Kultur in Vaterstetten:Wo überall der Klang zuhause ist

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Joo Youn Kim am Klavier begleitet ihre Tochter Ester Kim. Das Kind geht in die vierte Klasse der Grundschule Parsdorf und bereitet sich derzeit für "Jugend musiziert" vor. (Foto: Privat)

Die Musikschule sendet ihr Onlinekonzert aus diversen Räumen und Zimmern - das Programm reicht vom Paukenschlag bis zum Celloensemble.

Von Michaela Pelz, Vaterstetten

Was ist das Schlimmste, das einem kurz vor Konzertbeginn passieren kann? Früher: ein Hustenreiz. Heute: die lakonische Mitteilung des Computers: "Kein Netzwerk verfügbar." Aber ohne Internetzugang auch keine Teilnahme am Neujahrskonzert der Musikschule Vaterstetten. Panik! Zum Glück findet sich eine Lösung und man ist rechtzeitig da, beim fünften Zoom-Konzert dieses Schuljahrs, das mit einem wahren "Paukenschlag" losgeht, nämlich dem "Solo für 3 Pauken" von Arjo Mari, dargebracht von Filip Vojta.

Wie fast alle Schülerinnen und Schüler hat der 13-Jährige seinen Auftritt zwischen Weihnachten und Neujahr eingespielt. Ausnahmsweise durfte er das im Konzertsaal der eigentlich geschlossenen Musikschule tun, "denn Kesselpauken im Wohnzimmer sind nicht möglich," wie Bernd Kölmel erklärt, seines Zeichens nicht nur Schulleiter, sondern auch Schlagzeuglehrer. Wie ein Paukist denn dann übt? Die überraschende Erläuterung: "Die Bewegungsabläufe werden trocken einstudiert. Am besten mit drei großen Büchern, etwa Atlanten." Das Ergebnis kann sich auf jeden Fall hören lassen - wie auch die anderen 19 Beiträge bei diesem ganz besonderen Konzert. Kein Livestream ist es, sondern ein Zusammenschnitt von Einzelauftritten, abgespielt vor Online-Publikum, später nicht mehr abrufbar, sondern dargeboten nur bei dieser einen Gelegenheit.

Zu verdanken ist die Veranstaltung den beiden Musikpädagogen Katerina Stegemann und Patrick Goppold. Die Quer- und Blockflötenlehrerin, durch ihre Lehrtätigkeit an der Europäischen Schule in München mit Online-Formaten vertraut, fand schon im April 2020 in ihrem Kollegen aus dem Fachbereich Klavier schnell einen begeisterten Mitstreiter. Denn der technikaffine Pianist Goppold kennt sich nicht nur mit Musikproduktion aus, sondern hat auch schon früher Schülerkonzerte zu Motivationszwecken aufgezeichnet. Also lag die Idee eines Konzertfilms nahe.

Der Vorteil im Gegensatz zum Livestream von Darbietungen an permanent wechselnden Orten: Durch die Nachbearbeitung erhält man eine gleichbleibende Tonqualität; auch wird das Risiko von technischen Pannen minimiert, wenn die Übertragung aus nur einer statt aus 17 Quellen kommt. Aus so vielen Familien stammen nämlich die etwa rund 30 Mitwirkenden, die ein Spektrum an Stücken von Klassik bis Pop auf den unterschiedlichsten Instrumenten zum Besten geben.

Das Besondere dabei: Einige Schüler werden von ihren Müttern musikalisch unterstützt. Wie etwa Simon Eisele aus der Klasse von Anna Eiberger, dessen gefühlvoll vorgetragenes "Gabriel's Oboe" von Ennio Morricone sicher mehr als einer Person die Tränen in die Augen getrieben hat. Auch die Mutter von Ester Kim hat sich ans Klavier gesetzt, um ihre Tochter aus der Klasse von Katerina Stegemann bei Luigi Boccherinis "Menuett aus Streichquintett Op.13 Nr.5" zu begleiten. Derart gekonnt flötet die Viertklässlerin, dass man sich nicht wundern würde, schwebten Tanzpaare in weißen Perücken übers Parkett.

Was sicher ein Gegensatz wäre zu dem teilweise erfreulich leger gewandeten musikalischen Nachwuchs. So vielfältig wie die Kleidung präsentiert sich auch das jeweilige Ambiente, in dem die Musikstücke aufgenommen wurden: Mal sieht man die jungen Künstlerinnen und Künstler im noch weihnachtlich dekorierten Wohnzimmer, mal gibt es nur die Vortragende und ihr Instrument.

Wie bei Maria Pogolski aus Elena Faynbergs Klasse, die mit zwei Harfenstücken glänzt. Dieses Instrument, das sie erst seit drei Jahren zusätzlich zum Klavier beherrscht, möchte die Tochter zweier Berufsmusiker auch studieren - den ersten Schritt dazu hat die 13-Jährige als Stipendiatin der Münchner Musikhochschule schon gemacht.

Bei wem man sich ebenfalls über eine Zukunft als Profi nicht wundern würde, ist der herausragende Patrick Scholz (aktuelle Klasse: Martina Hussmann, davor: Eva Gärtner). Mit Leichtigkeit meistert der 14-Jährige bei Chopins technisch anspruchsvollem "Walzer e-Moll" die schnellen Lagenwechsel und beweist eine außerordentliche reife dynamische Gestaltungsfähigkeit.

Tatsächlich schafft das Medium Online-Film hier durchaus einen Mehrwert: Von jedem Platz aus lässt sich die Fingerfertigkeit der Spieler gut erkennen - was auch für den 19-jährigen Pianisten Gregor Stegemann (Klasse: Patrick Goppold) gilt, der den "Liebestraum" von Liszt aufführt.

Das Highlight am Programm-Ende wäre wohl ohne die besonderen technischen Mittel ebenfalls nicht möglich gewesen: "Over The Rainbow" (aus: "Der Zauberer von Oz"), dargeboten von Veronika Baylacher, Iva Hertel, Antonia Bhandari, Cecilia von Erffa, Leah Neumayer und Simeon Kovac. Dabei hat jedes Mitglied des Celloensembles unter Leitung von Benedikt Breinl die eigene Stimme aufgenommen und eingeschickt, dann erst wurde abgemischt.

Das Publikum an den Enderäten klatscht hörbar Beifall. "Bravo" und "Zugabe", so die Worte im Chat. Und dennoch: Hat man zwar das Rascheln von Bonbonpapier und die Anreise bei Schneefall nicht vermisst, wird man beides doch gern wieder in Kauf nehmen, sobald Präsenzkonzerte wieder erlaubt sind. So schön die Matinee auch ist, ist doch die Atmosphäre eines Live-Konzerts einfach durch nichts zu ersetzen.

© SZ vom 18.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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