Kaberett in Ebersberg:Als die Welt noch übersichtlich war

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(Foto: Christian Endt)

Mit "Im Fluss" liefert Urban Priol im Alten Speicher Ebersberg nicht nur Gassenhauer, sondern auch ernste Töne

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

"N'Abend!" Nonchalant und in gewohnter Eile betritt der Mann mit Föhnfrisur, bunt bedrucktem Hemd und Weißbierglas am Donnerstagabend die Bühne des Alten Speichers, legt seine Armbanduhr auf den Stehtisch und beginnt zu reden. Zweieinhalb Stunden lang, kurze Pause inklusive, aber eigentlich redet er pausenlos. Urban Priol ist zurück. "Im Fluss", heißt sein neues Programm, und treffender könnte ein Titel kaum sein: Der 59-jährige Kabarettist gönnt sich und den Zuhörern keine Zeit zum Entspannen, nur ab und zu nippt er an seinem Bier, ansonsten hat er zu so ziemlich allen aktuellen und auch nicht mehr ganz so aktuellen Themen was zu sagen. Alles fließt.

"Schön, nach der langen Zwangspause", sagt Priol und fällt mit der Tür ins Haus, beziehungsweise mit dem Thema in den Abend: Corona. Wie war das anfangs, als man noch nicht so richtig über das Virus Bescheid wusste? Wurde da nicht auch gewarnt? "Bloß keine Masken!, haben alle gesagt - weil wir keine hatten", sagt Priol. Auch die bundeslandspezifischen Einschränkungen hätten ihn verwirrt. Er, der als "Randbayer" nahe der hessischen und der baden-württembergischen Grenze lebt, musste teils seine Freundin im Kofferraum des Autos über die Grenze schmuggeln, um im Wald spazieren gehen zu können, erzählt er. Oder auch das mit dem Eisessen: Warum durften in Bayern die Eisläden öffnen, während dies in Hessen untersagt war? "Das muss Taktik sein. So verwirrt man das Virus."

Priol ist ein Meister des Verhaspelns, er lässt Sätze unvollendet im Raum baumeln, um sie dann später wieder zu fassen zu kriegen und ein bisschen weiter an ihnen herumzustricken. Doch eigentlich ist sowieso alles lustig, was er sagt, wenn es nach dem vorwiegend aus älteren Menschen bestehenden Publikum geht - sei es aus Wiedersehensfreude oder aus guter Laune heraus. Manchmal reicht ein Wort, ein kurzer Satz von Priol, und die Leute in Ebersberg johlen. "I bin so schön, i bin so doll, i bin der Virus aus Tirol!", dichtet Priol den österreichischen Schlager um, schwingt ein bisschen das Beinchen und bringt sein Publikum damit zum Brüllen vor Lachen. Und ja, Allgemeinplätze sind an diesem Abend herzlich willkommen.

Weil sich Priol über so ziemlich alles aufregen kann, was die moderne Welt ihm bietet, finden auch die Zuschauer immer wieder Empörungspunkte oder Erlebnisse aus ihrer Alltagswelt, die sie mit ihm teilen. Eigentlich erzählt Urban Priol da vorne auf der Bühne größtenteils nur, was sie selbst tagtäglich erleben, und so ist das Lachen auch ein kleines bisschen ein Lachen über sich selbst. Zum Beispiel beim Fernsehschauen. Nach "Frauentausch", "Verklag mich doch, du Arschloch" und "Blaulichtreport" landet man doch immer wieder wo? "Corona!", rufen die Zuschauer bereitwillig. "Nein! Schlimmer! Bares für Rares!", ruft Priol verzweifelt zurück.

Was immer zieht, sind Urban Priols mal knappe, mal meterlange Etikettierungen. Der Berliner Flughafen? Eine "vorpolnische Ackerbrache". Die Union? Ein "multiresistenter Keim". Kanzleramtschef Helge Braun? "Dick und Doof in einer Person." Wenn Priol nicht mehr weiß, was er sagen soll - so verquer und absurd erscheint ihm die Welt - lacht er kehlig, schluchzt verzweifelt, oder lässt einfach nur ein fassungsloses Stöhnen hören.

Der zweite Teil des Abends ist deutlich anspruchsvoller, aber auch anstrengender und langatmig. Priol verbeißt sich in der europäischen Politik, der deutschen Steuerpolitik, der sozialen Ungleichheit. Das ist ehrenwert, unterhaltsam aber nicht immer. Stellenweise fühlt sich die letzte Stunde des Programms an wie eine Politikvorlesung, da wird die FDP an ihre Grundsätze erinnert, Gerhard Schröder mit Blick auf seine Anfänge ermahnt.

Zum Schluss wird es ernst. Urban Priol präsentiert sich als der verlorene Jedermann, der verzweifelt die Sterne um Hilfe anruft, stecken geblieben in einer Zeit zwischen "Dalli Dalli" und Verkaufsfernsehen, als die Welt noch übersichtlich war. "Demokratie ist manchmal echte Sisyphosarbeit", sagt Priol. "Man rollt und rollt und rollt - das kenn ich von Pilates." Zeus erscheint, in Gestalt von Winfried Kretschmann, und ermahnt ihn, Urban Priol, auch das Positive zu sehen, das Wahre und das Schöne. Schließlich haben schon die französischen Philosophen gewusst: Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen. Also? "Also machen wir das Beste draus", gibt Priol seinen Gästen mit auf den Weg.

Und tatsächlich scheint der Abend neben Erheiterung auch noch etwas anderes ausgelöst zu haben. Nach der Vorstellung unterhalten sich zwei ältere Damen. "Und du weißt nicht, wem du vertrauen kannst", zitiert die eine den Kabarettisten. "Nein", pflichtet ihr die andere bestimmt bei und nickt vor sich hin. Und so erhält der Abend, nach einigem Haudrauf und brachialer Politikerschelte, noch eine eher nachdenkliche Note.

© SZ vom 17.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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