Ausstellung in Grafing:Schätze der Erinnerung

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Das Grafinger Museum zeigt erstmals die Sammlung von Leonhard Dierl: Hunderte reich verzierte Wachsstöcke, die früher zu diversen Anlässen verschenkt wurden

Von Anja Blum

Der Grafinger Leonhard Dierls sammelt seit seiner Jugend Wachsstöcke, mitllerweile hat er mehr als 1500. (Foto: Christian Endt)

Oids Glump? Mitnichten! Zwar stößt die Sammelleidenschaft von Leonhard Dierl nicht bei jedem auf Verständnis, doch Historiker Bernhard Schäfer ist voll des Lobes. "Das sind wertvolle Zeugen unserer Kulturgeschichte", sagt der Leiter des Grafinger Museums, und man kann ihm nur zustimmen. Um ihn herum, in vielen Vitrinen, lagern die Schätze Dierls: zahllose Wachsstöcke in allen erdenklichen Gestaltungen. Mehr als 1500 Stück hat der Grafinger im Laufe seines Lebens gesammelt, etwa die Hälfte davon ist nun im Museum der Stadt Grafing zu sehen. Es ist das erste Mal, dass Dierl seine Wachsstöcke in Grafing und in diesem Umfang zeigt. Eröffnet wird die Sonderausstellung am Sonntag, 25. Oktober, um 13 Uhr mit einer Veranstaltung im Hof hinter dem Haus.

"Wachsstöckl - Vom Nutzgegenstand zum Geschenkartikel" ist die Ausstellung betitelt, denn sie macht eine lange, vielgestaltige Geschichte sichtbar. Grundsätzlich bestehen Wachsstöcke aus sehr langen, dünnen und leicht formbaren Kerzenschnüren, also einem mit Wachs ummantelten Docht, der aufgewickelt wird. Lange Zeit, vom 16. bis ins 19. Jahrhundert, dienten Wachsstöcke als Beleuchtungsmittel. Gerade in den Wintermonaten vertrieb man damit Dunkelheit und Kälte, sei es zu Hause oder in der Kirche. Der Wachsstock hatte der Kerze gegenüber den Vorteil, dass man keinen Halter oder Ständer dafür brauchte und er sich gut in der Jackentasche unterbringen ließ. Trotz dieser Handlichkeit wies er eine lange Brenndauer auf.

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(Foto: Christian Endt)

Die reich verzierten Wachsstöcke aus Leonhard Dierls Sammlung würde man wohl nicht anzünden.

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(Foto: Christian Endt)

Manche Wachsstöcke haben die Form von Altären, sie sind besonders wertvoll.

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(Foto: Christian Endt)

Die Motive sind meist sakral, der Brauch ist ein katholisches Phänomen.

Doch irgendwann gab es bessere Beleuchtungsmittel, so dass der Wachsstock im 20 Jahrhundert diese Funktion verlor. Damit verschwand er aber nicht von der Bildfläche, vielmehr erhielt er eine andere Bedeutung: Reich verziert und aufwendig geformt, wurde er zu einem kostbaren, in Ehren gehaltenen Erinnerungsstück, dem "Verwahrstöckl". Zwar bestehen die allermeisten Stücke immer noch aus Kerzenschnur, wie Dierl erklärt, man könnte sie also nach wie vor abbrennen - doch dafür sind sie viel zu schön.

Bald war der reich verzierte Wachsstock, wie seine Kollegin die Kerze, eingebunden in den Ablauf des Lebens und des Jahres mit all seinem Brauchtum, wobei er vor allem im katholisch geprägten süddeutschen und österreichischen Raum verbreitet war: ein Geschenk, das sich als Wallfahrtsmitbringsel, als Liebesgabe, zu Taufe, Erstkommunion, Firmung und Hochzeit großer Beliebtheit erfreute. Besonders an Lichtmess wurden Wachsstöcke nach allen Seiten verteilt. Nicht nur die Chorsänger der Pfarrei erhielten einen, auch die Mägde, die an diesem Tag ihren Jahreslohn ausbezahlt bekamen: In ganz Österreich und Bayern war es üblich, dass sich die Knechte den Mägden, die für das tägliche Aufbetten zuständig waren, mit einem mehr oder weniger kostbaren Wachsstock erkenntlich zeigten. Auch bei den Kellnerinnen sei im Lauf der Zeit ein beachtlicher Schatz an Wachsstöcken zusammengekommen, erzählt Dierl: "Sie wurden von den Stammgästen für das Waschen der Bierkrügl belohnt".

Die Formen der Wachsstöcke sind mannigfaltig: Es gibt Kasten, Altäre, Gebetsbücher zum Aufklappen, Pyramiden, Kronen oder Hufeisen. Die Motive, meist in der Mitte, sind großteils sakral: "Massenhaft Maria", sagt Dierl, "das sind bestimmt 50 Prozent". Ebenfalls hoch im Kurs ist Jesus, als Kind, Christus oder in Herzform, aber man sieht auch Kreuze, Engel oder diverse Heilige. Dazu kommen meist reich verschnörkelte Ornamente, Girlanden, Blumen, Perlen und vieles mehr.

Früher, als es darum ging, Dunkelheit zu vertreiben, wurden die Kerzenschnüre einfach aufgewickelt und dann angezündet. (Foto: Christian Endt)

Leonhard Dierl erstand seinen ersten Wachsstock im Alter von 17 Jahren, für fünf Deutsche Mark, in einem Laden neben der Grafinger Pfarrkirche. Der heute 69-Jährige erinnert sich noch genau an dem Moment: "Der hat einfach so schön geglänzt!" Dierls allererster Stock zeigt einen Christus mit goldenem Strahlenkranz und ist freilich auch in der Ausstellung zu sehen. Denn von diesem Kauf an war der Grafinger fasziniert. Als Banklehrling habe er damals viele ältere Damen angesprochen, erzählt er, ob sie denn nicht ein paar alte Stücke für ihn hätten - nicht dass die wertvolle Erbschaft irgendwann auf dem Müll lande.

Ja, schon damals war es Dierl ein Anliegen, die alte Kunst der Wachsstöcke für die Nachwelt zu bewahren. Mittlerweile hat er für jedes seiner Exponate eine extra Schachtel gebastelt, aufbewahrt werden sie im Keller, dort sei die Temperatur optimal, schön kühl, aber nicht zu sehr. Selbst herstellen kann Dierl Wachsstöcke nicht, aber wenn er einen beschädigten in die Hände bekommt, versucht er, diesen wieder zu sanieren. Außerdem gehört eine Reihe von Stanzen zu seiner Sammlung: Holzgriffe, an denen unten Formen aus Metall befestigt sind, mit denen früher die Motive zur Verzierung aus Wachsplatten herausgedrückt wurden. Blumen, Blätter, gar eine ganze Monstranz.

"Heute wird das leider alles industriell vorgefertigt", so Dierl. Auch die Schnüre seien nun viel dünner, weil sie sich so leichter aufwickeln ließen. Insofern suche er lieber auf Flohmärkten und im Internet nach alten Wachsstöcken, als an Wallfahrtsorten neue zu erwerben. Die finanzielle Spanne bei Wachsstöcken ist laut Dierl übrigens groß, sie reiche von 25 Euro bis hin zu 300. "Die alten Altäre zum Aufmachen zum Beispiel werden schon so hoch gehandelt. Da muss man viel Glück haben!"

Das älteste Stück aus Dierls Sammlung zeigt Jesus, wie er die Kommunion spendet, der Grafinger datiert es auf das Jahr 1850, "so ungefähr". Das Alter von Wachsstöcken zu bestimmen, sei nämlich sehr schwer, erklärt Dierl, denn es gebe kein Stempel oder Aufdruck darüber Auskunft. "Ich habe mal versucht, von den Herstellern alte Kataloge zu bekommen, aber das ist ganz schön kompliziert", so Dierl.

Auch in Grafing gab es bereits vor und nach dem 30-jährigen Krieg am Marktplatz Wachswarenerzeuger. Die Namen Ostler, Huber und Schlipfenbacher stehen für diese frühe Zeit. Bekannt ist vielen Grafingern sicher auch das "Lebzelterhaus" am Unteren Marktplatz (früher "Café Fischer", heute "Vom Fass"). Es wurde 1829 von Ignatz Fischer erworben, seines Zeichens Wachszieher, Lebzelter (Lebkuchenbäcker) und Posthalter. Sein Handwerkerwappen mit Bienenstöcken kann man heute noch an einer Wand bestaunen. Nur leider ist es Dierl bislang nicht gelungen, ein Exponat aus der Grafinger Manufaktur zu bekommen.

Trotzdem hat Bernhard Schäfer freilich schon großes Interesse an Dierls Sammlung bekundet, sollte er diese irgendwann vererben wollen. "Ich weiß nur nicht, wie es mit unserem Rückgebäude weiter geht, wann wir dort wie viel Platz haben werden", sagt der Museumsleiter. Fest stehe aber: "Oides Glump ist das nicht!"

"Wachsstöckl - Vom Nutzgegenstand zum Geschenkartikel", Sammlung Leonhard Dierl: Ausstellung im Museum der Stadt Grafing, Eröffnung am Sonntag, 25. Oktober, um 13 Uhr im Hof. Öffnungszeiten: sonntags 14 bis 16 Uhr, donnerstags, 18 bis 20 Uhr, extra Führungen nach Anmeldung sind jederzeit möglich. Zu sehen ist die Sonderausstellung bis 14. Februar.

© SZ vom 22.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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