Jugendprojekt abgesagt:Dirigent ohne Orchester

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Maximilian Leinekugel aus Vaterstetten sorgt sich um die Zukunft der Kultur

Von Alexandra Leuthner, Vaterstetten

Es ist ja nicht so, als ließe sich die viele Zeit, die man jetzt zu Hause verbringt, nicht für Dinge nutzen, die man sonst nie tut. Kellerräumen, ausgiebig Schafkopfspielen - oder alle 32 Beethovensonaten auseinandernehmen. Letzteres ist zugegeben eher etwas für Leute vom Fach, so wie Maximilian Leinekugel. Orchesterpartituren aller Art sind dem Jungdirigenten und Tassilopreisträger aus Vaterstetten ohnehin tägliches Brot. Spätestens am Ende seines Masterstudiengangs Orchesterdirigieren im Mai 2021 sollte er sich mit sämtlichen Klassikern auseinander gesetzt haben, die auf den Spielplänen der großen Konzerthäuser zu finden sind, von den Sinfonien Beethovens über Brahms, Mozart, Tschaikowsky hin zu Mahler oder Strauss. Beethovens Klaviersonaten sind da eigentlich nicht inbegriffen, da musste erst der Lockdown kommen, dass Leinekugel Zeit hatte, sich mit Pathetique, Pastorale, Mondschein- oder Waldsteinsonate auseinanderzusetzen. "Sie fallen eigentlich nicht zwingend in mein Metier, aber als Kompositionen, die auf die Musikgeschichte große Auswirkung hatten, schadet es nicht, sie im Repertoire zu haben."

Die Osterferien über hätte der 24-Jährige auch ohne Coronakrise bei seinen Eltern in Vaterstetten verbracht - und sich seinem Jugendorchesterprojekt gewidmet: An diesem Samstag hätte im Kleinen Theater Haar eine kostenlose Probephase für Nachwuchsmusiker zwischen 14 und 16 Jahren mit einem Konzert zu Ende gehen sollen. Seit Monaten war alles vorbereitet gewesen. Matthias Riedel-Rüppel, Leiter des Theaters, ist einer von Leinekugels größten Fans und hätte die Räumlichkeiten für den Workshop zur Verfügung gestellt. Musiker aus Leinekugels eigenem Orchester, den Munich Classical Players, hatten sich als Unterstützer der Proben mit den Jugendlichen angesagt. Young Classical Players hätte das Projekt heißen sollen. Doch es kam alles anders.

Mitte März hatte Leinekugel den Teilnehmern absagen müssen, damals noch in der Hoffnung, vielleicht ja doch innerhalb dieses Jahres einen Ersatztermin zu finden. Damit wird es nun wohl auch nichts werden, planbar ist im Augenblick gerade im Kulturbereich gar nichts. Die Noten, die schon lange verschickt waren, hat er inzwischen zurückbekommen, zusammen mit der Versicherung, dass viele der Teilnehmer auch bei einem neuen Termin dabei sein wollen. Wobei manch einer dann schon aus der Zielgruppe 14 bis 16 heraus gefallen sein dürfte, wie der Vaterstettener bedauert. Tatsächlich könnte es nun ein ganzes Jahr dauern, bis der Dirigent, der für sein Engagement in der Nachwuchsarbeit 2018 mit dem Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet worden war, erneut zum gemeinsamen Musizieren laden kann.

Nicht nur wegen des Virus', sondern auch wegen seiner eigenen Pläne. Im Herbst steht für Leinekugel, der mitten im Masterstudiengang Orchesterdirigieren am Royal Birmingham Conservatoire steckt, die nächste Prüfungsphase an - wenn er denn bis dahin an seine Uni zurückkehren kann. Der Flieger, den er diesen Sonntag hätte nehmen wollen, fliegt erst gar nicht. "Ich wüsste momentan gar nicht, wie ich nach Birmingham kommen sollte", sagt er

So wie für Menschen, die mit und von der Kultur leben, gerade gar nichts leicht sei. Womit Leinekugel darauf zu sprechen kommt, was ihn ganz besonders umtreibt: eine fehlende Perspektive in Zeiten der Krise. "Es ist absehbar, dass Fördergelder nicht mehr gezahlt werden", schließlich reiße die Krise ja ein riesiges Loch in die Staatskasse, sagt er. Selbst Einrichtungen wie die Bayerische Staatsoper, die eben sämtliche Aufführungen bis zu den Sommerferien abgesagt hat, würden das zu spüren bekommen. Noch schlimmer aber werde die Lage für die Nichtfestangestellten, sei es, wenn sie Teil internationaler Ensembles sind, die gar keine Förderung bekommen, oder wenn sie als Solokünstler ihre Brötchen verdienen "Für die wird es jeden Tag schlimmer". Es müssten jetzt Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie die Kunstschaffenden mit und trotz Corona zu ihrem Publikum kämen. An das Maskentragen bei Veranstaltungen etwa könne man sich gewöhnen, in Asien habe er das bereits früher erlebt. Auch eine kleinere Menge Gäste könnte eine Möglichkeit sein. "Lieber ein halbvoller Saal als gar kein Auftritt." Auch für die beiden Konzerte, die Leinekugel selbst mit seinen Munich Classical Players im Juni und Juli in Poing und Ebersberg geplant hat, könnte so etwas eine Lösung sein, noch sind die beiden Auftritte nicht abgesagt.

"Die Gefahr ist, dass man allzu leicht sagt, auf die Kultur kann man jetzt vorübergehend verzichten." Aber die Frage sei, wie die Szene sich anschließend davon erhole. Dabei gehe es nicht nur ums Geld - Leinekugel befürchtet auch einen Verlust an Qualität. Zeit zum Üben zu haben, sei ja eine schöne Sache und werde jeden Musiker erfreuen, "aber die Frage ist, wie lange kann man sich das leisten, wenn man vielleicht etwas anderes tun muss, um Geld zu verdienen." Und nicht zuletzt gehe es beim Musizieren ja auch um das gemeinsame Erleben. Dirigier- unterricht bekomme er ja gerade von seiner Uni per Skype, "das geht schon. Aber letztendlich stehe ich als Dirigent ohne ein Orchester doch ziemlich alleine da".

© SZ vom 18.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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