Mit Plakaten gegen die Rückführung:Gemeinsam gegen die Angst

Lesezeit: 3 min

"Afghanistan ist sicher, die Erde ist eine Scheibe", steht auf einem Plakat, das die Demonstranten tragen. (Foto: Christian Endt)

300 Meschen protestieren beim Besuch von Innenminister Thomas de Maizière in Poing gegen eine härtere Abschiebepraxis für Flüchtlinge. Unter den Demonstranten sind viele Afghanen. Es wird laut, aber nicht aggressiv.

Von Korbinian Eisenberger, Poing

Die lautesten Stimmen dröhnen unter einem Banner hervor, "Afghanistan is not safe", steht dort in rot und schwarz. "Stopp, stopp, Abschiebestopp", tönt es aus dem Pulk. Mitten drin, in der vordersten Reihe, stehen jene, um die es geht, afghanische Flüchtlinge, die befürchten, dass die Bundesregierung sie in ihr umkämpftes Herkunftsland abschiebt.

Während im Feuerwehrhaus Innenminister Thomas de Maizière (CDU) spricht, protestieren sie vor dem Eingang mit Schildern, Trommeln und Sprechchören. Ihre Banner haben sie selbst gemalt, bei manchen haben sich Rechtschreibfehler eingeschlichen, aber die Botschaft ist klar. "Afghanistan ist sicher und die Erde ist eine Scheibe."

Poing
:Loblied aufs Ehrenamt

Thomas de Maizière spricht beim Blaulicht-Empfang der Ebersberger Kreis-CSU erwartungsgemäß nicht über Flüchtlingspolitik. Stattdessen zeigt er neue Perspektiven auf.

Von Barbara Mooser

Donnerstagabend in Poing, es ist eine der größten Demonstrationen, die es im Landkreis Ebersberg in den letzten Jahren gegeben hat. Hunderte Menschen versammeln sich am späten Nachmittag auf dem Marktplatz und ziehen gemeinsam zum Feuerwehrhaus, wo de Maizière anlässlich des Blaulichtempfangs der Ebersberger Kreis-CSU eine Ansprache halten wird. Gegen 17 Uhr sprechen die Veranstalter vom Asylhelferkreis Markt Schwaben und die Polizei von etwa 300 Demonstranten, viele von ihnen Flüchtlinge aus Afghanistan.

Den Demonstranten geht es um eine der jüngsten Entwicklungen in der deutschen Asylpolitik. Das Ministerium von de Maizière will durchsetzen, dass afghanische Asylbewerber künftig einfacher und schneller abgeschoben werden können. Ernst Hörmann, Winterjacke, Protestbanner aus Stoff, ist deshalb aus Freising gekommen, wo der dortige Helferkreis eigens einen Bus zur Demo organisierte.

300 Einheimische, Flüchtlinge und Menschen aus der umliegenden Region demonstrieren am Donnerstagabend gegen Abschiebungen. (Foto: Christian Endt)

Erinnerung an christliche Werte

Wie viele andere, die hier stehen, hat er große Zweifel an der Einschätzung des Innenministers, dass es in Afghanistan "sichere Zonen" gibt, die eine Rückführung von Flüchtlingen rechtfertigt. "Ich kann nicht verstehen, wie man als Mitglied einer christlichen Partei so eine Entscheidung treffen kann", sagt Hörmann.

Am Feuerwehrhaus, wo der Innenminister die Kreis-CSU besucht, versammeln sich auch die Demonstranten. (Foto: Christian Endt)

Im Landkreis Ebersberg könnte der neue Kurs des Innenministerium 166 Afghanen betreffen, die entweder noch im Asylverfahren sind oder bereits abgelehnt wurden. Islamodin Dawar aus dem nordafghanischen Tachar, der die vergangenen Monate in den Traglufthallen von Pliening und Grub verbracht hat, ist dem Aufruf aus Markt Schwaben gefolgt. Wie die meisten, die hier stehen, hält der 22-Jährige auch ein Schild in der Hand. Dass Afghanistan nicht sicher ist, steht drauf. "Ich und viele anderen sind vom Krieg geflohen", sagt er. "Wenn ich zurück muss, bin ich in Gefahr."

Ebersberg
:Im Landkreis droht 166 Afghanen die Abschiebung

Neun von ihnen haben bereits den Bescheid zur Ausreise erhalten. In Poing steigt um 16.15 Uhr eine Demonstration gegen den neuen Kurs des Gastredners beim dortigen Blaulichtempfang, Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Von Korbinian Eisenberger

Über Poing ist die Finsternis hereingebrochen, drinnen wo der Minister spricht, hört man die gedämpfte Stimme von Stephan Dünnwald nur, wenn man genau hinhör, obwohl er durch einen Lautsprecher spricht. Der 54-Jährige kam aus München nach Poing, er ist Sprecher des bayerischen Flüchtlingsrats, in seiner Ansprache fordert er den Innenminister zu einem Kurswechsel auf.

Er sei positiv überrascht über die Teilnehmerzahl, "als die Demo losging, mussten wahrscheinlich viele noch arbeiten", sagt er der SZ. Am Samstag will seine Organisation in München eine Mahnwache halten, die Afghanistan-Abschiebungen, sagt er, die würden auch dort bei vielen für Unverständnis sorgen.

Die Demonstranten sind laut, es bleibt aber friedlich

Die Stimmen der Demonstranten dröhnen durch die Nacht, es geht laut zu in Poing, aber nicht aggressiv. Die 20 bis 30 Polizisten verleben einen entspannten Abend. "Die Demonstranten sind kooperativ", sagte Wolfgang Spindler, Gruppenleiter der Polizeistaffel, die sich vor dem Gebäude aufbaut.

Um eine direkte Konfrontation der Demonstranten mit dem Minister und seinem Gefolge zu vermeiden, sperren etwa ein Dutzend Beamte den direkten Zugang zum Feuerwehrhaus ab, die Demonstranten durften erst vor das Gebäude ziehen, als der Minister es längst betreten hat. Später wird Poings Polizeichef Helmut Hintereder erklären, dass es zu keinen Zwischenfällen gekommen ist.

Schließlich spricht Markt Schwabens Helferkreischef Tobias Vorburg (Kreisvorsitzender der Grünen in Ebersberg) durch den Lautsprecher, er ruft eine Statistik Richtung Feuerwehrhaus, wonach die Uno in Afghanistan seit 2009 knapp 60 000 zivile Opfer gezählt habe. Noch ein Seitenhieb auf den Grafinger CSU-Politiker Thomas Huber, der eine strengere Zuwanderungspolitik verteidigt: Vorburg bezeichnet den Landtagabgeordneten als "unwählbar" während Huber im Feuerwehrhaus sitzt und noch vor dem Innenminister zu den Gästen spricht.

Draußen ergreifen schließlich die Männer unter dem größten aller Banner das Wort. "Lieber de Maizière, Afghanistan ist nicht sicher", rufen sie minutenlang. Bevor sie die Banner wieder einrollen, hallen ihre Stimmen zwei Stunden lang durch die Poinger Nacht.

© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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