Lesen in der Krise:"Wir lassen uns nicht unterkriegen!"

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Auch der "Verlag Neue Stadt" aus Oberpframmern bekommt die Auswirkungen der Pandemie zu spüren - auf teils überraschende Weise. Ein Gespräch über neu gestellte Sinnfragen, große Sehnsucht nach Zuversicht und mehr Anteilnahme per Post.

Interview von Michaela Pelz

Der Verlag "Neue Stadt" hat auch in der Krise Erfolg, wie Frank Schmelzer und Stefan Liesenfeld erzählen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mitten in Oberpframmern befindet sich der "Verlag Neue Stadt". Der Name mag manchen zunächst nicht geläufig sein - die Produkte des Medienunternehmens mit Schwerpunkt Spiritualität und Lebenshilfe sind den meisten aber vermutlich schon einmal begegnet. Doch wie geht es solch einem Unternehmen zwischen geschlossenem Buchhandel und abgesagten Messen? Geschäftsführer Frank Schmelzer und Cheflektor Stefan Liesenfeld, verantwortlich für das Buchprogramm, ziehen eine eher ungewöhnliche Bilanz.

SZ: Meine Herren, wie ist es Ihnen in den letzten 12 Monaten ergangen?

Frank Schmelzer: Unerwartet gut und deutlich besser als befürchtet. Aber wie wohl die allermeisten Betriebe haben wir die Pandemie gespürt. Im Mai 2020 fing es an, die Umsätze gingen in diesem Monat im Vorjahresvergleich auf weniger als 40 Prozent zurück.

Wie haben Sie reagiert?

Schmelzer: Wir haben verstärkt auf unseren Onlineshop hingewiesen und versandkostenfrei verschickt. Das hat sich alles aber auch bezahlt gemacht, unser Umsatz im Onlinegeschäft ist um 20 bis 30 Prozent gestiegen.

Gab es noch andere Veränderungen?

Schmelzer: Um unsere Sichtbarkeit zu erhöhen, haben wir auf die sozialen Medien wie Facebook und Instagram gesetzt, die wir vorher wenig bis fast gar nicht genutzt hatten. Mittlerweile gibt es Posts für alle Neuerscheinungen und sogar kleine Videos.

Stefan Liesenfeld: Allerdings will man manche Produkte vor dem Kauf erst in die Hand nehmen und durchblättern - etwa Geschenkbücher. Die gehen sehr gut in Touristenorten und Klosterbuchhandlungen - alles Verkaufsstellen, die uns weggebrochen sind. Wenn kein Schiff zur Fraueninsel fährt, verkaufen wir da auch nichts.

Schmelzer: Was zugenommen hat, sind die Käufe von Direktkunden über unsere Website.

Liesenfeld: Für die hatten wir zum Glück auch passende Artikel wie das Geschenkheft "Ich wünsche dir Mut und Zuversicht". Da wurden von einzelnen Kunden große Mengen, zum Teil Hunderte von Exemplaren, bestellt. Auch jetzt noch ist es sehr gefragt. Das hat einiges wettgemacht.

Und wie sieht es aktuell aus?

Schmelzer: Wir haben die strategische Entscheidung getroffen, unser Programm wie geplant durchzuziehen. Aber die Vertreter haben diesmal bei den meisten Buchhandlungen keine Termine bekommen. Über Zoom kann man zwar Sitzungen abhalten, aber sonst nicht so gut die neuen Titel präsentieren. Seit einigen Wochen spüren wir stärker die Zurückhaltung des Buchhandels bei neuen Bestellungen. Manche haben aufgrund des Lockdowns im Spätherbst beziehungsweise Winter die Regale noch voller nicht abverkaufter Bücher.

2021 wird also wohl kein Highlight?

Schmelzer: Das kann man so nicht sagen - tatsächlich lief es in den ersten drei Monaten umsatzmäßig besser als in den letzten zwei Jahren.

Welche Überraschung! Woran lag das?

Schmelzer: Vor allem an einer Handvoll Titeln, mit denen wir teilweise schon in die zweite oder sogar dritte Auflage gehen. Erstens das Buch von Uwe Birnstein: "Hallelujah", Leonard Cohen!

"Ich habe Zeit", steht auf der Postkarte von Miri Haddick. (Foto: oh)

Was ja nicht so sehr eine Biografie ist, sondern dem Glauben Cohens, seiner spirituellen Entwicklung nachgeht...

Liesenfeld: Solche tiefergehenden Fragen interessieren jetzt vielleicht noch mehr. Die Erstauflage war sofort ausverkauft!

Schmelzer: Der Erfolg wäre aber wohl noch größer gewesen, wenn der Autor all die geplanten Lesungen mit Musik auch hätte durchführen können.

Liesenfeld: Die Sache war übrigens ein echter Schnellschuss: Unsere erste Besprechung, in einer Münchner Pizzeria, hatte stattgefunden, kurz bevor alles dicht machte. Und dann hat Birnstein gleich noch ein Bob-Dylan-Buch nachgeschoben (lacht). Das soll uns mal einer nachmachen, in so kurzer Zeit von der Idee zum Buch!

Wobei: Der Cohen ist ja alles andere als leichte Kost...

Liesenfeld: Mit der großen Bandbreite unseres Verlagsprogramms wollen wir ganz verschiedene Zielgruppen erreichen. Ganz bewusst bringen wir auch anspruchsvolle Titel, die im Übrigen jetzt stärker nachgefragt werden als in früheren Zeiten. Gerade in der Pandemie gibt es Menschen, die sich Sinnfragen stellen und sich Gedanken machen, "was wirklich zählt". Der gleichnamige Titel von Elisabeth Lukas ist ebenfalls ein Renner. Genau wie "Pandemie und Psyche - Wege zur Stärkung der seelischen Immunität", das sie zusammen mit Reinhardt Wurzel verfasst hat.

Warum, glauben Sie, ist das so?

Liesenfeld: Weil in diesen Büchern nicht einfach althergebrachte, vorgefertigte Auffassungen wiederholt werden. Alte dogmatische Formeln helfen in einer Zeit wie heute nicht weiter. Cohen zum Beispiel, der alles ausprobiert hat, ist Zeuge, dass es sich lohnt, bei Glaubensfragen am Ball zu bleiben. Das erreicht Menschen, die selbst auf der Suche sind.

Muss man für die Lektüre religiös sein?

Liesenfeld: In unserem Verlagsprogramm gehen wir zentralen Lebensfragen nach, auch spirituellen Themen, aber ohne konfessionelle Verengung. In den "Gretchenfragen des Menschseins", die sich zu allen Zeiten stellen, kann sich jeder wiederfinden. Ganz unabhängig von seinem Credo. Nehmen Sie "Pandemie und Psyche": Nach der Lektüre wird klar, dass es nach dem Ende der Krise das Übelste wäre, zur alten Normalität, vielleicht gar Banalität zurückzukehren. Die jetzige Zeit bietet eine große Chance, an wesentlichen Stellschrauben zu drehen - und hinterher nicht weiterzumachen wie zuvor!

Was, denken Sie, wird in Ihrer Branche "nach Corona" bleiben?

Schmelzer: Das starke Onlinegeschäft mit Direktkontakt zum Verlag - deswegen stellen wir auch gerade mit einem Förderprogramm der Regierung unseren Shop neu auf. Auch in Sachen "Buchmesse" wird sich bestimmt etwas verschieben. Das ist ja für uns normalerweise sehr wichtig, wegen der Auslandskontakte. Aber nach dem Ausfall letztes Jahr wurde das Lizenzgeschäft stärker über E-Mail, Telefon und Videoschalten abgewickelt. Das ging auch.

Hat Sie in diesem schwierigen Jahr auch etwas froh oder sogar stolz gemacht?

Liesenfeld: Wie schnell wir auf die Themenangebote der Autoren reagieren konnten. Bei "Pandemie und Psyche" hat es von der Ur-Idee bis zur Herausgabe nur drei Monate gedauert.

Schmelzer: Mittlerweile ist das bei uns im August 2020 erschienene Buch als Lizenzausgabe schon in der Slowakei veröffentlicht. Weitere Anfragen laufen.

Neben diesen intellektuell herausfordernden Titeln...

Liesenfeld: ...braucht es gerade jetzt auch eine gute Portion Leichtigkeit und Humor als Gegengewicht. Was uns Miri Haddick mit "Miese Krise, ich pfeif auf dich" liefert. Wunderbar locker, wie sie die Antworten der von ihr nach "Gegenmitteln" Befragten umgesetzt hat! Lauter Tipps, die gut tun und auch mal schmunzeln lassen.

Von Miri Haddick stammen auch viele Karten mit passenden Sprüchen.

Liesenfeld: Richtig! Zum Beispiel "Wir lassen uns nicht unterkriegen!" Wohl noch nie hatten wir so viele positive Rückmeldungen zu einer Karte wie zu dieser, auch aus dem Bekanntenkreis.

Schmelzer: Nachdem es in den letzten Jahren durch die zunehmende Nutzung elektronischer Medien gesunken war, ist das Kartengeschäft wieder deutlich gestiegen: bei uns zuletzt um ca. 20 Prozent.

Es gibt also wieder mehr "herkömmliche" Post?

Liesenfeld: Definitiv. Seit Jahren habe ich nicht mehr so viele Karten bekommen und selbst geschrieben wie jetzt. Außerdem habe ich festgestellt, dass es auch viel mehr Anteilnahme an persönlich schwierigen Situationen gab.

Schmelzer: Man hat gesehen, dass die Menschen versuchen, anderen Mut zu machen.

© SZ vom 26.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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