SZ-Adventskalender:Ohne Hilfe geht es nicht

Lesezeit: 4 min

Gerade ältere Personen und Menschen mit Behinderungen sind durch Coronabeschränkungen beeinträchtigt. Ludwig M. lebt in einem Heim und ist eigentlich Risikopatient, er bleibt aber trotz allem optimistisch

Von Nathalie Stenger, Vaterstetten

Das Gespräch dauert noch gar nicht lang, da schwelgt Ludwig H. (Name von der Redaktion geändert) schon in Erinnerungen an das Kennenlernen seiner Frau. 1997 sei das gewesen, sagt er, da sei er in München an der Isar entlang und an ihr vorbeigeradelt. "Ich war schon 50 Meter weiter, da bin ich noch mal umgekehrt und habe ihr meine Adresse genannt." Vier Wochen später stand sie dann vor seiner Tür. "Ich hab' geglaubt, ich seh' nicht richtig!"

Der Raum im Haus an der Dorfstraße in Vaterstetten, in dem das Treffen mit H. stattfindet, ist hell und freundlich eingerichtet. Mitten drin der 65-Jährige, der selbst wie ein Farbklecks erscheint. Sein T-Shirt mit dem Palmenaufdruck ist ebenso blau wie die Maske, die er trägt, und seine Augen. Ob ihm denn nicht zu kalt mit den kurzen Ärmeln werde? Nein, antwortet er prompt, er möge keine Hemden, auch wenn er ganz viele davon in seinem Schrank habe, "die sind noch aus meiner alten Wohnung".

Viele Menschen leiden im Alter an Einsamkeit. Die Corona-Pandemie macht das noch schlimmer, denn die Besucherzeiten in den meisten Senioreneinrichtungen sind jetzt stark eingeschränkt. (Foto: Catherina Hess)

Ludwig H. erzählt viel von der Vergangenheit. Von Zeiten, als es noch kein Corona gab. Wie so oft scheint es ihn und diejenigen zu treffen, die es ohnehin schon nicht so leicht haben - die Coronapandemie führt zu stark eingeschränkten Besucherzeiten in Heimen und Altenzentren sind geschlossen, was zur Vereinsamung älterer Menschen und Menschen mit Behinderungen führen kann. Erika Habenicht vom BRK Ebersberg kann das nur bestätigen: "Unsere Pfleger werden viel mehr festgehalten bei ihren Einsätzen." Sie berichtet von "wahnsinnig vielen Anmeldungen" beim Pflegedienst, "mehr als wir annehmen können". Besonders gefragt seien dabei hauswirtschaftliche Leistungen, "weil viele ältere Herrschaften sich isolieren und die Angehörigen, die sonst mithelfen, dadurch ausfallen." Ein weiteres Problem sei die Digitalisierung der Ämtergänge in Coronazeiten, so die Pressesprecherin des BRK. Ältere Menschen seien völlig überfordert, eine Pflegestufe oder Leistungen mit dem Computer zu beantragen, weil Ämter teilweise geschlossen seien.

Ludwig H. muss sich nicht alleine um Ämtergänge kümmern, Auswirkungen auf sein Leben hat Corona dennoch. Er ist keiner, der gern jammert oder große Ansprüche stellt, aber er ist bereit, von sich und seinem Alltag in Coronazeiten zu erzählen, einem Alltag, der für viele Menschen in ähnlicher Lage schwierig geworden ist. Seit 2008 lebt Ludwig H. schon in dem Haus an der Dorfstraße in Vaterstetten, einer stationären Einrichtung für Menschen mit psychischen und seelischen Problemen. 2008 hat er auch geheiratet. Seine Frau - das Mädchen aus der Geschichte - sei schon zwei Jahre zuvor hierher gezogen, erzählt er, daher habe er das Haus gekannt und sich ebenfalls beworben. Gut gefalle es ihm hier, "sehr gut", sagt der Mann. "Es schaut hier gar nicht aus wie in einem Heim."

(Foto: SZ Grafik)

H. leidet seit mehr als 40 Jahren an Schizophrenie. Nachdem man ihn von einem Arzt zum nächsten geschickt habe, sei er 1979 freiwillig länger als drei Monate mit schweren Psychosen und geistigen Zustandsveränderungen in der Nervenklinik gewesen, erzählt er. Danach sollte der Starkstromelektriker in Frührente geschickt werden, da war er 24, "aber ich hab's geschafft", sagt H., "ich hab weitergearbeitet". Erst beim Film, danach in seiner eigenen kleinen Fahrradwerkstatt. "Und dann", so der Mann weiter, "kam 1995 wieder die Krise." Er habe seine Arbeit verloren und sei erneut in die Klinik gekommen.

Heute schraubt H. immer noch an Fahrrädern herum. Draußen im Hof, sagt er, und deutet auf eins der Fenster - manchmal an denen von anderen Bewohnern des Hauses, manchmal an seinem eigenen und im Moment an dem seiner Frau. "Jetzt kommt der Winter, da muss mit den Bremsen und dem Licht alles in Ordnung sein." Seine Frau besucht er jeden Tag zwei bis dreimal. Sie wohne mittlerweile in einer kleinen Wohnung, nur wenige Minuten vom Heim entfernt. "Aber immer nur für eine Stunde, länger schaffe ich das nicht."

Aufgrund seiner Asthmaerkrankung ist Ludwig H. besonders gefährdet. "Ich bin aber nicht deprimiert und mache mir keine großen Sorgen wegen Corona", sagt er. Es sei nun natürlich anders mit den Hygieneregeln, und er sei vorsichtig. "Aber ich habe keine Angst davor, ich bin ein gläubiger Mensch und sende oft kurze Stoßgebete zu Gott. Der hat gesagt, er verschont mich schon." Sein Lächeln ist auch mit Maske gut zu erkennen. Anders sei es bei seiner Frau, ihr gehe es im Moment nicht so gut. "Das schwankt", sagt der 65-Jährige, sie habe eine schwerere Erkrankung.

Mit oder ohne Virus ist H. gut beschäftigt: Mit den Rädern, außerdem mit Basteleien an seiner Stereoanlage und mit seiner freiwilligen Arbeit in der Tagwerkstatt. "Da mache ich oft große Figuren aus Pappmache", erzählt er, und dann: "Meine Familie weiß gar nicht, dass ich im Heim bin, ich habe keinen Kontakt mehr zu ihr". Er komme auch alleine zurecht, so der ehemalige Mechaniker, "ich habe einen spanischen Freund in der Ortschaft, mit dem war ich letztens erst im Baumarkt einkaufen. Hier geht mir nichts ab". Dass die üblichen Weihnachtsveranstaltungen dieses Jahr aber ausfallen, finde auch er schade.

Weil er Schäden an der Wirbelsäule und künstliche Hüftgelenke hat, musste Ludwig H. schließlich doch in Frührente gehen. Die Rente deckt gerade die Heimkosten. Für Lebensmittel gibt es ein Taschengeld von der Einrichtung. Große Sprünge kann er damit allerdings nicht machen. Sein Taschengeld und die Hartz-IV-Bezügen seiner Frau reichen zum gemeinsamen Mittagessen. "Zu zweit ist es dann immer billiger", sagt er, und "wenn man keinen Schmarrn kauft, dann kommt man zurecht". Große Träume, ja, die habe er früher gehabt, als er jung war, große Wünsche für sich selbst, das betont er, hat er keine. Aber über Kleinigkeiten würde er sich dann doch freuen. Guten Kaffee, den trinke er sehr gerne, "oder etwas feines Italienisches oder Griechisches".

© SZ vom 05.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: