SZ-Adventskalender:Es ist immer zu wenig

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Die Tafelspenden sind für die Klienten oft der einzige Weg, etwas Abwechslung und auch mal frisches Gemüse auf den Tisch zu bringen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Julia B. ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern und trotz eines Vollzeitjobs Kundin bei der Tafel. Das Problem: Sie findet keine kleinere und damit günstigere Wohnung.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Das Geld reicht hinten und vorne nicht. Und das, obwohl Julia B. (Name geändert) einen Job hat. Sie arbeitet in einer Arztpraxis, Vollzeit. Doch nach Abzug der Miete bleibt ihr kaum mehr etwas von ihrem Geld übrig, etwa, um ein verlorenes Handy zu ersetzen, über das sie ihren 14-jährigen Sohn erreichen kann, wenn er zur Schule unterwegs ist. Deshalb ist Julia B. derzeit regelmäßig Kundin bei einer Tafel im Landkreis, um wenigstens ein bisschen Geld zu sparen.

1700 Euro plus Nebenkosten muss die alleinerziehende Mutter bezahlen für die Miete ihrer Wohnung, eine kleinere hat sie bisher nicht gefunden, weshalb sie jetzt zusätzlich einen Nebenjob angenommen hat. "Seit einem Jahr suche ich nach einer kleineren Wohnung", erzählt sie. Als sie in den Landkreis Ebersberg gezogen war, hatte sie noch eine größere Wohnung gebraucht wegen der drei Kinder - fast vier, wie sie erzählt, weil der Freund der ältesten Tochter regelmäßig zu Gast gewesen sei. Jetzt sei die Älteste ausgezogen, mache eine Ausbildung in Berlin. "Den Platz brauche ich also nicht mehr."

"Ich bin dann in ein Frauenhaus geflohen"

Als diese Tochter noch klein war, hatte für Julia B. die Hölle begonnen, der sie zweimal in ihrem Leben entflohen ist, beim zweiten Mal endgültig. Sie stammt aus Russland, war ihren Schwiegereltern und ihrem Ehemann nach Sachsen-Anhalt gefolgt, die Anfang der 2000er als Spätaussiedler nach Deutschland gezogen waren. Nachdem Julia B. noch in Russland eine Ausbildung zur Näherin beendet hatte, heiratete sie, durfte aber erst ein halbes Jahr später nach Deutschland. "Endlich bin ich bei meinem Mann", habe sie damals gedacht. "Aber ich war 19, was für ein Fehler."

Schon bald nach der Geburt der Tochter habe die Ehe begonnen, zu einem Albtraum zu werden, was genau passiert ist, darüber will Julia B. gar nicht reden. "Ich bin dann in ein Frauenhaus geflohen." Trotz der äußeren Umstände hat sie an jene Zeit gute Erinnerungen: "Dort waren ganz tolle Menschen, die haben sich um mich gekümmert, ich konnte die deutsche Sprache ja nicht richtig."

Weil aber der Großvater seine Enkelin sehen wollte, habe sie auch zu ihrem Mann wieder Kontakt gehabt. Sie sei in eine vom Jobcenter finanzierte Wohnung gezogen, wo er sie und seine Tochter einmal die Woche besucht habe, "nicht öfter, er hat ja in Ludwigsburg gearbeitet". Ein Nachbar aber habe sie beim Jobcenter denunziert und dort angegeben, dass der arbeitende Mann mit seiner Familie in der Wohnung leben würde, worauf das Jobcenter bereits gezahltes Geld zurückgefordert habe. In einem Widerspruchsprozess habe ein Gericht einige Jahre später zu ihren Gunsten entschieden.

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Tatsächlich zog das Paar dann wieder zusammen, 2007 kam das zweite Kind zur Welt, "ein Wunschkind", wie Julia B. sagt. "Endlich waren alle zusammen, alles war gut." Als die Kleine alt genug war, um in einen Kindergarten zu gehen, habe sie anfangen können, vier Stunden täglich zu arbeiten, in einer Modefabrik - wo sie dann, ein drittes Mal schwanger - nicht übernommen worden sei. "Noch zwei Wochen hätte ich gebraucht, dann wäre ich in den Mutterschutz gekommen." So aber wurde nichts daraus, wieder sei das Geld knapp geworden.

Doch Probleme sollten noch aus einer anderen Richtung kommen: Julia B.s Mann bekam erst eine Abmahnung wegen Drogenmissbrauchs, wurde schließlich aus seinem Job gekündigt - und ließ all seine Wut an seiner Frau aus. "Ich war an allem schuld", erinnert sie sich. Ihre Mutter, einmal aus Russland zu Besuch, habe sie noch vor ihm gewarnt, ein Jahr später sei sie gestorben, erzählt Julia B. und kann nicht verhindern, dass ihr die Tränen kommen. "Und jetzt ist sie nicht mehr da, meine Mama." 2012 war das. Seither sei sie nicht mehr in ihrer Heimat gewesen. Zu Hause lief dann alles schief, wie sie erzählt, ihr Ehemann, nicht mehr zugänglich, lehnte eine Familienberatung ab. Da sei sie gegangen, mit den drei Kindern, im August 2012.

Julia B. fühlt sich wohl im Landkreis, sie will nicht in eine größere Stadt ziehen

Seither kümmert Julia B. sich allein um alles - doch immer am Rande des Existenzminimums. Arbeiten sei ja schwierig gewesen, solange die Kinder klein waren. Über eine Freundin aus Russland, die auch hier lebt, sei sie schließlich nach Bayern gekommen, die Freundin habe ihr auch die dreieinhalbjährige Ausbildung zur Arzthelferin vermittelt - die am Schluss schon in die Coronazeit mit ihren Lockdowns hineinreichte. Ihre älteste Tochter hatte da gerade die Oberstufe des Gymnasiums erreicht, die beiden Kleineren habe sie irgendwie zu Hause über die Zeit bringen müssen.

Jetzt sucht Julia B. nach einer billigeren Wohnung. Ein Auto hat sie ebenso wenig wie einen Führerschein, was jeden Wohnort weitab des öffentlichen Nahverkehrs zum Problem werden lässt. Andererseits - irgendwo in eine größere Stadt will sie auf keinen Fall ziehen. "Ich bin auf einem Dorf groß geworden, meine Seele braucht das."

So können Sie spenden:

Überweisungen sind auf folgendes Konto möglich: "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V.", Stadtsparkasse München, IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00, BIC: SSKMDEMM.

Weitere Informationen auf www.sz-adventskalender.de

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