SZ-Adventskalender:Erste Schritte in eine neue Sicherheit

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Eva Krause hat nach heftigen Depressionen ein Heim im Haus an der Dorfstraße gefunden. Dort geht es ihr jetzt psychisch gut, geregelt arbeiten kann sie aber nicht. Ihre vegane Ernährung kann sie sich kaum leisten

Von Franziska Bohn, Vaterstetten

Eva Krause hält eine Figur aus Pappmaché in den Händen. Sie sitzt vor einem großen Tisch, darauf stehen bunte Schüsseln, Gläser mit Stiften, Farbdosen und einige Zeitungsstapel. Zusammen mit etwa zehn anderen bastelt sie an verschiedenen Figuren aus Pappmaché. In den Regalen der Werkstatt stehen bereits viele Kunstwerke: ein pinkfarbenes Einhorn, ein silberner Bär mit einer Herznase, Boote mit bunten Segeln, eine goldene Ananas, einige Kakteen. Krause beklebt die Figuren mit Zeitungsfetzen, das macht ihr Spaß. "Arbeit ist wichtig, was würde ich sonst den ganzen Tag machen?"

Sie lebt im "Haus an der Dorfstraße", ein stationäres Wohnheim, dessen Träger die Sozialen Dienste Psychiatrie in Vaterstetten sind. In der angeschlossenen Werkstatt arbeitet sie jeden Tag. Insgesamt wohnen hier 43 Menschen, sie alle sind psychisch oder seelisch erkrankt und brauchen psychiatrische Hilfe. Hier seien alle "eine große Gemeinschaft", sagt Stefan Meidert, Leiter des gemeinschaftlichen Wohnens. Manche wohnen schon seit der Gründung vor 25 Jahren hier. Im Schnitt aber bleiben die Bewohner für fünf Jahre oder etwas länger, bevor sie zum Beispiel in eine betreute Wohngemeinschaft oder eine Einzelwohnung ziehen können.

Eva Krause ist wegen ihrer Depressionen hier. "Die können jeden treffen", sagt sie. Früher hat sie als Musiklehrerin in einer Musikschule gearbeitet, unterrichtete Klavier, Geige, Akkordeon, Gitarre. Als ihr Mann an Krebs starb, konnte sie nicht mehr weiterarbeiten, stürzte in eine Depression. "Wir hatten eine sehr gute Ehe, es ist sehr schwer, wenn man jemanden verliert, den man so gern hat." Dann konnte sie auch ihre Wohnung nicht mehr behalten, musste in eine Obdachlosen-Pension ziehen.

Die Krankheit wurde irgendwann so schlimm, dass die Polizei sie ins Krankenhaus eingeliefert hat. "Ich dachte es wird schon wieder und habe mir keine Hilfe gesucht", erzählt Krause. Im Krankenhaus schließlich hatte sie insoweit Glück, dass sich ihre psychische Gesundheit etwas stabilisierte. Die geschlossene Unterbringung in einer beschützenden Einrichtung bliebt ihr erspart, stattdessen konnte sie nach Vaterstetten ziehen. "Hier geht's mir gut", sagt sie. Die Freiheiten, die sie im gemeinschaftlichen Wohnen im Vergleich zu einer geschlossenen Anstalt hat, weiß Krause zu schätzen. So ist sie viel unterwegs: Sie trifft Freundinnen zum Kaffeetrinken, ihr neuer Partner holt sie fast jedes Wochenende ab, sie macht Ausflüge nach München. "Wenn ich zurück kommen, werde ich oft begrüßt mit: Frau Krause ist zu Hause!" Als sie das erzählt, lacht sie zum ersten Mal herzhaft.

Sie wirkt eigentlich wie ein fröhlicher Mensch. Manchmal spielt sie bei Freunden Klavier. Gerne würde sie wieder als Musiklehrerin arbeiten, aber ihr Körper ist noch nicht so weit. Zur Depression kam die Magersucht, und die hat ihre Spuren hinterlassen. Krause isst nicht viel, "nur einen Kinderteller". Die akute Magersucht hat sie zwar mittlerweile überstanden, kämpfen muss sie mit den Folgen der Krankheit aber immer noch. Obwohl sie in einem warmen Zimmer sitzt, trägt sie Winterjacke und Mütze. Hier kann sie einen ihrer Betreuer ansprechen und sofort Hilfe bekommen, sobald sie merkt, dass es ihr wieder schlechter geht. "Heute muss ich in schlechten Phasen einfach mit Gewalt weiteressen, irgendwann geht's dann wieder", sagt sie. Einmal habe sie so viel abgenommen, dass sie fast gestorben wäre.

Krause hat für ihre Gesundheit gekämpft. Sie klingt stolz, wenn sie erzählt, dass sie nur eine Tablette am Tag gegen ihre Depressionen nimmt: "Manche nehmen mehr." Einmal im Monat rede sie mit einer Psychiaterin. "Ich fühle mich fast gesund." Früher habe sie jedes Jahr ins Krankenhaus gemusst, seit sie hier wohnt, noch kein einziges Mal. Ausziehen will sie aber nicht. "Ich fühle mich noch nicht stabil genug, um alleine zu leben."

Krause kann im Wohnheim ein Leben mit geregeltem Tagesablauf führen, das ist sehr wichtig für sie und so hat sie einen fast normalen Alltag. Sie liebe es schöne Kleidung zu kaufen, auch wenn sie sich das Geld dafür zusammensparen müsse. Heute trägt sie eine elegante Nadelstreifenhose, ein echtes Schnäppchen, wie sie erzählt. Ihre Lippen sind rot geschminkt, die Nägel passend lackiert. Der Bommel ihrer rosa Strickmütze wackelt, wenn sie spricht und ihren Kopf dreht.

Lange Zeit hatten Depressionen Eva Krause im Griff, noch ist es ihr nicht möglich, geregelt zu arbeiten. In den Werkstätten beim Haus an der Dorfstraße findet sie tagsüber Beschäftigung. (Foto: Christian Endt)

Eines aber bereitet der 64-Jährigen dennoch im "Haus an der Dorfstraße" Probleme: Sie ernähre sich schon immer vegan, erzählt sie. "Früher gab es noch nicht einmal dieses Wort." Schon als Kleinkind hätten ihr die Eltern nur veganes Essen gegeben, weil sie eine Tiereiweißallergie hatten, die auch Eva Krause vermutlich geerbt hat. Doch bei ihr stecke noch mehr dahinter: "Ich liebe Tiere über alles, die soll ich streicheln und dann essen? - Nein, danke!"

Im Wohnheim werden die Bewohner mit Essen versorgt, auf Wunsch können sie aber auch selber kochen. Da aber kein veganes Essen angeboten wird, kocht Krause selbst. Doch vegane Lebensmittel sind teuer, sie müsse sehr sparsam leben, um sich das leisten zu können. Krause bekommt zwar vom Bezirk ein finanzielles Budget ausgezahlt, ähnlich der Sozialhilfe-Leistung, viel sei das aber nicht. Dieses Budget ist zudem in Kleidergeld, Essensgeld und Taschengeld unterteilt. Ihr Kleidergeld sparen und für Essen ausgeben könne sie nicht. Sie würde gerne einmal mit ihren Freundinnen ein veganes Restaurant besuchen, ohne sich Gedanken machen zu müssen, ob sie sich das leisten kann.

Für das kommende Jahr hat Krause große Pläne gemacht, sie will wandern gehen in den Bergen. Trotz der Schmerzen, die sie im Bein hat seit einem Unfall vor zwanzig Jahren. Ein Bein zieht sie immer nach seither. Und dann ist da noch ein großer Wunsch: mehr Freunde. "Von denen kann man nie genug haben", sagt Eva Krause.

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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