Pliening:Mit Kinderlähmung in der Massenunterkunft

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Im April soll die Plieninger Halle wieder abgebaut werden. (Foto: Endt)

In Pliening steht die einzig verbliebene Flüchtlings-Massenunterkunft im Landkreis. Die meisten, die hier wohnen, wollen endlich ein friedliches Leben führen. Weil es Ausnahmen gibt, führt das zu Problemen. Ein Besuch in der Halle.

Von Korbinian Eisenberger, Pliening

Laith Amir* trägt einen Mantel, in der Traglufthalle ist es kühl geworden, seit der Herbst nach Oberbayern gekommen ist. Der 50-Jährige sitzt auf einer der Bierbänke im Essbereich. "Hier ist es passiert", sagt er und zeigt auf eine Stelle vor der Frühstücksausgabe.

Dort, wo sich die Bewohner der Halle gerade Eier, Semmeln und Käse auf die Teller laden, kam es vor einer Woche zu einer Schlägerei, die bundesweit über die Nachrichtenticker lief. Weil ein Streit eskaliert war, rückte ein Großaufgebot der Polizei aus München, Erding und Ebersberg an. Am Ende wurden die Männer in 23 Streifenwagen abtransportiert. "Die Halle", sagt Amir, "die ist für uns alle eine Herausforderung."

Mittwochvormittag in der Plieninger Traglufthalle. Unter dem Hallendach sitzen Männer in Jacken und Turnschuhen beim Frühstück, einige wischen auf ihrem Smartphone, andere unterhalten sich gedämpft. Eine Woche ist die Schlägerei her, der heftigste Vorfall, seit die Halle im Frühjahr eröffnet wurde. Dem öffentlichen Bild der etwa 200 Hallenbewohner haben die Nachrichten kaum geholfen, Anwohner äußerten ihre Bedenken in den vergangenen Tagen besonders häufig.

In den Hallen hat sich einiges verbessert, aber nicht alles

Ein wenig könne er die Leute verstehen, sagt Laith Amir, auch ihm mache das zu schaffen. Es seien zwar nur einige wenige, die Abends betrunken in die Halle zurückkehrten und dann grölen und pöbeln würden, sagt er. Alleine seit Ende August ist es in der Halle jedoch zu drei Polizei-Einsätzen gekommen.

Die Plieninger Traglufthalle ist die einzige verbliebene Massenunterkunft im Landkreis Ebersberg, aber längst nicht die letzte im Freistaat. Bayernweit wohnen eineinhalb Jahre nach Beginn des Flüchtlingszuzugs immer noch Tausende unter Hallendächern. Manches hat sich dort verbessert, in Pliening hat das Landratsamt etwa im September eine Lüftung installiert, nachdem sich Bewohner im Sommer über Temperaturen bis zu 40 Grad beschwert hatten.

Dass sich die Gemüter erhitzen, dürfte aber nicht nur am Hallenklima liegen, sondern an der unnatürlichen Lebensform auf engstem Raum. Grundsätzlich, sagt Poings Polizeichef Helmut Hintereder, seien die Delikte im Landkreis nach wie vor nicht angestiegen. Flüchtlings-Auseinandersetzungen gebe es meist unter den Bewohnern von Asyl-Unterkünften - und je mehr Menschen dort zusammen leben, desto gravierender sei das Problem.

Eine Schlägerei wegen eines Tellers mit Essen

Das Schild vor dem Durchgang zu den Zimmern, wo immer vier bis sechs Männer in Stockbetten schlafen, hing schon vor einer Woche. "Keine Teller in die Schlafräume nehmen", steht dort auf deutsch und englisch. An diesem Vormittag halten sich alle an die Regeln, legen sich Gurkenstücke und Wurstscheiben auf ihre Pappteller und setzen sich an die Tische.

Vor einer Woche hatte einer der Männer einen Teller mit nach hinten nehmen wollen. Als ihn ein Security-Mitarbeiter darauf ansprach, warf er alles wütend von sich, kurz darauf begann die heftigste Schlägerei, die es in der Halle bis dato gegeben hat. Die Polizei Poing spricht von acht bis zehn beteiligten Personen.

Amir hat in Irak als Polizist gearbeitet, er wundert sich, dass die Schläger Montag erneut in der Halle einquartiert wurden. "Als wäre nichts gewesen", sagt er. Das Landratsamt bestätigt, dass die Männer wieder eingezogen sind. "Wenn man sie jetzt in kleinere Unterkünfte verlegt hätte, dann könnte das wie eine Belohnung aussehen", erklärt eine Sprecherin.

Stattdessen hat das Landratsamt die Anzahl der Security-Mitarbeiter verdoppelt. 14 Männer und Frauen stehen jetzt in dunklen Jacken am Eingang, einige haben Kaffeebecher in der Hand, unterhalten sich mit den Bewohnern. Eine entspannte Vormittagsschicht, von Krawallmachern keine Spur.

Mal witzelt einer, wenn der Mitbewohner den Teppich zum Beten ausrollt

Omaha Aranga aus Nigeria kennt die Schlägerei nur aus Erzählungen, wie viele in der Halle arbeitet der 21-Jährige oft bis spät abends in einem Restaurant. Er ist einer der wenigen Nigerianer in der Halle, die meisten, die hier wohnen, stammen aus Eritrea, Syrien oder Afghanistan. "Eigentlich haben wir uns ziemlich gut aneinander gewöhnt", sagt Aranga. Klar, mal witzelt ein Katholik, wenn der Mitbewohner den Teppich zum Beten ausrollt.

Ärger gebe es aber vor allem, wenn Alkohol im Spiel ist, sagt Jussuf Alhabdar, 27, aus Syrien, anerkannt, aber noch ohne Wohnung, wie viele hier, deren Asylantrag bewilligt wurde. Wenn er von seiner Schicht beim Paketdienst zurückkomme, werde er oft beim Einschlafen gestört. Es seien nur wenige, sagt er, doch die sind dafür umso lauter.

Manche kommen besser mit all dem klar, andere weniger. Viele, die hier beim Frühstück sitzen, sind froh, überhaupt untergekommen zu sein, dankbar, dass sie noch am Leben sind. Und dennoch erzählen auch viele davon, wie schwer das Leben unter Tragluftkissen ist - einer von ihnen ist Hassam Nahiri.

Der 24-Jährige stützt sich auf seinen Stock, humpelt durch die Drehtür, raus aus der Halle, hinein in die Herbstkälte. Der Pakistaner hat sich einen Ordner unter den Arm geklemmt, eine Sammlung von Attesten und Diagnosen verschiedener Münchner Ärzte. Spastische Hemiparese steht dort, und Kinderlähmung. In der Halle, sagt Nahiri, habe er ein Einzelzimmer, ein Privileg, Nahiri weiß das. Er darf in Deutschland bleiben, klar, er ist dankbar dafür.

Mit seiner Behinderung wünscht er sich aber ein anderes Umfeld, wo man sicher sein kann, dass man nicht vor Schlägern flüchten muss. Nur: Bisher hat er keinen Platz gefunden. Im Frühjahr endet der Vertrag des Landratsamts, dann wird die Halle abgebaut. Man sei "mit Nachdruck auf der Suche nach anderen Möglichkeiten", teilt eine Sprecherin mit, etwa in Vaterstetten und Zorneding. Noch sechs Monate, dann werden Hassam Nahiri und die anderen ausziehen.

* Alle Namen der Hallen-Bewohner geändert.

© SZ vom 13.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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