SZ-Adventskalender:Kein Schulausflug, kein Stammtisch

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Sozial schwache Familien müssen auf so gut wie alles verzichten. Viele Kinder schämen sich, Erwachsene ziehen sich häufig zurück und geraten ganz schnell in die gesellschaftliche Isolation

Von Alexandra Leuthner, Vaterstetten

Wenn die Klasse in den Kletterwald in Vaterstetten geht oder einen Ausflug ins Deutsche Museum macht, ist das ein Problem. Auch eine Fahrt mit der S-Bahn, von einem Oktoberfestbesuch ganz zu schweigen. All das kostet Geld. Und selbst wenn es nur ein paar Euro wären: Für Familien, die vom Arbeitslosengeld leben, ist das zu viel. Die soziale Grundsicherung liegt bei 404 Euro im Monat, Ehepartner bekommen davon nur 90 Prozent. "Versuchen sie mal, davon das Geld für eine neue Waschmaschine anzusparen", sagt Jutta Hommelsen vom Zentralen Sozialdienst in Ebersberg.

2500 Personen sind im Landkreis arbeitslos gemeldet, ebenso viele Frauen wie Männer, berichtet der Leiter des Ebersberger Jobcenters, Hermann Schmidbartl, 700 davon sind Kinder. Deren Grundbetrag liegt noch unter dem für Erwachsene. Und das Geld vom Jobcenter muss für alles reichen; Essen, Schulbücher, Kleidung, Hygiene, soziale Teilhabe. Genau 37,43 Euro etwa, so der Gesetzgeber, benötige ein durchschnittlicher Acht- oder Zwölfjähriger im Monat für Kleidung und Schuhe. Wer weiß, aus wie vielen Schuhen ein Grundschulkind in einem Jahr herauswachsen kann, und dass für 30 Euro nicht wirklich Qualität zu erwerben ist, kann ermessen, was das bedeutet. Und wenn die Füße wachsen, wächst auch der Rest des Körpers. Das Geld für eine neue Hose ist dann aber leider schon ausgegeben. "Wenn Sie nicht extremes Haushalten gelernt haben, dann laufen Sie automatisch in die Schuldenfalle", erklärt Schmidbartl. 108 Euro sollen für Nahrungsmittel und Getränke für einen Sechs- bis 14-Jährigen reichen. "Mit dem Geld können Sie nicht in den Bioladen gehen, wenn Sie sich gesund ernähren wollen", sagt Jutta Hommelsen.

Alleinerziehende und Familien mit vielen Kindern haben das höchste Armutsrisiko. Wenn es keinen Arbeitgeber gebe, der für einen alleinerziehenden Elternteil in erreichbarer Nähe ein flexibles Arbeitsmodell anbiete, das es ihnen erlaubt, sich auf die Schul- oder Betreuungszeiten einzustellen, "dann ist man total chancenlos", erklärt Schmidbartl. Gerade bei kleinen Kindern, wird es schwierig. - Gebühren für Hort oder Mittagsbetreuung, die etwas Flexibilität am Arbeitsplatz ermöglichen würden, kann das Jobcenter nicht übernehmen. Nur im Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen sei es möglich, eine Kinderbetreuung zu finanzieren. Die aber seien oft dringend notwendig.

Jutta Hommelsen vom Sozialamt kann das nur bestätigen. Ein hoher Prozentsatz von späteren Arbeitslosen sei selbst "in Hartz IV aufgewachsen", und verlasse die Schule ohne Abschluss. Was zum Teil am fehlenden Geld liegt. "Im Bereich Vaterstetten gehen 80 Prozent der Grundschüler auf weiterführende Schulen. Da wird sofort Nachhilfe bezahlt, wenn die Versetzung gefährdet ist." Hartz IV-Familien aber können sich das nicht leisten. Gerade diese Kinder aber kämen in der Schule oft nicht gut mit, berichtet Schmidbartl; nicht weil sie dumm seien, sondern weil es häufig zu Hause an der Unterstützung beim Lernen fehle, und an einem geregelten Tagesablauf. "Wenn man das als Kind nicht lernt, wird es später schwierig. Fehlendes Geld und fehlende Möglichkeiten, da kommt alles zusammen." Gerade in einem Gebiet mit hohem Wohlstand aber empfänden die Familien ihre Armut besonders stark. "Die Kinder schämen sich. Man sieht es an ihrer Kleidung. Schulausflüge gehen nicht, mal wohin zu fahren zur Erholung, ist auch nicht drin."

Bei allein stehenden Erwachsenen, vor allem bei Männern, führe Arbeitslosigkeit oft zu Vereinsamung. "Zum Stammtisch gehe ich nicht mehr, wenn ich nur fünf Euro am Tag zum Leben habe und ein Bier schon drei oder mehr Euro kostet. Dann bleib ich daheim." Oft, so Schmidbartl, beginne der Weg in die Armut mit Überschuldung. Da gebe es die, die schlicht nicht mit Geld umgehen könnten, aber es treffe immer wieder auch Selbstständige, die auf Außenständen sitzen geblieben sind und in Konkurs gehen mussten. Eins ist ihm wichtig: Arbeitslose seien mitnichten nur Leute, die nicht arbeiten wollten. "Das ist grundfalsch", sagt der Leiter des Jobcenters. "Die meisten wollen ihre Situation verändern, aber schaffen es nicht."

Sie scheitern schon daran, eine bezahlbare Wohnung zu finden: Zwischen acht und 15 Euro pro Quadratmeter, mehr zahlt das Jobcenter nicht; den Rest muss der Mieter selbst drauflegen. Kann er das nicht, droht ihm die Obdachlosigkeit oder die Unterbringung in einer Pension durch die Gemeinde. "Es gibt schon Wohnungen", sagt Schmidbartl, "aber die gehen unter der Hand weg. Wir leben in einer Gegend, in der es uns gut geht, aber wer auf Wohnungssuche ist, dem geht's schlecht."

Das Geld aus dem Adventskalender verwenden der Sozialdienst im Landratsamt, das Jobcenter aber auch Organisationen wie die Sozialberatung der Caritas dafür, Familien in der Arbeitslosigkeit unbürokratisch zu helfen, das können Kleinigkeiten sein, wie ein schönes Essen zu Weihnachten, das lang ersehnte Kinderbett, ein paar neue Kleidungsstücke oder auch eine neue Waschmaschine.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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