Nach den Wahlschlappen:Ebersberger SPD-Basis vs Parteiführung: Die und wir

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Die schlechten Wahlergebnisse auf Bundes- und Länderebene haben auch bei den Sozialdemokraten im Landkreis Spuren hinterlassen. Bei einigen sitzt der Stachel noch recht tief, andere wollen jetzt erst recht angreifen. Alle eint aber die Wut über die Politik in Berlin. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die SPD im Landkreis Ebersberg fühlt sich von Berlin im Stich gelassen. Über eine gespaltene Partei, die zwischen Frust und Aufbruchsstimmung pendelt.

Von Andreas Junkmann

Es ist der Ort, an den Menschen normalerweise gehen, um ihren Lebensabend zu verbringen. Dass sich die Kirchseeoner SPD ausgerechnet im Altenheim zur Mitgliederversammlung trifft, mag Zufall sein und wirkt dennoch irgendwie bezeichnend. Ist es doch gerade jene Partei, die das wohl bitterste Jahr ihrer Geschichte erlebt und der so mancher schon das nahende Ende prophezeit hat.

Im Landkreis Ebersberg sind die Sozialdemokraten innerhalb von fünf Jahren von 21,9 auf 10,6 Prozent abgerutscht. Ist die SPD tatsächlich zum Pflegefall geworden, oder geht es gar schon dem Ende zu? So weit will in der Partei freilich niemand gehen, doch das Jahr hat Spuren hinterlassen. Hört man sich bei der Basis im Landkreis um, wird deutlich: Das rote Tuch ist zerschnitten.

Drinnen im Speisezimmer des Awo-Seniorenzentrums ist die Stimmung trotz der herben Wahlschlappen auf Bundes- und Länderebene gut. Die Handvoll Mitglieder plaudern, lachen und lassen sich das kalte Buffet schmecken. "Nein, wir jammern nicht", sagt Thomas Kroll, der für die Sozialdemokraten im Kirchseeoner Marktgemeinderat sitzt. Und tatsächlich geht die Versammlung zunächst auch ihren gewohnt harmonischen Gang.

Zwei der insgesamt drei neuen Mitglieder sind an diesem Abend gekommen und stellen sich vor. Einer von ihnen, Alexander Höpler, wird sogar prompt zum stellvertretenden Ortsvorsitzenden neben Diana Thalhammer gewählt. Die andere Neue, Petra Walter, wird Beisitzerin. "Ich habe mich geärgert, wie in letzter Zeit mit der SPD umgegangen worden ist. Deshalb bin ich eingetreten", sagt sie. Es gibt Applaus.

Die Ortsvereine bekommen die Auswirkungen der Querelen zu spüren

Auch beim Jahresrückblick sind noch alle fröhlich. Der Neujahrsempfang sei inzwischen fester Bestandteil im SPD-Kalender, erzählt Thalhammer. Und auch die Ostereiersuche werde immer gut angenommen. Läuft beim Ortsverein. Dann aber kippt die Stimmung.

Der letzte Tagesordnungspunkt sieht eine Diskussion über das Abschneiden bei der Landtagswahl und die Zukunft der Partei vor. Inzwischen lacht keiner mehr. "Ich kann mir dieses Ergebnis in Bayern nicht erklären", sagt Herbert alias "Harry" Blöchl, SPD-Urgestein, Ehrenbürger und seit mehr als 50 Jahren in der Kommunalpolitik aktiv. "Jedes Mal nach den Wahlen kündigen die da oben Analysen an. Ich hab bis jetzt keine gesehen."

In diesen Sätzen wird schnell klar, wo der Hund begraben liegt. Der Graben zwischen der Parteispitze in Berlin und ihrer Basis ist größer denn je. Daraus machen die Mitglieder im Kirchseeoner Seniorenzentrum keinen Hehl. Mal allgemeiner ("Die Bundespolitik hat uns geschadet"), dann wieder konkreter ("Frau Nahles hat uns mit Maaßen den Genickschuss gegeben") kritisieren sie das Auftreten ihres Bundesvorstands.

Die Auswirkungen der Querelen in Berlin hat auch der kleine Ortsverein zu spüren bekommen. Die Wähler würden keinen Unterschied zwischen Parteispitze und Lokalpolitik machen. "Die sagen einfach, das waren die Roten", schimpft einer. Und auch an den Infoständen vor der Landtagswahl sei es fast nur um die Bundespolitik gegangen, stimmt ihm eine Genossin zu. Harsche Kritik gibt es auch an den Wahlkampfthemen. Zu "den Klimageschichten" sei überhaupt nichts gesagt worden, weshalb die Grünen "von der Dummheit unseres Bundesvorstands" profitiert hätten. Die Laune ist jetzt am Tiefpunkt. In Kirchseeon wollen sie personelle Konsequenzen sehen.

Aus dem ganzen Ärger ziehen die Mitglieder schließlich den Schluss: Wenn es die in Berlin schon nicht hinbekommen, dann müssen eben wir vor Ort ran. Regionale Themen wolle man anpacken, die Botschaften klarer formulieren und in den Forderungen drastischer werden.

Die Genossen wünschen sich frische Gesichter und klare Themen

Mit dieser Einstellung ist Kirchseeon kein Einzelfall im Landkreis. Wie SPD-Kreisvorsitzender Thomas Vogt sagt, würden von den Ortsvereinen viele Impulse kommen, was man besser machen könne. Natürlich sei immer noch "eine große Betroffenheit" zu spüren, doch es herrsche auch die Bereitschaft, die Ärmel hoch zu krempeln.

Für Vogt hatten die Debatten in Berlin ebenfalls "einen maßgeblichen Einfluss" auf das Abschneiden der SPD in Bayern, er kritisiert aber auch die Themen im Wahlkampf. "Vielleicht waren diese zu wenig zukunftsorientiert und auch intern nicht genug ausgearbeitet." Jedenfalls seien sie nicht bei den Wählern angekommen. Man müsse nun eine klare Strategie und eine Vision für die Zukunft entwickeln. Die Europawahl im kommenden Jahr sieht er dafür als Chance.

Wahlkampf ist parteiübergreifend nicht nur die Zeit der großen Sprüche und Versprechen, sondern auch der Gesten und Emotionen. Die Landkreis-SPD hatte ebenfalls ein recht symbolträchtigstes Bild zu bieten: Landtagsabgeordnete Doris Rauscher, die am späten Abend des 14. Oktober mit versteinerter Miene und Tränen in den Augen die Stimmauszählung in der Ebersberg Alm verfolgte. "Dieses Ergebnis mussten wir natürlich erst mal verdauen", sagt sie heute mit etwas mehr als zwei Monaten Abstand.

Die Gründe für das Abschneiden seien vielfältig, man könne deshalb nicht allein dem Bund den schwarzen Peter zuschieben. "Aber auch ich hatte große Mühe, meine Themen an die Leute zu bringen", sagt Rauscher. Umso glücklicher sei sie, über die Zweitstimmen doch noch ihr Mandat für den Bayerischen Landtag behalten zu haben.

Rauschers Blick richtet sich "sehr zuversichtlich" nach vorne. "Wir führen keine Grabenkämpfe im Kreisverband, sondern arbeiten gut zusammen." Mit den Lehren aus der Landtagswahl wolle man sich nun vor allem für die Kommunalwahlen 2020 gut aufstellen. Bei einer altehrwürdigen Partei wie der SPD müsse es schließlich auch wieder nach oben gehen. Aber Rauscher weiß auch: "Das wird kein Selbstläufer."

Ganz so optimistisch klingt Georg Hohmann nicht. Der Markt Schwabener Rathauschef ist einer von zwei SPD-Bürgermeistern im Landkreis und sieht die Basis ziemlich machtlos angesichts des Auftretens der Parteispitze. "Der Fisch stinkt vom Kopf her", sagt Hohmann deutlich. Da könne man sich vor Ort noch so das Bein ausreißen. "Was in Berlin zerstört wird, können wir hier nicht flicken." Sein Amtskollege Albert Hingerl aus Poing plädiert zumindest dafür, den Menschen am Ort wieder verstärkt zuzuhören. Aber auch er bedauert es sehr, "dass es der SPD, die sich nach wie vor als eine Volks- und Wertepartei sieht, nicht gelungen ist, das den Wählern zu vermitteln".

Hoffnung für die Zukunft könnte möglicherweise der eigene Nachwuchs machen. Magdalena Wagner jedenfalls gibt sich kämpferisch. Die Egmatinger Gemeinderätin ist Juso-Vorsitzende für Oberbayern und will mit Blick auf die Landtagswahl "nichts schönreden". Man müsse nun schauen, wie man das verloren gegangene Vertrauen wieder herstellen könne. Die Jusos würden dabei eine wichtige Rolle spielen. "Wir sind sehr aktiv in der Willensbildung und wollen uns auf allen Ebenen einbringen." Wagner würde sich wünschen, bei der kommenden Kommunalwahl auch frische Gesichter für die SPD präsentieren zu können. "Die jungen Leute sollen sehen, dass es da jemanden gibt, der für ihre Interessen eintritt."

Doch noch einmal zurück ins Altenheim nach Kirchseeon. Dort neigt sich die hitzige Debatte langsam dem Ende zu. Als Konsequenz bleibt, dass man ebenfalls gerne frische Gesichter sehen würde. Allerdings nicht auf die Kommunalwahl bezogen, sondern vor allem auf die Führungsebene der Partei. Zum Abschluss meldet sich erneut SPD-Urgestein Blöchl zu Wort, mit einem Satz, der vielen Sozialdemokraten im Landkreis aus der Seele sprechen dürfte: "Wir warten jetzt auf eine Analyse - und die Konsequenzen von oben."

© SZ vom 21.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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