Am Theater Wasserburg:Bis die Oberschenkel brennen

Lesezeit: 4 min

"Die Zofen" am Theater Wasserburg wollen es "der Madame" mal so richtig zeigen. (Foto: Christian Flamm/Theater Wasserburg)

"Die Zofen" bieten nicht nur Höchstleistungen der Schauspielkunst, sondern auch der Körperbeherrschung - und viel Raum für Interpretation.

Von Johanna Feckl

Diese weißen, dicken Strümpfe reichen bis zu den Kniekehlen. Genau solche, wie sie Fußballer tragen. Diese Strümpfe nun, sie sehen witzig aus an dem Geschwisterpaar Claire (Rosalie Schlagheck) und Solange (Annett Segerer). Nur mit beiger Unterwäsche bekleidet stehen sie da - und eben diesen weißen, dicken Kniestrümpfen über den Schienbeinen. Dieses Eröffnungsbild von "Die Zofen" am Theater Wasserburg ist aber nicht nur witzig, die Strümpfe werden sich zudem noch als völlig logisch erweisen: Beinahe die gesamte zweite Hälfte des Stücks, und das sind immerhin 30 Minuten, verharren die beiden Frauen mit nach vorne gebeugtem Oberkörper in der Kniebeuge - nun ja, das entspricht bewundernswerter körperlicher Höchstleistung. Wer würde da nicht Sportsocken tragen?

"Die Zofen" sind die erste tatsächliche Premiere in der nun laufenden Herbst- und Winterspielzeit am Theater Wasserburg, da das andere Stück, "Johan vom Po entdeckt Amerika", bereits vor acht Jahren schon einmal inszeniert wurde. Es wurde nun aber wegen vieler Nachfragen wieder in den Spielplan aufgenommen. Die aktuelle Saison ist übrigens die 20. Spielzeit der Theaterbühne am Inn - und seit der Corona-Krise die erste vor Livepublikum - nicht mehr im Stream, sondern ganz analog. Die Pandemie hinterlässt aber freilich trotzdem ihre Spuren: Es gibt Abstände zwischen den Zuschauerplätzen, Maskenpflicht herrscht, sobald man seinen Sitz verlässt, und ein G mitzubringen und vorzuzeigen - geimpft, genesen oder getestet - ist dieser Tage ohnehin selbstverständlich. Die Stimmung des Premierenpublikums können diese Regeln jedoch überhaupt nicht trüben.

"Die Zofen" ist eine Tragödie des französischen Dichters und Dramatikers Jean Genet - Pflegekind, Deserteur, Landstreicher, Dieb, Prostituierter und Trinker. Seine Werke schrieb er zum Teil als Häftling im Gefängnis. Die beiden Schwestern Claire und Solange, die Zofen, proben in dem Stück den Aufstand gegen ihre Chefin, die Gnädige Frau, sobald diese nicht im Hause ist. In wechselnden Rollen, wie in einem Theaterstück, setzen die beiden Zofen dann die haushälterischen Hierarchiestrukturen ihres Dienstverhältnisses in Szene - und gehen in diesem selbst konstruierten System bis zum Äußersten: Sie wollen die Gnädige Frau töten. Das Stück ist ein kurzweiliges Kammerspiel, ein Einakter, in einer fantastischen Inszenierung von Regisseur Nik Mayer am Theater Wasserburg gut eine Stunde lang.

Freilich sind es nicht nur die Kniestrümpfe, die diese Version des Schauspiels so gelungen und sehenswert machen, wenngleich sie wichtiger sind, als zunächst vermutet. Aber dazu später mehr. Der Erfolg des Stücks jedenfalls liegt vor allem im Zusammenspiel der drei Frauen auf der Bühne begründet, das überzeugender nicht sein könnte. Wenn die Gnädige Frau nicht zugegen ist, dann reden Claire und Solange geschwollen daher, sind albern, zicken und sticheln, schreien und weinen - wie das Schwestern nun einmal machen. Die Körperhaltung der beiden Darstellerinnen Schlagheck und Segerer ist in diesen Momenten aufrecht und stark, ja, erhaben. Ein stimmiges Ganzes also. Nach dem Auftauchen der Gnädigen Frau (Susan Hecker) aber könnte jemand, der dem Schauspiel nur zuhört, nicht zusieht, glatt meinen, da mimten nun zwei andere Schauspielerinnen das Geschwisterpaar. Es sind jedoch dieselben, nur dass sie plötzlich ganz leise sprechen und sogar stottern. Wobei: Sie sprechen eigentlich gar nicht, sie antworten nur, unsicher und möglichst knapp. "Ja, Gnädige Frau" hier, "Ja, Gnädige Frau" da.

Diese wiederum steht vor einem großen Spiegel, in dem sich auch das Publikum sehen kann, und spricht in den Raum. Jedes einzelne Wort von Susan Hecker ist betont, Gestik und Mimik gestaltet sie ausladend und pompös - mehr Grande Dame geht nicht. Claire und Solange kauern währenddessen gebeugt und mit gesenktem Blick zwischen den Kleidern hinter der Gnädigen Frau, einige Meter weg von ihr. Und: Die Hausherrin trägt unter ihrem schwarzen Paillettenkleid eine schwarze Feinstrumpfhose. Die Schwestern hingegen waren kurz zuvor während ihres Spiels zwar ebenfalls in die pompösen Kleider ihrer Chefin geschlüpft. Jedoch blitzten da stets die weißen Fußballsocken unter dem Saum der Kleider hervor. Eine schwarze Feinstrumpfhose fehlte.

Die Kniestrümpfe sind witzig anzusehen und logisch wegen der körperlichen Leistungen ihrer Trägerinnen - aber hier bekommen sie noch eine tiefere Bedeutung: Der Kampf gegen Machtstrukturen, der Kampf für einen gesellschaftlichen Aufstieg, er kann nicht vollständig gelingen. Claire und Solange können die Kleider der Gnädigen Frau tragen, ihre Körperhaltung annehmen, mit gleicher Stimmlage und Betonung sprechen. Die Socken jedoch bleiben an ihnen haften, sie sind der sichtbare Beweis dafür, woher die Geschwister eigentlich stammen. Und dass sie nie ernsthaft in der Liga der Gnädigen Frau mitspielen werden.

Die Frage ist: Wieso denn überhaupt dieser Kampf und der Plan, die Gnädige Frau zu töten, wenn es doch letztlich nicht gelingen kann? Es kann sein, dass Regisseur Nik Mayr eine Antwort auf diese Frage liefert, noch bevor die Bühne in Licht getaucht ist: Da hallt Placebo aus den Lautsprechen, "A friend in need's a friend indeed" - "ein Freund in der Not ist ein wahrer Freund". Vielleicht soll das ein Hinweis sein, dass die Macht gar nicht das ist, um was es im Leben geht. Vielleicht ist es aber auch einfach nur ein Placebo-Song, der ziemlich gut klingt. Diese "Zofen" lassen auf jeden Fall viel Spielraum für eigene Interpretationen. Genau so soll es sein.

"Die Zofen" zeigt das Theater Wasserburg zum nächsten Mal am Freitag, 29. Oktober, - vorab gibt es ein Gespräch mit Regisseur Nik Mayr - sowie am Samstag, 30. Oktober. Weitere Spieltermine, Infos und Karten für 24 Euro gibt es unter www.theaterwasserburg.de. Die Abendkasse öffnet jeweils eine Stunde vor Beginn.

© SZ vom 27.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: