Mitten in Ebersberg:Unter jedem Dach ein anderes Ach

Wer auf dem Lande lebt, hat während der Ausgangsbeschränkungen zumindest die Möglichkeit, der Enge und den diversen Problemen in den eigenen vier Wänden für kurze Zeit zu entfliehen

Kolumne von Anja Blum

Das Coronavirus spaltet die Menschen in diverse Lager. Nicht nur in Gesunde und Kranke, sondern auch im Hinblick auf den Alltag. Normalerweise haben sich die allermeisten Menschen in ihrem Leben eingerichtet, ganz nach ihren Bedürfnissen. Der eine mag es eher hektisch, der andere lieber geruhsam. Nun aber ist alles anders, die vielfältigen Beschränkungen des öffentlichen wie beruflichen Lebens haben die Verhältnisse völlig durcheinandergewirbelt. Unter jedem Dach herrscht jetzt ein anderes Ach - abzulesen am subjektiven Empfinden beim Blick auf die Uhr.

Erst einmal gibt es nun jene Ebersberger, die von der Corona-Krise zum Nichtstun verdammt sind. Angestellte, die derzeit nicht gebraucht werden. Die nicht von zu Hause aus arbeiten können. Hinzu kommen all jene Rentner, deren vielfältige Aktivitäten nun ausgesetzt sind. Sie alle sind vermutlich froh, wenn sie einen Keller haben, der längst aufgeräumt gehört, oder einen großen Stapel ungelesener Bücher. In diesen Wohnzimmern nämlich bewegen sich die Zeiger der Uhr momentan unendlich langsam.

Direkt daneben wohnen aber auch viele Menschen, Eltern zumeist, denen die Zeit unaufhaltsam davonrennt. Weil sie einerseits ihrem alltäglichen Geschäft weiter nachgehen müssen, obendrein aber ihre Kinder beaufsichtigen und sogar unterrichten sollen. Allen Vorteilen des Home-Office zum Trotz ist das eine schier unlösbare Aufgabe. Da fällt es kaum auf, dass Pilates und Kino gerade nicht stattfinden. Jeder Tag, der nicht in der Katastrophe, sondern erschöpft auf dem Sofa mündet, ist ein guter Tag.

Die letzte, und vielleicht bedauernswerteste Gruppe sind die vielen Selbständigen im Landkreis, denen nun sämtliche Aufträge abhanden gekommen sind. Die sich herumplagen müssen mit existenziellen Nöten und verzweifelt nach Alternativen suchen, um die Krise wirtschaftlich zu überstehen. Ladeninhaber und Künstler zum Beispiel. Beim Blick auf die Uhr packt sie aller Wahrscheinlichkeit nach das Grauen: Was, schon so spät, und noch immer keine Lösung in Sicht?

Hinzu kommt, dass jene Hilfsmechanismen, die gerade auf dem Land sonst so gut funktionieren, ebenfalls ausgesetzt sind. Die Enkel dürfen die einsame Oma nicht mehr besuchen, die Nachbarn keine gemeinsame Kinderbetreuung organisieren, die Kleinstädter ihre Geschäftsleute nicht mit Einkäufen unterstützen. Umso schöner ist es, dass sich allerorts im Landkreis andere Formen der Hilfe entwickeln, analog wie digital, und trotz allem großer Zusammenhalt spürbar ist. Grundlage dafür ist auch das Verständnis für die Situation des jeweils anderen. Und egal, an welchem Ach man leidet: Gerade in solchen Zeiten erweist sich doch das Landleben als großer Segen. Ein jeder kann mal Durchschnaufen an der frischen Luft, und ein kleiner Ratsch über den Gartenzaun, bei dem man die Uhr mal kurz vergessen kann, fällt wohl noch nicht unter das Kontaktverbot.

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