicht oder in der kleinen Küche? Auf dem Dachboden? Auf einem Spaziergang den Fuchsweg entlang?

Als wäre der Künstler nur kurz vor die Tür gegangen wirkt das Domizil des 2001 verstorbenen Baldhamer Malers Martin Ritter. (Foto: Peter Hinz-Rosin)
... und auch der Fußboden zeugt noch immer von intensiver malerischer Tätigkeit. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Neugier weist den Weg durch die Flure und Zimmer. Wo andere gerade, angeregt ins Gespräch, herauskommen, da wollen wir doch selbst mal kurz nachsehen. Das kleine Zimmer am Endes des Gangs etwa, ein bisschen Werkstatt, ein bisschen Archiv. Ein paar Malpaletten, die an der Wand hängen, zeigen seinen Umgang mit Farben und deren Mischungen. Als würde er gleich wiederkommen und sich an die Arbeit machen, den Blick auf die Herbstfarben vor dem Fenster gerichtet, durch die das Türkis des Pools beim Nachbarhaus hereinleuchtet. Allgegenwärtig bei Ritter sowieso das Blau, das immer wieder in seinen Bildern auftaucht, mal klein, als unscheinbarer Schmetterling, mal leuchtend wie der Rittersporn vor Ruinen, einem seiner ikonischen Motive. Wilde Muster von Farbtropfen wiederum, achtlos aufs billige Linoleum verteilt, geben eine Vorstellung davon, wie vertieft er in seine Arbeit war, wie nebensächlich Kleinigkeiten wie ein "sauberer Boden" sein Dasein berührten. Es wäre mal interessant, ihn zu fragen, was er davon hält, dass ein Jackson Pollock aus dem "Dripping" eine Kunstform gemacht hat.

Matthias Kortemeier, Werner Steinmetzger, Irene Dingler und Volker Heeger (von links) vom Verein Notturno kümmern sich um das künstlerische Erbe von Vater und Sohn Ritter. (Foto: Peter Hinz-Rosin/Photographie Peter Hinz-Rosin)

Selbst wenn dieses Gespräch eine Gedankenspiel bleibt, dann sind da ja noch die anwesenden Notturno-Mitglieder, die den Fragenden zur Seite stehen. Irene Dingler zum Beispiel steckt voller Erinnerungen an Martin Ritter, den Vater, und seinen Sohn, Ulrich. An zwei Künstler, deren Leben eng miteinander verknüpft war. Die aber miteinander im Widerspruch standen, weil der eine seinen Ausdruck im Malen fand, der andere in der Sprache, auf der Bühne und im Studio. Gemeinsam war beiden wohl ein gewisser nachlässiger Umgang mit dem, was andere ein "geordnetes Leben" nennen, bis hin zur Unbeholfenheit im Umgang mit ihrer Gesundheit. Einen Topf Hühnerbrühe, so erinnert sich Dingler, habe sie gekocht und vorbeigebracht, um Martin Ritter bei einer schweren Erkältung wieder auf die Beine zu bringen.

Dem 2008 mit nur 62 Jahren gestorbenen Interpreten, Autor und Philosophen Ulrich Ritter ist das Obergeschoss des Hauses gewidmet. (Foto: Peter Hinz-Rosin/Photographie Peter Hinz-Rosin)

Was das mit Kunst zu tun hat? Eine Frage, die sich stellt, wenn man das Haus nur von außen betrachtet. Sobald man es betreten, ein bisschen in den ausliegenden Biografien und Katalogen geblättert und sich mit der Atmosphäre der Räume angefreundet hat, ist sie beantwortet. Auf Schritt und Tritt bewegt man sich durch das Leben eines Menschen, dem das Kopfschütteln der anderen weniger bedeutete als der eigene Herzschlag, dem Geradlinigkeit und Werte über Karriere und Kommerz gingen. Selbstverständlich hätte er im "Dritten Reich" eine Professur annehmen können; hat er aber nicht. Selbstverständlich hätte er mit dem Verkauf seiner bekannten Blumenbilder ein auskömmliches Leben führen können; hat er aber nicht, weil er erstens seine Bilder nur ungern verkaufte und zweitens so viele weitere Motive vor sich sah, die nichts mit Blumen zu tun hatten. Die Porträts bildschöner Frauen zum Beispiel, allesamt aus seiner Fantasie geboren, weil er nach Realvorlage gemalte Bilder nur als verlängerte Fotografien sah. Von Raum zu Raum begleitet Irene Dingler ihre Gäste, Räume mit offenen Zugängen, in denen sie gleichwohl mit ihrem persönlichen Schlüssel die Türen und Schubladen zu zwei reichen Leben öffnet.

Die Dame auf der Aktzeichnung im Badezimmer entsprang wohl Martin Ritters Fantasie, nach realen Vorbildern malte er nur ungern. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mittelpunkt des Geschehens ist das Wohnzimmer, gleich rechts nach dem Eingang. Was unsereins eben als Wohnzimmer bezeichnet. Die ersten, die nach Martin Ritters Tod 2001 den Raum betraten, fandet einen dschungelgleichen Lebensraum von Büchern, Mappen, Arbeitsmitteln vor, mittendrin ein Bett und durchquert von einem schmalen Pfad zwischen Zimmer- und Terrassentür. Mit aufmerksamer und freundlicher Hand haben die Mitglieder des Vereins das kreative Durcheinander geordnet, einen Ort des Schauens, Nachdenkens und der Begegnung daraus gemacht. Das funktioniert ohne großes Aufheben. Irgendwann nimmt sich jemand einen Stuhl, setzt sich an den Wohnzimmertisch. Einige andere folgen und aus dem Small Talk der sich gerade noch Fremden im Stehen entwickelt sich eine angeregte Gesprächsrunde. Über Fußball, weil einer von draußen gerade die Bundesligaergebnisse hereinbringt, über Journalismus und Schriftsetzerei, weil zwei dabei sind, bei denen das zur Biografie gehört, über die Verbindung zwischen Computerei und Kunst, ebenfalls aus unmittelbarer Lebensnähe bei einem aus der Runde. Der unsichtbare Hausherr sitzt mit dabei und lauscht aufmerksam, fühlt sich vielleicht zu einem neuen Bild inspiriert - und allen am Tisch ist das recht, weil sie ahnen, dass es vor vielen Jahren in diesem Haus, in diesen Räumen ähnlich gewesen sein muss.

Das kleine Haus ist wortwörtlich bis unters Dach gefüllt mit dem Nachlass der beiden Künstler. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Einladung, die der Notturno-Vorstand am Ende des Besuchs ausspricht, folgt dem Selbstverständnis, mit dem sie das Haus Ritter zu einem Nicht-Museum gestaltet haben. Ob es nun ein Geburtstagstee sein soll, ein Plausch unter Freunden außerhalb des Üblichen oder eine Einladung an persönliche Gäste zum Miteinander an einem Ort voller Bilder und Geschichten: Eine einfache Anfrage genüge, dann würden sich die Türen und Räume öffnen. Das sei im Sinn von Martin und Ulrich Ritter, im Sinn des Vereins, der ihr Erbe am Leben erhält, im Sinn einer Gemeinde, die etwas teilen können, was es andernorts nicht gibt - und im Sinn der Wände, die etwas Neues zu hören bekommen, das den Geist bereichert, der in ihnen wohnt.

"Künstlerhaus Ritter", Fuchsweg 90 in Baldham, wieder geöffnet am Freitag, 17. November, und Samstag, 25. November, jeweils 14 bis 18 Uhr.

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