SZ-Adventskalender:Der Drang, Gutes zu tun

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Wenn sich das eigene Leben immer nur um andere dreht, ist das schwer, kann aber auch erfüllend sein. (Foto: Markus Scholz/dpa-tmn)

Alexandra Z. leidet an Arthrose und Schmerzen, hat kaum Geld. Doch sie kümmert sich rund um die Uhr um einen schwerkranken Verwandten - und ist glücklich, wenn sie helfen kann.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

In ihr Zuhause will Alexandra Z. (Name geändert) niemanden bitten. "Wir können dort nicht reden", erklärt sie am Telefon, "es ist zu laut." Wegen des Mannes, den sie pflegt, "manchmal schreit er". Sie nennt ihn ihren Schwager, "doch das ist er gar nicht", erklärt sie, als sie pünktlich zum verabredeten Interview erscheint. Gepflegt, schlank, dezent geschminkt hinter der Maske, die sie trägt, weil sie ihren "Schwager" auf gar keinen Fall anstecken will, nicht mit Corona und auch nicht mit einer Grippe. Dafür ist er zu krank.

Zwei Jahre ist es her, dass der ehemalige Lebenspartner ihrer Schwester operiert werden musste. Er war an Blasenkrebs erkrankt, verlor Prostata, Blase und ein Stück des Darms, dafür bekam er einen künstlichen Ausgang - den ihm Alexandra Z. jetzt alle drei Tage versorgt. "Er kann das nicht selbst", inzwischen ist er dement, oft nicht mehr Herr seiner eigenen Sinne, manchmal aber auch klar. "Ich habe ja dich", sagt er dann zu seiner Schwägerin, die nie seine wirkliche Schwägerin geworden ist, weil ihre Schwester starb, bevor die beiden heiraten konnten. Alexandra Z. erzählt mit einem Lächeln von dem Mann, den sie seit Jahren pflegt, das sich irgendwo zwischen Zuneigung und Anstrengung verorten lässt. Dass sie gern für ihren Schwager da ist, nennen wir ihn einfach so, glaubt man ihr aufs Wort. Auch dass es ihr von Herzen kommt, wenn sie sagt "ich helfe gern". Sie sei "eine wirkliche Heldin" hat jemand gesagt, der sie gut kennt.

"Er hat mir so geholfen, er ist ein guter Mensch", sagt sie

Alle drei Monate bringt sie ihren Schwager in die Klinik, wo ein routinemäßiger Eingriff ermöglicht, dass er mit seinem Handicap leben kann. Sie kümmert sich. Tagaus, tagein. Sie schläft auf einer Gästeliege neben seinem Krankenbett und erträgt es, wenn er plötzlich schreit, weil er nicht mehr weiß, wo er ist und ob es Tag ist oder Nacht. Zwischendurch ist er lange genug klar, um Angst vor dem nächsten Krankenhausbesuch zu haben und nächtelang nicht zu schlafen. Sie schläft dann auch nicht. "Aber", sagt sie und macht eine Handbewegung, die sagen soll, es ist alles nicht so schlimm, "er ist wie mein Bruder. Und er hat mir so geholfen mit meiner Mutter. Er war so ein guter Mensch."

Die Mutter von Alexandra Z. ist vor 13 Jahren gestorben. Und, obwohl sie inzwischen selbst 68 Jahre alt ist, muss sie an sich halten, nicht zu weinen, wenn sie von dem Schock erzählt, den ihr die Diagnose versetzt hat, "die Krankheit meiner Mutter, das hat mich verrückt gemacht", sagt sie. Drei Jahre lang hat sie die Mutter gepflegt, unterstützt von ihrem Bruder und dem Schwager, bis die Mutter schließlich starb - drei Tage nachdem die kleine Familie sie auf ihren Wunsch zurück in ihre Heimat gebracht hatte, die Alexandra Z. und ihre Schwester 1988 in Richtung Deutschland verlassen hatten. Für eine kurze, glückliche Zeit.

Ende 1991, als Alexandra Z. sich von ihrem zweiten Mann scheiden ließ, der sie betrogen und geschlagen hatte, war ihre Schwester schon tot, gestorben an einer Gehirnblutung von jetzt auf gleich, mit Mitte 3o. Den Zwillingsbruder hatten sie noch gemeinsam mit dem Schwager über die Grenze holen können, kurz vor der Öffnung der Mauer und dem Zerfall des Ostblocks, in einer Nacht- und Nebelaktion. Die drei Verbliebenen bilden heute eine Schicksalsgemeinschaft, die sich mehr schlecht als recht über Wasser hält.

Eine Umschulung brachte nicht das erhoffte dauerhafte Anstellungsverhältnis

Die Coronazeit habe den Verdienst des Bruders, der als Taxifahrer arbeitet, schrumpfen lassen, "oft hat er nur zehn Euro am Tag verdient", erzählt Alexandra Z.. Sie selbst bekommt eine Rente in Höhe von 125 Höhe aus ihrem Heimatland, lebt ansonsten von Grundsicherung, ohne die Tafel, käme sie kaum zurande. Eine Anstellung als Schwangerschaftsvertretung in einer Kanzlei verlor sie ebenso wie ihre langjährige Arbeit als Verkäuferin in einem großen Münchner Kaufhaus, persönliche Animositäten der weiblichen Vorgesetzten scheinen jeweils eine Rolle gespielt zu haben. Eine Umschulung zur Reiseverkehrskauffrau brachte nicht das erhoffte dauernde Arbeitsverhältnis. "Ich hätte immer nur im Sommer arbeiten können, zur Reisezeit. Und im Winter, was hätte ich da tun sollen?"

Jetzt ist es Winter, und Alexandra Z. bräuchte dringend ein paar Winterreifen für ihren alten Wagen, ohne den sie den schwergewichtigen Mann, den sie pflegt, nicht zu seinen Ärzten fahren kann. Ohnehin ist es schwierig für sie. Nach einer durch einen Unfall verursachten Thrombose vor Jahren ist eines seiner Beine steif, er kommt kaum vom Tisch zur nächsten Wand. Sie selbst leidet an Arthrose, jeder Handgriff ist mit Schmerzen in Handgelenken und der Schulter verbunden, außerdem leidet sie unter hohem Blutdruck. Wenn sie zu viel läuft, schwillt ihr Knie an. Aber solange sie es irgendwie kann, wird sie für ihren Schicksalsgenossen da sein. "Ich fühle mich gut, wenn ich etwas Gutes tun kann." Daran besteht kein Zweifel.

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