Tassilo:Im Turbomodus

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Peter Kees lässt sich von der Pandemie nicht bremsen: An diesem Wochenende startet Arkadien reloaded in Ebersberg. Um die zweite Ausgabe des Festivals corona-konform zu gestalten, hat es der Initiator größtenteils in den öffentlichen Raum verlegt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Peter Kees macht nicht nur als Aktionskünstler von sich reden, sondern bereichert Ebersberg auch durch neue Ausstellungs- und Festivalkonzepte.

Von Anja Blum

So manch einer würde wahrscheinlich sagen: Der Peter Kees ist ein bisschen verrückt. Aber wahrscheinlich grübelt, zweifelt, spürt, lacht und wagt er nur etwas mehr als die meisten anderen Menschen. Intensiv muss es sein, für Peter Kees, das Leben. Und auch die Kunst. Mit rein dekorativen Genres kann der Steinhöringer denn auch rein gar nichts anfangen, gesellschaftlich relevant muss Kultur in seinen Augen sein. Die Menschen aufzurütteln, zu provozieren, zum Nachdenken oder wenigstens zum Lachen zu bringen - das ist das Geschäft des Aktionskünstlers. Peter Kees versteht sich als "Chronist und Vermesser gesellschaftlicher und menschlicher Phänomene", möchte "Momente kollektiver wie subjektiver Grenzerfahrung" thematisieren. Der 55-Jährige arbeitet dabei mit verschiedenen Medien, von Interventionen über Performances bis hin zu Video oder Fotografie, gerne zerstört er dabei auch Dinge, verbrennt Geldscheine oder zerquetscht eine Geige.

Derzeit freilich liegt die Kultur am Boden, Corona trifft sie besonders hart. Doch Peter Kees schadet die Pandemie offenbar nicht, ganz im Gegenteil, sie scheint ihm enorme kreative Schübe zu verpassen. Eine Idee nach der anderen sprudelt aus ihm heraus, die Krise, sie ist für Kees ein Turboboost. Klar, denn derzeit geht es ums Eingemachte, die Menschen stehen vor großen Problemen und Umwälzungen - und Kees sieht es als wichtige Aufgabe der Kunst, gerade auch aktuelle politische und gesellschaftliche Themen zu verhandeln.

Damals, als die Ich-AG der letzte Schrei war in Berlin, machte sich Kees einen Namen, indem er das neue Modell konsequent auf die Spitze trieb und so ad absurdum führte: Nach dem Motto "Ich lebe, also koste ich", schickte er Rechnungen an sämtliche hochoffiziellen Stellen. Im Landkreis dann sorgte Kees für einige Furore bei einer Ausstellung des Kunstvereins Ebersberg: Er ließ Besucher mit einem Luftgewehr auf ein Polaroid ihres Konterfeis schießen. Dem Künstler ging es dabei um eine Auseinandersetzung mit Immanuel Kant, der fordert, der Mensch müsse die Würde der Menschheit in seiner eigenen Person bewahren. Der Hausherr aber, Chef des Amtsgerichts, sah in der Installation eine potenzielle Gefahr und ließ das Gewehr entfernen. Das wiederum erachtete Kees als Zensur und einen "groben Eingriff in die Freiheit der Kunst". Doch die nächste provokante Aktion ließ nicht lange auf sich warten: Per Petition forderte der Steinhöringer, nur mehr weiße Autos zuzulassen - zum Schutz der Umwelt und aller Verkehrsteilnehmer, denn weiß lackierte Fahrzeuge seien spritsparender, energieeffizienter und sicherer. Ist so etwas Quatsch, Ernst oder Kunst? Kees' Antwort: "Die Petition ist mir bierernst. Außerdem sind Kunst und Leben sowieso eins."

Außerdem ist Peter Kees schon lang als selbst ernannter arkadischer Botschafter unterwegs. 2013 entdeckte er den alten Topos Arkadien, die idealisierte, romantischen Landschaft für sich - als Sehnsuchtsort, dem es sich zu nähern gilt. Ziel ist ein sorgloses Sein, frei von zivilisatorischen Zwängen, in Frieden und mit reichlich Zeit zur Muße. Dahinter stecke die politische Idee eines Miteinanders in Wohlstand, ohne Krieg, entfremdete Arbeit und gesellschaftlichem Anpassungsdruck, aber auch ein mögliches Modell für eine gerechtere soziale Zukunft, so Kees. Das Territorium seines Arkadiens ist freilich ein imaginiertes, doch als Botschafter hat der Steinhöringer schon an vielen Orten in Europa "Landnahmen" zelebriert: Jeweils einen Quadratmeter hat Kees abgesteckt, okkupiert und zu arkadischem Hoheitsgebiet erklärt. "Fremde Staatsgewalt darf Personen dort nicht belangen." Dieser Botschafter setzt also staatliche Grenzen, will aber damit vor allem einer Entgrenzung das Wort reden - des Denkens, des Fragens, der Fantasie. Wem das gefällt: Auch arkadische Visa kann man beantragen, oder sich mit Kees in sein "Dienstfahrzeug" setzen, einen alten Mercedes, in dem der Botschafter gerne philosophische Interviews führt.

Überhaupt: Kees will nicht alleine sein in Arkadien, sondern in guter Gesellschaft, deswegen überzeugt er 2019 die Verantwortlichen des Ebersberger Kunstvereins, die Jahresausstellung erstmals als Festival zu konzipieren, und zwar unter dem Motto "Wo bitte geht's nach Arkadien?". Und das Experiment gelingt bestens. Mehr als 300 Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa bewerben sich, eine Jury wählte 36 aus. Hinzu kommen etliche Kooperationen mit anderen Institutionen, so dass der Kunstverein letztlich vier prall gefüllte Wochen mit mindestens 1000 Besuchern erlebt. In Kunst und Diskurs werden dabei alle möglichen brennenden Themen verhandelt, auf kreative, kritische, empathische und humorvolle Weise. Es geht um Ökonomie und Konsum, Selbstoptimierung, moderne Kommunikation, trügerische Idyllen und arkadische Träume. Da gibt es ein Repair-Café und interaktive Performances, es tagt ein Bürgerparlament, und man kann eine bemerkenswerte Achternbusch-Uraufführung erleben.

Schnell ist klar, dass es eine Fortsetzung des Arkadien-Festivals geben soll, doch dann kommt Corona. Kees aber hält deswegen nicht still, lässt sich nicht ausbremsen. Mit zwei befreundeten Kollegen gestaltet er zunächst eine Ausstellung in Berlin, die sich mit der Pandemie auseinandersetzt. Was macht Corona mit der Wirtschaft, der Politik, der Gesellschaft, der Kunstszene? "Die Krise ist eine Chance, endlich einmal nachzudenken", so Kees. "Über unseren ökonomischen Irrsinn zum Beispiel, über die Kapitalisierung des Gesundheitswesens, über Europa oder Fake News." Doch seine Kunst gibt auch der Hoffnung Raum: Ein Film mit dem Titel "Phönix" zeigt, wie sich ein Häufchen Asche in den Flügel eines Vogels verwandelt.

Und auch in Ebersberg ist Kees weiter aktiv, er initiiert einen "Aktionsraum 2", nach dem Vorbild des berüchtigten Münchner Originals aus den 60er Jahren möchte er unter dem Dach des Kunstvereins ein offenes Experimentierfeld bieten, einen Raum für Ausdruck, Impulse und Diskurs. Teilnehmen können alle Interessierten, Künstler wie Nicht-Künstler, Unzufriedene und Ängstliche, Zweifler, Propheten, Optimisten und Träumer. "Alle sind eingeladen, sich - in welcher Form auch immer - zu den gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen zu verhalten", erklärt der Initiator. Es gibt nur ein Angebot - kein festes Programm, kein Thema im engeren Sinne. Und auch dieses Konzept geht auf, Ebersberg erlebt sieben aufregende, inspirierende Tage. Etwa 30 Künstlerinnen und Künstler aus ganz Deutschland steuern zum Aktionsraum Installationen, Videos und Performances sowie Partizipatives bei, es gibt Vorträge, Filme, Diskussionsrunden und sogar ein Hip-Hop-Konzert.

Weiter geht es, als die pandemischen Auflagen wieder strenger werden, mit einem ganz besonderen Konzertformat: Unter dem Titel "Sich fühlen wie König Ludwig" improvisiert der Steinhöringer jeden Abend am Klavier - für nur einen einzigen Zuschauer. Die Reihe ist Kees' Antwort auf den Lockdown, der in seinen Augen "die Künste diskreditiert". In die gleiche Richtung zielt er kurz darauf mit einem Aufruf: Möglichst viele Menschen sollen die weiße Fahne hissen und sich damit fotografieren lassen. Dabei geht es dem 55-Jährigen allerdings nicht darum, vor Corona zu kapitulieren, sondern um Selbstschutz und darum, ein Signal zu senden: "Mit der weißen Fahne in der Hand ergeben Sie sich und machen darauf aufmerksam, nicht verletzt werden zu wollen."

Übrigens: Dass der Aktionskünstler an den Märchenkönig Ludwig II. anknüpft, der Wagner-Opern nur für sich alleine, also ohne Publikum, aufführen ließ, mag kaum verwundern. Denn Bayreuth ist nicht nur Kees' Geburtsstadt, vielmehr haben ihn die dortigen Festspiele stark geprägt. Mit zehn Jahren, erzählt er, habe er dort sein "Erweckungserlebnis" gehabt, als Statist. Von da an habe er jeden Sommer auf dem Grünen Hügel verbracht, habe diverse Inszenierungen erlebt und auch mal Schule geschwänzt für Orchesterproben mit namhaften Dirigenten. Kein Wunder also, dass Kees sich bald selbst der Musik widmete, Klavier, Geige und Bratsche spielen lernte. "Aber leider zu spät", sagt er, "deswegen hat es zu einem Studium nicht gereicht." Also verband er diese Leidenschaft mit anderen kreativen Genres, Ausdruck dessen ist etwa eine grafische Serie: Kees dirigiert Opern - mit einem Grafit in der Hand, der die Bewegungen auf Papier überträgt. Das Ergebnis sind so eruptive wie feine Zeichnungen, ansprechende Transformationen von Klang in Kunst.

Zunächst studierte Kees Musiktheaterregie, später Musik- und Theaterwissenschaften sowie Philosophie, parallel übernahm er Regieassistenzen und realisierte freie Bühnenprojekte. Er arbeitete als Intendant, als Castingdirektor für die Bavaria, als Kurator im deutschen Pavillon der Expo - doch sein Herz schlug vor allem für die eigenen Sachen, zum Beispiel eine "Klangmauer", die die deutsch-deutsche Grenze akustisch nachzeichnen sollte. "Das war ziemlich größenwahnsinnig, aber eine tolle Idee", sagt er. Leider sei sie an der Politik gescheitert.

2013 zog Peter Kees dann in den Landkreis Ebersberg, den er seitdem als Botschafter, als Kurator, als Aktions- und Lebenskünstler unsicher macht. An diesem Wochenende beginnt - trotz Corona - Arkadien reloaded, diesmal verstärkt im öffentlichen Raum. Wenn das kein Grund für einen Tassilo ist!

Arkadien-Festival in Ebersberg von 7. Mai bis 18. Juli, Infos unter www.kunstvereinebersberg.de.

© SZ vom 08.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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