SZ-Adventskalender:"Ich habe immer allein gestanden"

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Das Gefühl, als Kind alleingelassen und nicht verstanden zu werden, kann bei manchen Menschen schwerwiegende Folgen haben. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Anja G. hatte von Kindheit an psychische Probleme, bezieht nun nur eine kleine Rente. Eine hohe Forderung ihrer Krankenkasse kann sie sich nicht leisten.

Von Alexandra Leuthner

Anja G. kann nicht allein leben. Schon lange nicht mehr, obwohl sie es eigentlich schon früh hätte lernen müssen. Das jedenfalls ist aus dem wenigen heraus zu hören, das die Rentnerin preisgibt von ihrem Leben, vielleicht auch preisgeben kann. Nur in Bruchstücken berichtet sie, springt immer wieder von einer Entscheidung zur anderen, von einer Station zur anderen. Wohl, weil es ihr schwerfällt, zu erzählen, von ihrer depressiven Mutter, vom Vater, der sich nicht um die Tochter gekümmert hat, von der Atmosphäre, die zu Hause geherrscht haben muss, von ihrem eigenen Ehemann, von dem sie sich hat scheiden lassen, "weil es unerträglich war", von den erwachsenen Kindern, zu denen sie keinen Kontakt mehr hat.

Die Schwierigkeiten, die ihre Psyche beeinträchtigt haben, müssen schon sehr früh angefangen haben. Ihr Vater sei mit der Krankheit der Mutter nie zurechtgekommen, habe mit deren Stimmungsschwankungen nicht umgehen können, erzählt Anja G., die nicht unter ihrem richtigen Namen erscheinen möchte. Der ältere Bruder sei ebenfalls depressiv gewesen, auch mit dem Jüngeren sei sie nicht gut zurechtgekommen, so wie er von den Eltern erzogen worden sei. "Ich habe immer allein gestanden." Das betraf auch die Schule, "meine Eltern haben alles laufen lassen", sagt sie.

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Nach ihrem Mittelschulabschluss habe sie eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin gemacht, dann eine Zeit lang als Reinigungskraft gearbeitet, vier Jahre auch als Schuhverkäuferin. Obwohl sie sich schon früh vorgenommen hatte, rauszukommen aus dem Elternhaus, wegzukommen von der Atmosphäre, die sie "schon als Kind runtergedrückt" hatte, schaffte sie es zunächst nicht weiter, als bis ins Haus gegenüber. Die Mutter starb 1992, dem Vater war die Tochter auch weiterhin egal. Dass sie psychische Probleme hatte, interessiert ihn nicht, auch nicht, dass sie sich schwertat, einen regelmäßigen Job auszuüben. Die Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz) vermittelten ihr schließlich eine Umschulung zur Bürokraft, wirklich arbeiten aber konnte sie in diesem Job nie. "Ich war psychisch dazu nicht in der Lage."

"Ich kaufe immer Angebote, um einigermaßen günstig wegzukommen."

Eine Betreuerin war es schließlich, die ihr Anfang der 2010-er Jahre den Umzug nach Ebersberg vermittelte, wo eine Bezugsperson und ein Betreuungsdienst ihr ein wenig jener Fürsorge zukommen ließen, die sie wohl schon als Kind gebraucht hätte. Sie bekam die Möglichkeit, in den Ebersberger Werkstätten zu arbeiten, im Gartenhof half sie in der Küche und bei der Reinigung, konnte so immerhin etwas in die Rentenkasse einzahlen. Viel ist es nicht. Jetzt ist sie in Rente, bekommt aufstockend Grundsicherung, um sich das Zimmer leisten zu können, in dem sie wohnt, damit kommt sie klar, gerade so. "Ich kaufe immer Angebote, um einigermaßen günstig wegzukommen. Aber gehen Sie doch mal zum Lidl oder zum Rewe, da ist ruckzuck das Geld weg."

Anja G. führt ein bescheidenes Leben, bei allem Sparen aber - eine Sonderausgabe von 800 Euro für die Besuche eines Pflegedienstes, wie sie jetzt ihre Krankenkasse von ihr fordert, die sei für sie nicht machbar. Dazu gekommen war es nach einer Knieoperation, die Rentnerin hatte ein künstliches Knie bekommen, muss immer noch zur Krankengymnastik, die sie aber inzwischen wieder zu Fuß aufsuchen kann. Wie ihre Betreuerin erklärt, hatte das Krankenhaus die Besuche des Pflegedienstes, der Anja G. für eine Weile beim An- und Ablegen der zur Nachsorge notwendigen Kompressionsstrümpfe helfen sollte, verordnet. Da sie keine Pflegestufe hat, könnte die Leistung nur ihre Kasse übernehmen, "prinzipiell sei das möglich", sagt ihre Betreuerin. Die Kasse aber weigert sich, diese Kosten zu tragen und fordert das Geld von Anja G. zurück. "Wie soll ich das aufbringen? Ein Ding der Unmöglichkeit." Eine Spende vom Adventskalender könnte helfen.

So können Sie spenden

Überweisungen sind auf folgendes Konto möglich: "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V.", Stadtsparkasse München, IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00, BIC: SSKMDEMM

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