Prozess am Landgericht:Erinnerungslücken und Beteuerungen

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28-Jähriger Markt Schwabener soll Baby über Balkon gehalten haben

Von Clara Lipkowski, München

An das, was in seiner Wohnung in Markt Schwaben vor etwas mehr als einem Jahr passiert ist, an einem heißen Sommerabend im August, hat Kevin E. keine Erinnerung. Er habe zwar an dem Tag selbst keine Drogen konsumiert, sagt er am Mittwochmittag im Gerichtssaal, wohl aber an den Tagen zuvor. Mit seiner Frau habe er Cannabis geraucht, Amphetamine und Tabletten genommen. Zu dem, was dann geschah, am 2. August 2017, kann er dem Vorsitzenden Richter Martin Hofmann im Münchner Strafjustizzentrum keine Antwort geben.

Kevin E. werden nach Aussage seiner Frau Veronika E. eine ganze Reihe von Taten zur Last gelegt. Er soll an besagtem Tag versucht haben, seine Frau und die beiden Söhne - damals fünf und 15 Monate alt, die sie in den Armen hielt - über das Balkongeländer der Wohnung im 4. Stock zu wuchten. Als das nicht klappte soll E. seiner Frau den jüngeren Sohn entrissen und ihn über seinen Kopf und über das Balkongeländer gehalten haben. Der Frau gelang es offenbar, das Baby an den Füßen wieder zu sich zu holen, Kevin E. soll sich das Kind aber wieder gegriffen und es aus Kniehöhe rücklings auf den Balkonboden geworfen haben. Anschließend soll er versucht haben, sich auf das Kind zu werfen. Er verfehlte offenbar seinen Sohn, und die Mutter riss das Baby wieder an sich. Mit erschrockenem Blick verfolgt E. diesen Teil der Antragsverlesung im Gerichtssaal.

Dann soll der E. mit mehreren Messern in "schneidenden Bewegungen" auf Frau und Kinder losgegangen sein. Die herbeigerufene Polizei konnte ihn stoppen, nachdem sie die Wohnungstür aufgebrochen hatte. Weil E. sich nicht beruhigte, eilten den vier Poinger Polizisten vier Ebersberger Beamte zu Hilfe. Die Mutter trug eine Schnittwunde am Rücken davon, die Kinder Schürfwunden und Prellungen.

Im Gerichtssaal verfolgt Kevin E. den ersten Verhandlungstag sehr aufmerksam. Ab und an bricht er im Satz ab, redet aber meist deutlich. Es könne sich nur daran erinnern, wie er seinen damals 15 Monate alten Sohn auf dem Arm gehalten hatte und ihn nicht mehr herunterlassen wollte, sagt er. Er fürchtete, jemand habe ihn, Kevin E., erschießen wollen. Wahnvorstellungen habe er schon mal gehabt. Auch in Behandlung war es deswegen. Seine Erinnerung setze erst wieder ein, als er im Krankenhaus aufwachte, fixiert am Bett.

Seit dem Vorfall ist er in einer psychiatrischen Klinik untergebracht, zur Verhandlung kommt er in Handschellen. Drogen nehme er seit vielen Jahren, räumt er ein, Cannabis, Amphetamine, er probierte Chrystal Meth. Seine Frau, so der Angeklagte, habe dabei oft mitgemacht - im Beisein der Kinder. Zwischendurch habe er den Absprung geschafft, aber als das zweite Baby unterwegs war, sei er überfordert gewesen. Er Alleinverdiener, die Familie verschuldet - so sei es wieder losgegangen.

Inzwischen sei er aber auf einem guten Weg, beteuert er vor dem Richter, er liebe seine Frau und seine Kinder und wolle für sie da sein. Veronika E. ist als Zeugin geladen, verweigert aber die Aussage. Stattdessen zeigt das Gericht ein Video ihrer Aussage bei der Polizei. Die Verhandlung wird am Donnerstag fortgesetzt, dann sind Gutachter und Psychologen geladen. Das Urteil wird für Freitag oder kommenden Dienstag erwartet.

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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