Musiker aus Baldham im Porträt:Der mit den Blättern tanzt

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Till Martin, Saxophonist und Komponist aus Vaterstetten (Foto: Quirin Leppert/oh)

Till Martin sticht als Komponist und Instrumentalist selbst in der bunten Jazz-Szene wegen seiner ganz eigenen Farben heraus - nun auch wieder bei der "Marktmusik" in Vaterstetten.

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Bei der nächsten "Marktmusik" in der Vaterstettener Pfarrkirche wird wieder einmal Till Martin zu Gast sein, er begleitet die Reihe schon seit Beginn an, gemeinsam mit anderen, aber auch solistisch. Theoretisch bräuchte er sich auch nur aufs Fahrrad zu schwingen, um von seinem Baldhamer Zuhause in die Kirche zu gelangen. "Aber mit dem schweren Instrument nehme ich dann doch lieber das Auto", sagt er mit Blick auf sein Saxofon. "Herbstblätter" ist das Konzert überschrieben, das er zusammen mit Matthias Engelhardt am E-Bass und Chris Gall am Piano improvisieren wird. Denn so rot-orange-gelb-braun-bunt diese Blätter auch daherkommen, durch den Kirchenraum werden sie an diesem Vormittag schweben umgeben vom blauen Schimmer des Jazz. Über die exakten Titel hat sich Martin einige Zeit vor dem Konzert aber noch gar keine Gedanken gemacht. Brauche er auch nicht, denn "mit den beiden zusammen kann es nur gut werden. Da müssen wir einfach ein paar Blätter zusammenrechen", sagt er. Wie das eben so ist im Jazz, wo Menschen die Musik machen, nicht die Noten.

Till Martin zuzuhören, bedeutet eine Begegnung mit geradlinigem, schnörkellosem Jazz. Wer trotz seiner regelmäßigen Auftritte im Landkreis noch keine Gelegenheit dazu hatte, kann sich auf eine Entdeckungsreise durch eine inzwischen beachtliche Reihe von Einspielungen begeben. Dabei offenbart sich ein markanter, unverwechselbarer Stil, ein leichtes, aber bewegendes Dahinerzählen kleiner Geschichten, wie sie der Komponist Martin genauso schätzt wie der Instrumentalist. Besonders spannend wird es, wenn er vom Saxofon zur Bassklarinette wechselt. Denn dann zeigt sich die Zärtlichkeit eines Liebhabers, der allen anderen die schöne Seele seiner Geliebten zeigen will. Ein gutes Beispiel dafür ist schon mehr als 20 Jahre alt, voller Leben und Freude am Detail: das Album "Musik für Wohnzimmer", das Martin mit seinem Quartett aufgenommen und dafür den Preis der Deutschen Schallplattenkritik erhalten hat.

Das Publikum dürfe man durchaus auch geistig fordern, findet der Komponist

Offen zu sein für Unerwartetes, einen eigenen Stil leben, das spiegelt sich auch in den Bands und Projekten, die Till Martin aufgebaut und entwickelt hat. "Ich kümmere mich erst um die Musik, dann um die Band, und erst danach schaue ich mich um, wo und vor welchem Publikum diese spielen kann", macht er seine Prioritäten deutlich. "Man kann nicht jeden Abend das Programm anpassen, weil das Publikum hier anders ist als dort." Dieser Haltung entspringen so außergewöhnliche Konzerte wie "The Gardener", zu dem es in dieser Zeitung hieß: "Martin komponiert und arrangiert mit der verneigenswerten Präzision eines erfahrenen Diamantenschleifers." Solche Konzeptalben seien etwas Spezielles, er sehe keinen großen Sinn darin, "Mainstream-Sachen" zu schreiben, merkt der Baldhamer dazu an, dass er das Publikum auch geistig fordert, anstatt es nur mit Emotionen zu ködern.

Martins Verhältnis zur klassischen Musik ist zwiegespalten. Was ihn davon trennt: Er will nicht mit seiner Interpretation ein Opus neu erfinden. "Da spiele ich lieber das Original." Was ihn mit der Klassik verbindet: "Ich schätze diese Art der Strenge." Im Ensemble Sarabande kommt das mit umwerfender Kraft zum Vorschein. Das Album heißt "Die Arabische Passion nach J.S. Bach", verbindet europäische Klassik mit arabischen Instrumenten sowie Jazz-Saxofon und hat, nach einem Auftritt im Lincoln Center, den Kritiker der New York Times zu einer schriftlichen Verneigung veranlasst. Nicht zuletzt deshalb, weil Martin als Komponist nicht herausragt, sondern sich stets auch als Mit-Spieler versteht. Weshalb er auch als solcher gefragt ist und die Gelegenheit dazu stets gern wahrnimmt: "Meine Inspirationswelt kenne ich ja schon. Wenn ich die Musik anderer Leute spiele, ist das hochinteressant, weil sie ja ganz anders gestrickt ist."

Chris Gall, einen seiner beiden Mitspieler bei der Marktmusik, kennt Till Martin seit langem, sie haben schon in verschiedenen Besetzungen zusammengespielt. Was die beiden verbindet? Dass sie ihre Musik eher wie Skulpturen behandeln denn wie Bilder. Dass sie Fantasie als etwas verstehen, das sie bei ihren Zuhörern anspielen, statt sie selbst exzessiv auszuleben. Und dass sie die Spiritualität im Umgang mit ihren Instrumenten suchen, nicht in der großen Show. Was die beiden Baldhamer Gall und Martin noch miteinander teilen, ist die Begeisterung für Fußball. Bei Konzertanfragen schaut Martin erst in den Spielplan der Champions League, bevor er zusagt. "Da lasse ich mich nicht überraschen. Das wird genau geprüft", sagt er. Es gebe zwar Geschichten von Kollegen, die über einen kleinen Fernseher das Spiel beim Spiel verfolgt hätten, aber "für mich gibt es immer nur eins von beidem".

Beim Jazz begibt Martin sich zu den Wurzeln: Charlie Parker, John Coltrane, Miles Davis

Wo Martins musikalische Inspiration herkommt, was er in seiner Freizeit bevorzugt hört? Da gibt es zunächst ein Lachen und dann: "Zur Entspannung am liebsten gar nichts. Ansonsten höre ich sehr intensiv zu, sehr gerne auch Sachen, die ich noch nicht kenne." Beim Jazz begibt Martin sich gern zu den Wurzeln, dorthin, wo das Zuhören nach hundert Jahren immer noch Spaß macht: Charlie Parker, John Coltrane, Miles Davis. "Das liebe ich." Nicht von ungefähr hat er 2017 sein bisher letztes Album "Knit for Elly" genau jenem Kreis gewidmet. Und plötzlich kommt das Gespräch auf Schwarz-Weiß-Filme, und man erfährt, dass Martin immer wieder an der Vertonung von Stummfilmen beteiligt ist. "Das ist eine ganz andere Dramaturgie als bei heutigen Filmen", sagt er und lässt seine Begeisterung darüber erkennen, aus diesen bewegten Bildern Musik zu machen. Erst kürzlich war er bei der Vertonung einiger Laurel-und-Hardy-Filme dabei: "Großartig! Obwohl ich die schon häufig gesehen habe, muss ich immer wieder herzhaft lachen."

Bei der Marktmusik wird sich Till Martin freuen, unter denen, die sich die bunten Herbstblätter um die Ohren wehen lassen, auch Nachbarn und Freunde zu treffen. "In einer Kirche zu spielen, ist wegen der Raumwirkung immer etwas Besonderes", sagt er. "In einer Kirche daheim zu spielen, mit Menschen, die man mag und die man kennt, ist noch besser. Es ist richtig nett." Wobei er das Wort so ausspricht, wie es ursprünglich einmal gemeint war.

Marktmusik am Donnerstag, 10. November, von 10.15 bis 10.45 Uhr in der katholischen Pfarrkirche Vaterstetten: ein Jazz-Trio aus Chris Gall (Piano), Till Martin (Saxofon) und Matthias Engelhardt (E-Bass) spielt Improvisationen und Eigenkompositionen. Der Eintritt ist frei, Spenden werden erbeten.

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