Ukrainisches Kinderfest:Ein Hauch von Heimat

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Der absolute Höhepunkt beim Kinderfest Unterm First ist natürlich die Ankunft vom "Mikolai", dem Nikolaus. (Foto: Christian Endt)

Der Krieg hat auch das ukrainische Weihnachten durcheinander gebracht. Bei einem Fest in Ebersberg dürfen ukrainische Kinder nachfeiern - unbeschwert ist jedoch kaum jemand.

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Am meisten, das ist ja klar, freut sich der siebenjährige Ramon auf den Nikolaus. Denn der bringt Geschenke. Und schon flitzt der Junge aus Kiew wieder los, durch den holzvertäfelten Saal "Unterm First" im Klosterbauhof in Ebersberg. Seit Februar ist Ramon mit seinen Eltern in der Kreisstadt, geflohen vor dem Krieg in seinem Heimatland - wie rund zwanzig andere Kinder, die sich mit ihren Familien an diesem Nachmittag hier eingefunden haben. Auch die Zwillinge Sascha und Vlad, beide fünfeinhalb, freuen sich vor allem auf den Nikolaus: "Wir haben keine Angst vor ihm, niemals", sagen sie auf Ukrainisch und schütteln vehement die Köpfe. Die beiden sind mit ihren Eltern seit März in Ebersberg, geflohen aus Odessa.

An den Holzbalken des Saals hängen Lichterketten und Weihnachtsschmuck, vor einem Halbkreis aus Stühlen ist ein kleiner Weihnachtsbaum aufgestellt, im Hintergrund die ukrainische Flagge. Obwohl der Januar schon in die dritte Woche geht, wird an diesem Tag das ukrainische Weihnachten nachgefeiert. Organisiert haben das Kinderfest ehrenamtliche Helfer, mit Unterstützung der Stadt Ebersberg.

Organisieren und moderieren das Kinderfest: Animateurin Lidiia Nitzora, Leoni Jörg, Alla Budnichenko, Melanie Eglseder, Olga Siegel und Bürgermeister Uli Proske (von links nach rechts). (Foto: Christian Endt)

Die Idee dazu hatte Olga Siegel, selbst gebürtige Ukrainerin, die schon seit vielen Jahren in Ebersberg lebt. "Im Dezember gab es überall Weihnachtsfeiern, in Kindergärten, Vereinen", erzählt sie. "Wir haben uns gefragt: Und wohin gehen die ukrainischen Kinder?" Auch wegen sprachlichen Problemen hätten die ukrainischen Geflüchteten kaum an hiesigen Weihnachtsfeiern teilgenommen. Also entschieden Olga Siegel und die anderen freiwilligen Helfer: "Wir brauchen ein Fest."

Weil es aus organisatorischen Gründen im Dezember nicht mehr damit geklappt hat, fällt das ukrainische Fest nun eben auf den 13. Januar. Nicht so schlimm, findet Olga Siegel: Dieses Jahr gebe es keine Regeln für das Weihnachtsfest. Nach einem Dekret von Präsident Wolodymyr Selenskyj soll das ukrainische Weihnachtsfest nun dem europäischen Kalender angeglichen werden - ein deutliches Zeichen der Emanzipation von Russland. In diesem Jahr stand es allen ukrainischen Familien noch frei, an welchem Tag sie feiern, am europäischen 24. Dezember oder am sowjetischen 7. Januar. Alla Budnichenko, eine der ehrenamtlichen Initiatorinnen des Kinderfests, erzählt, dass sich 65 Prozent der Ukrainer bereits heuer für den 24. Dezember entschieden hätten.

Der Nussknacker ist ein lieber Mann, findet der kleine Felix - vielleicht, weil er auch so einen Rauschebart hat wie der Nikolaus. (Foto: Christian Endt)

Die Eltern der Zwillinge Sascha und Vlad freuen sich sehr über die Feier. "Es gibt zu wenig solcher Treffen", sagt der Vater. Wie viele andere Familien hier kämpfen sie mit dem Problem, keine Kindergartenplätze zu haben. Die beiden Jungs sollten eigentlich in die Vorschule gehen, nun fehlt es an Kontakten. Die Fünfjährigen genießen sichtlich den Trubel und den Hauch von Heimat.

Wenn Ukrainer feiern, dann darf es an gutem Essen nicht mangeln. Und so stehen an diesem Nachmittag ukrainische Spezialitäten auf bayerischen Biertischen zur Verfügung. Ein Hingucker ist etwa Schuba, ein rosaroter Schichtsalat, den man auf den ersten Blick für eine Süßspeise halten könnte. "Nein, nein!", sagen ein paar ukrainische Frauen, die vor den Biertischen stehen, und lachen. Mit Händen und Füßen erklären sie, was im Schuba alles drin ist: zuunterst Fisch, dann geriebene Kartoffeln, Mayonnaise, gekochte Karotten und ganz oben rote Beete - ein Gedicht. Auch Wareniki gibt es, gefüllte Teigtaschen, sowie Blintschiki, mit Quark und Fleisch gefüllte, gerollte Pfannkuchen.

Sieht aus wie eine Süßspeise, darunter ist aber Matjes versteckt: "Schuba" ist ein typisch ukrainischer Schichtsalat. (Foto: Christian Endt)

Und weil Ukrainer mit ihren Kindern unter dem Weihnachtsbaum traditionell eine Art Olympiade veranstalten, animiert Lida die Kinder zum Spielen. Lida ist eine 24-jährige Ukrainerin, die in ihrem Leben vor dem Krieg Lehrerin war; sie trägt einen Blazer und eine festliche Miene, und die Kinder schließen sie sofort ins Herz. Jeder, der mitspielen will, darf nach vorne kommen. Die Kinder werden in zwei Gruppen eingeteilt und müssen es nun schaffen, Wattebäusche in Eimer zu werfen. "Tre, dva, odin", zählt Lida den Countdown runter, und los geht die Watteschlacht. Ein Junge ruft ins Publikum: "Mama!", zeigt stolz einen Knäuel aus Wattebäuschen - und wirft astrein daneben. Großes Gelächter. Aber wer an diesem Nachmittag die meisten Treffer hat, wer gewinnt, das ist eigentlich egal. Alle scheinen die gemeinsame Zeit, die gemeinsame Kultur und Sprache zu genießen.

Höhepunkt ist natürlich das Eintreffen des Nikolaus'. Mit roter Mitra, goldenem Stab und Rauschebart bahnt er sich den Weg durch die jubelnde Kinderschar. Auf Ukrainisch ruft er: "Wart ihr auch alle brav? Habt ihr auch alle auf die Eltern gehört?" Natürlich bejahen das alle Kinder aus voller Kehle, so manche Mutter kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Kleine Päckchen mit Schokolade und Mandarinen, von den Ehrenamtlichen und Mitarbeiterinnen der Stadt Ebersberg geschnürt, werden an die aufgeregten Kinder verteilt.

Viel zu wenig solcher Treffen gebe es, sagt ein Vater: Alle genießen die gemeinsame Zeit, die gemeinsame Kultur und Sprache. (Foto: Christian Endt)

Rusudan, eine junge Frau mit einem schlafenden Einjährigen auf dem Arm, lächelt schüchtern. Auf Deutsch sagt sie: "Ich fühle mich gut hier. Eine warme Atmosphäre, alle sprechen miteinander, die Kinder spielen." Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern seit neun Monaten in Ebersberg, ihre Heimatstadt ist Kiew. Rusudans Mann arbeitet bereits als Arzt im Krankenhaus in Ebersberg; sie selbst ist Radiologin und hat sich für ein Praktikum in der Klinik beworben, damit sie auch möglichst schnell wieder in ihren Beruf einsteigen kann. Weihnachten wird in Rusudans Familie dieses Jahr zweimal gefeiert, einmal im Dezember und einmal im Januar. "Geschenke gibt es aber nur einmal", sagt Rusudan und lacht.

Noch in altem Stil am 7. Januar gefeiert hat Hanna mit ihrem Mann und ihren Söhnen Bagdan, 7, und Vrad, 5 Jahre alt. Die vier kommen aus Charkiw - und können sich keine Rückkehr mehr in die Ukraine vorstellen. Auch Vrad hat wie viele andere ukrainische Kinder hier keinen Kindergartenplatz bekommen und ist die meiste Zeit ohne soziale Kontakte außerhalb der Familie, erzählt Hanna. Sie mache sich Sorgen, dass sich ihre Kinder nicht genug sozialisieren in Deutschland. Ihr ist es wichtig, anzukommen in der neuen Heimat, sich zu integrieren. Schwierig werde es, wenn sie und ihr Mann die Integrationskurse besuchten - bisher müsse immer einer bei Vrad bleiben und ihn beaufsichtigen.

Zuhause, sagt Hanna, hätte immer die ganze Familie zusammen Weihnachten gefeiert, auch die Urgroßmutter sei dabei gewesen. Weil aber die meisten Verwandten zu betagt seien, hätten sie nicht mit nach Deutschland fliehen können. "Es ist schwierig, und das Herz tut weh", sagt Hanna und versucht dabei zu lächeln. Was ihr beim Anblick der fröhlichen Kinder durch den Kopf geht, beschäftigt wohl die meisten Erwachsenen hier im Saal: Ein schönes Fest sei das - aber auch ein trauriges.

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