SZ-Adventskalender:Vierundzwanzig Stunden müde

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Helena P. leidet unter anderem an Narkolepsie. Ihre Krankheit erlaubt es ihr kaum, ein normales Leben zu führen

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

(Foto: SZ Grafik)

Wenn Helena P. müde wird, dann muss es schnell gehen. Dann muss sie alles stehen und liegen lassen und sehen, dass sie nach Hause kommt. "Sonst tät ich irgendwo einfach einschlafen, und des wär blöd." Ungefähr zwei Stunden kann sich die 52-Jährige, deren richtiger Name ein anderer ist, wach halten, "dann haut's mir den Schalter raus", sagt sie. Jeden Tag geht das so und jede Nacht, seit 25 Jahren. Narkolepsie heißt die Krankheit, die Helena P. tagsüber müde sein und nachts nicht mehr als eineinhalb Stunden am Stück schlafen lässt. Ein genetischer Defekt ist dafür verantwortlich. Die Krankheit kann jahrelang unentdeckt bleiben. Psychischer Stress kann sie ausbrechen lassen, sie kann aber auch ganz einfach plötzlich da sein. So war es bei Helena P.

Verheiratet war sie, die gelernte Textilverkäuferin hatte einen Job, einen kleinen Sohn. Bis sie Mitte 20 war, führte sie ein ganz normales Leben, dann schlug die Krankheit zu, von jetzt auf gleich. "Ein Jahr lang hab ich rund um die Uhr geschlafen." Es habe lange gedauert, bis die Ärzte die richtige Diagnose fanden, eine damals noch relativ unbekannte Diagnose. Ein Aufenthalt im Schlaflabor brachte schließlich das richtige Ergebnis, ein Gentest vor eineinhalb Jahren schließlich auch Gewissheit über die Ursache der Krankheit. Helena P's Ehe allerdings war da nicht mehr zu retten. Sie habe sich kaum mehr um den Buben kümmern können, der damals im Kindergartenalter war, der Haushalt sei liegen geblieben "und mein Mann hat gedacht, ich mag einfach nicht. Ein bisschen kann ich ihn schon verstehen."

Er war es jedoch nicht, der gegangen ist, Helena P. hat selbst die Reißleine gezogen, hat die gemeinsame Wohnung verlassen. Ein Jahr später reichte ihr Mann die Scheidung ein. 14 Jahre waren sie ein Paar gewesen, zehn Jahre verheiratet. Inzwischen wohnt sie in einer kleinen Gemeinde im Landkreis und versucht sich mit ihrem ehrenamtlichen Engagement bei einer sozialen Institution über Wasser zu halten. Finanziell aber auch psychisch. "Für mein Selbstbewusstsein ist das gut, zu arbeiten." So kommt sie drei bis vier mal die Woche für jeweils zwei Stunden raus aus ihrer Wohnung, trifft Leute. Traf Leute, muss es richtig heißen. Mit dem ersten Lockdown im Frühling konnte sie ihrer Arbeit zunächst gar nicht mehr nachgehen, dann nur noch einmal die Woche. Und jetzt sitzt sie wieder zu Hause. Auch zu Weihnachten. Gemeinsam mit ihrer nächsten Verwandtschaft hat sie beschlossen, kein Treffen zu riskieren. Erstaunlich, dass sie über all das ihren Humor behalten hat. "Wir feiern dann im Sommer nach. Komisch ist's nur, wenn wir dann einen Weihnachtsbaum herumtragen."

Neben der Narkolepsie kämpft Helena P. mit einer Depression und mit zu hohem Gewicht. Sie leidet an Diabetes und dem Restless Legs-Syndrom, muss verschiedene Medikamente nehmen, die unterschiedliche Nebenwirkungen hervorrufen. An ein normales Leben ist für sie nicht zu denken, längst ist ihr bescheinigt worden, dass sie arbeitsunfähig ist, sie bezieht Arbeitslosengeld II. "Es ist schon lange her, dass ich mir zum letzten Mal irgendein reguläres Angebot gekauft habe. Ich muss immer schauen, ob es irgendwo etwas billiger gibt."

Gelassen scheint Helena P., wie sie all das erzählt, am Telefon natürlich in diesen Tagen. Sie scheint alles im Griff zu haben, soweit es ihr Gesundheitszustand zulässt. Nur eins nicht: ihre Wohnung. Als vor 15 Jahren ihre Mutter gestorben sei, erzählt sie, habe sie vieles von ihren Hinterlassenschaften behalten, kistenweise, konnte sich einfach nicht trennen. Und all diese Kisten aus einer größeren Wohnung hat sie in die kleinere mitgenommen, in die sie umziehen musste. Und da stünden sie noch, berichtet sie, Kisten über Kisten auf 50 Quadratmetern. Und das ist der Moment, in dem sie den Tränen nahe ist. "Ich hab einfach zu viel Zeug, das erdrückt mich seit Jahren." Und seit Jahren versuche sie auszusortieren, was sie hergeben, vielleicht verschenken wolle, und jedes Mal sei da wieder diese Müdigkeit, diese Überforderung, "das belastet mich so, das muss weg".

Nun will sie eine Entrümpelungsfirma holen, die sich darum kümmert. "Am liebsten würde ich denen eine Liste in die Hand drücken, was ich behalten will und was nicht. Und dann wäre ich gern nicht da, wenn sie alles mitnehmen." Die Firma aber kann sie sich nicht leisten, eine Spende vom SZ-Adventskalender könnte die Lösung sein. Damit sie irgendwann wieder jemanden einladen kann, wenigstens auf einen Kaffee. Vielleicht ihre Schwester und ihren inzwischen längst erwachsenen Sohn.

© SZ vom 22.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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