Mitten in Grafing:Keine Ausreden fürs Christkind

Lesezeit: 1 min

Die Corona-Pandemie fördert die Digitalkompetenz von Kindern. Für das Christkind aber hat das schwerwiegende Folgen.

Glosse von Anja Blum

Viele sehr, sehr schlechte Dinge kann man über die Corona-Pandemie sagen - aber so manches bringt sie auch nach vorne. Die digitalen Kompetenzen des Nachwuchses zum Beispiel. Denn ohne Homeschooling wäre die Drittklässlerin aus Grafing sicher noch nicht imstande, Videos abzuspielen, Onlinekonferenzen zu managen oder Mails zu schreiben. Schließlich sind die Eltern doch eigentlich stets bemüht, die Bildschirmaffinität der Tochter noch so gering wie möglich zu halten, kommt ohnehin früh genug, der ganze Social-Media-Kram. Das Gleiche gilt für den Bruder, einen Sechstklässler, der selbstverständlich noch kein Handy besitzt, dank der schulischen Ansprüche nun aber schon mit Word- und Exel-Dokumenten um sich schmeißt. Sogar die ersten Power-Point-Präsentationen bastelt er schon. Inklusive Bildern und unübersehbaren Pfeilen. Arbeitsmarkt, ich komme!

Ach was, Arbeitsmarkt. Es gibt, gerade im Moment, doch viel wichtigere Dinge. Weihnachten zum Beispiel. "Mama, welche E-Mail-Adresse hat das Christkind? @Nordpol vielleicht?" Doch natürlich behält die Mutter dieses geheime Wissen für sich, wäre ja noch schöner. Das aber hat zur Folge, dass von nun an ihr eigenes Postfach bombardiert wird. Von den eigenen Kindern. Jackflow567@web.de schickt PDFs mit dem Titel "Meine Weihnachtswünsche", eins für die Schwester, eins für sich selbst. In immer neuen Aktualisierungen. "Liebe Mama, falls ich dich mit meinen E-Mails nerve, tut es mir leid. Aber uns ist noch etwas eingefallen." Immerhin sind die Dokumente hübsch anzusehen. Bunte Päckchen, Sterne und ein geschmückter Baum leuchten einem da freundlich entgegen. Und die Auflistungen der Wünsche - vor allem Minecraft und Gravitrax stehen hoch im Kurs - sind praktischerweise gleich mit Anschauungsmaterial versehen.

Die Deutlichkeit der Botschaft aber ist schon erschreckend, da bleibt so gar kein Interpretationsspielraum fürs Christkind mehr. Wunschzettel mit dem Wind weggeflogen? Leider unvollständig? Unleserlich? All diese Ausreden ziehen fortan nicht mehr. Dieses verfluchte Homeschooling! Wie war das nochmal? Christ@kindl.de?

© SZ vom 21.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: