Konzert im Zornedinger Rathaus:Erfrischender Folk trotz der Hitze

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Das Zornedinger Rathausfoyer bietet zwar nicht unbedingt einen stimmungsvollen Konzertrahmen, doch die Folkband "Dulcimore" macht das Manko durch umso mehr musikalische Kunst wieder wett. (Foto: Christian Endt)

"Dulcimore" öffnet beim Comeback seine große Instrumentenkiste und zugleich die Herzen des Publikums.

Von Ulrich Pfaffenberger, Zorneding

Wie kam die Folk-Musik in die Welt? Menschen, die ihre Heimat verließen oder verlassen mussten und dabei wenig bis gar nichts mitnehmen konnten, behielten zweierlei im Herzen und im Sinn: ihre Sprache und ihre Musik. Denn wo Worte und Sätze in einer neuen Welt zunächst noch am Verstehen durch die anderen scheiterten, blieb doch das gemeinsame Musizieren, um sich zu verständigen. Zumal an Instrumenten die eigene Stimme schon vorhanden und weiteres Gerät unkompliziert herzustellen war. Ein Schlagzeug aus zwei Löffeln, eine handgeschnitzte Flöte, eine Kiste zum Trommeln, ein Metallophon aus Blechresten, eine Tröte aus Schlauch und Rohren, ein paar ins Holz geschlagene Nägel mit dazwischen gespanntem Draht als Zupfbrett. Wer das instrumentale Portfolio der Band "Dulcimore" genau ins Auge fasst und ihm dann auch noch die Ohren widmet, findet vielerlei Anspielung auf diese traditionsreiche "reisende Hausmusik", die im Lauf der Jahre und Jahrzehnte über die Ozeane wieder zurückgekehrt ist nach Zorneding. Dort, im Rathaus, gab das fünfköpfige Ensemble nach zweijähriger Zwangsabstinenz am Samstagabend ein vielumjubeltes Comeback, bei dem es in mehr als zwei, überaus lebhaften Stunden zeigte, dass es weder sein Handwerk verlernt, noch den Spaß an der Freud verloren hat.

Bei der Auswahl ihrer Titel, der Löwenanteil davon in eigenen Arrangements, beweisen die fünf ein ums andere Mal, dass ihre Multi-Instrumentalität weder Selbstzweck noch reine Liebhaberei ist, sondern klug und differenziert nach Melodie und Botschaft ausgesucht und komponiert ist. Schon bei der dritten Nummer im ersten Set, Scott Joplins "The Entertainer", rückt die Besetzung aus Klavier, Gitarre, Tenorflöte, Bassflöte und Hackbrett den Titel in die Zwischenwelt von Chicagos Gassen und Bayerischem Voralpenland, ergänzt um kleine Ausflüge ins Klassische, zum Beispiel bei Bachs "Sleepers Awake". In dieser Form fügt sich das Stück dann auch im Klang in die traditionelle Hoagascht-Form ein, an die man sich an diesem Abend mehrfach erinnert fühlt, wobei das Quintett im fliegenden Wechsel der Instrumente und Gesangsstimmen immer wieder bei sich selbst als neuer Gast mitspielt, Melodien aufgreift und diese variiert.

Es braucht ausgeprägten Musikverstand, viele Proben und sehr gutes Verständnis füreinander, wenn - wie geschehen - diese kunterbunte Klangwelt zufällig und zuverlässig zugleich wirken soll. Dabei gelingt es Betty Baindl, Brigitte Fritsch, Sigrid Koska, Peter Benz und Axel Obermeier, elegant und fließend auch moderne Instrumente einzuweben; das elektronische Piano sowieso, aber auch das "Ewi", kurz für "Electric Wind Instrument", eine Art blasbaren Synthesizer, der insbesondere das umstandslose Nachahmen des Saxophon-Sounds erlaubt. Da lernt man staunend Neues dazu und freut sich über eine anregende Demonstration technischer Innovation. Umso größer dadurch das Vergnügen beim Zuhören, das sich bei der vermutlich ältesten Zuhörerin im Publikum durch lautstarken Applaus mit der Klingel am Rollator Bahn bricht.

Was ebenfalls erklecklich zu diesem Vergnügen beiträgt: Der Programmzettel verrät nicht nur Jahr und Urheberschaft des jeweiligen Titels, sondern erzählt auch kleine Geschichten zu deren Inhalten. Derlei öffnet beim flotten Tempo und gesungenem Englisch eine zusätzliche Tür zum Verständnis. "Eine hübsche, aber sehr schüchterne mutmaßliche Spanierin (???) in Dublin ergreift immer die Flucht, wenn der verliebte Verehrer sich nähert", heißt es da zum Beispiel über "The Spanish Lady", das Gitarrist Peter Benz ausgesprochen pfiffig arrangiert hat. Wie überhaupt die Lust an der eigenen Note und das Vermögen zu geistreichen Kombinationen sich wie rote Fäden durchs Programm ziehen und manche ebenso überraschende wie inspirierende Kombinationen erzeugen - etwa die verblüffende Kombination von Griegs "Im großen Saal des Bergkönigs" mit dem Shanty "Soon may the Wellermen come". Im Lauf der zwei Stunden gibt jede und jeder aus dem Ensemble überzeugend Zeugnis vom jeweiligen kompositorischen Können.

Das Atrium des Zornedinger Rathauses indes wirkt arg steril für die emotionsgeladene Musik von "Dulcimore". Wobei man anerkennen muss, dass es überhaupt wieder (und noch) Spielorte gibt, die sich für Konzerte öffnen. Aber was zur Vollendung der Atmosphäre fehlt, sind die hölzernen Bohlen unter den Füßen, die im Rhythmus mitknarzen oder im Tanz die Instrumente verstärken, sind die trüben Laternen eines Speakeasy, die von der glänzenden Freude der Musizierenden überstrahlt werden, sind die Nebengeräusche von klingenden Gläsern und klapperndem Geschirr. Da können Marmor, Beton und LED-Lampen einfach nicht mithalten. Wobei zur Freude der Ohren die geöffneten Luken im Glasdach immerhin den Gesang der Vögel hereinlassen, die heiter und unbekümmert immer wieder die Nachwirkung des letzten Takts erweitern.

Am Ende des umjubelten Konzerts stand ein Abschied: Sigrid Kostka, die Meisterin der Zupfinstrumente, will sich künftig exklusiv dem Harfenspiel widmen - eine in pandemischer Abstinenz gereifte Entscheidung. Dadurch wird aus "Dulcimore" vorübergehend "Dulicless", denn mit ihr verlässt auch das namensgebende Instrument die Band. Es steht jedoch stark zu vermuten, dass mit dem Improvisationstalent der Folk-Ureltern und der Anziehungskraft der Band, die am Samstag trotz Hitze und starker Konkurrenz unwiderstehlich war, sich Neues zum Alten findet und der Wunsch nach "Zugabe" nicht in zwei Titeln endet, sondern in einem neuen Konzert.

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