Grüne im Kreis Ebersberg:Die Basis hält die Füße still

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So manches Ideal aus den Achtzigerjahren haben die Mitglieder der Grünen im Zuge der vergangenen Monate aufgeben müssen, Bundestagskandidat Christoph Lochmüller (im Hintergrund) macht ein Foto einer offensichtlich aus alten Zeiten stammenden Grünen-Reliquie. (Foto: Christian Endt)

Der Grünen-Landesvorsitzende Thomas von Sarnowski hat in seinem Heimatlandkreis wenig Mühe, die Zeitenwende in der Bundespolitik zu erklären.

Von Mathilde Wicht, Poing

Es ist Mittwochabend und die Stimmung ausgelassen in der Poinger Einkehr. Das hätte man vielleicht anders erwarten können. Die Kreisgrünen, die sich hier zusammengefunden haben, hätten Grund genug für hitzige Diskussionen: Waffenlieferungen an die Ukraine, das vom Bundestag beschlossene Sondervermögen, die durch Russland verursachte Gaskrise und zuletzt die Reaktivierung von Braunkohlekraftwerken, die in Robert Habeck ausgerechnet ein Wirtschaftsminister aus den eigenen Reihen soeben verkündet hat. Doch Thomas von Sarnowski, zugleich Landesvorsitzender und Ebersberger Kreisverbandsmitglied, hat im gut gefüllten Saal keine allzu große Mühe, die Politik der Regierungskoalition zu vertreten.

"Russland hat ein freies, souveränes Land angegriffen und so Millionen Menschen Leid zugefügt", so von Sarnowski. "Wir haben eine Verantwortung. Wir sind voller Solidarität mit den Menschen in der Ukraine." Zwar habe die deutsche Geschichte vor allem eins gezeigt, dass Deutschland nie wieder einen Krieg beginnen solle. Wenn aber ein Aggressionskrieg eingeleitet werde, müsse man dem Angegriffenen zur Seite stehen.

Thomas von Sarnowski ist mit dem anfänglichen Zögern der Bundesregierung beim Liefern schwerer Waffen an die Ukraine nicht ganz einverstanden. (Foto: Christian Endt)

Getragen von dieser Überzeugung zeigte sich Sarnowski nicht unkritisch der Politik der Bundesregierung gegenüber. Deren zögerliche Haltung, vor allem die des Bundeskanzlers, habe Deutschland viel Vertrauen in den osteuropäischen Ländern gekostet. Deswegen sei das Zeichen, welches Annalena Baerbock gesetzt habe, und die Sanktionen, die eingeleitet wurden, sehr wichtig. Das Sondervermögen, das der Bundestag für die Ausstattung der Bundeswehr beschlossen hat, sei, so räumte er ein, eine der kontroverseren Entscheidungen, die die Grünen in den vergangenen Jahren getroffen haben. "Die Abstimmung bezüglich des Sondervermögens war nicht einfach, aber wichtig. Es ist ein Zeichen der Verantwortung, ein Zeichen, dass wir reagieren."

Sarnowskis Einschätzungen bleiben in der anschließenden Diskussionsrunde von den Kreisverbandsmitgliedern zwar grundsätzlich unwidersprochen, aber doch nicht unkommentiert. Man merkt, dass die Mitglieder betroffen sind, und der Ton der Debatte ist einigermaßen lautstark. "Es ist schmerzhaft für unsere grünen Seelen, weil man merkt, dass der Krieg nicht ohne Waffen zu bewältigen ist", sagt eine der Teilnehmerinnen. "Die Zeitenwende bringt die Erkenntnis, dass es die Abschreckung mit den Waffen irgendwo auch braucht."

Das Sondervermögen sei für die Ausrüstung eines Vernichtungskriegs vorgesehen, kritisiert ein externer Gast

Rücksicht auf grüne Befindlichkeiten scheinen allerdings vier Nichtmitglieder keine nehmen zu wollen, die an der Veranstaltung teilnehmen. Das Sondervermögen sei nur über Schulden finanziert und für die Ausrüstung eines Vernichtungskriegs vorgesehen, sagt einer der Gäste. Und Deutschland habe schon einmal, 1999, nicht alles richtig gemacht, als es zusammen mit der Nato Serbien bombardiert habe - nur suchten sich die Medien aus, worüber sie wie berichteten.

Aussagen, die bei den Teilnehmern nicht gut ankommen und sogleich gekontert werden, etwa von Arian Kunze, Mitglied der Grünen Jugend. Es herrsche faktisch Krieg in der Ukraine, und es bringe nichts, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen oder die aktuelle Situation mit der Vergangenheit zu vergleichen. "In dieser Debatte sind Whataboutismen unnötig und bringen uns nicht weiter." Auch Thomas von Sarnowski distanziert sich und hält fest, dass die Kriege im Kosovo oder in Afghanistan zu ihrer Zeit zurecht große Debatten aufgeworfen hätten, dass "aber nun eine andere Zeit ist, mit anderen Problemen, die angepackt werden müssen." Es bringe nichts, in der Vergangenheit zu verharren. Wenn aber die Ukraine jetzt den Krieg verlöre, könne das bedeuten, dass kleine Staaten wieder versuchten, sich atomar zu bewaffnen, um sich zu schützen. So weit dürfe es nicht kommen.

"Ich habe aber das Gefühl, dass wir älteren Generationen vieles nicht kapiert haben", erklärte eine der anwesenden Frauen, ebenfalls Grünenmitglied. "Wir haben in dem Bewusstsein gelebt, dass alles gut wird, dass Frieden ist, haben aber gleichzeitig beispielsweise nicht bemerkt, dass unsere Bundeswehr am Ende ist. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass wir, aber auch die Politiker unserer Generation, etwas übersehen haben."

Dass der Ortsverband Poing im Rahmen der Veranstaltung seine lokalen Anliegen vorstellte - mehr Bepflanzung, um den Ort grüner zu machen, ein beidseitiger Radweg und am besten die Einführung von Tempo 30 an der Gruberstraße -, war angesichts von Zeitenwende und drängender Weltpolitik nicht mehr als eine Randnote in der Debatte. "Die größte Lehre aus dem 20. Jahrhundert, ist, dass jeder frei ist, zu entscheiden, wo und wie er leben möchte. Niemand kann und darf das über Köpfe hinweg tun", so Thomas von Sarnowski.

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