Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen:Wozu es Mut braucht

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Der Journalist Heribert Prantl und die Theologin Margot Käßmann sind die Dialogpartner der 114. Markt Schwabener Sonntagsbegegnungen. (Foto: Christian Endt)

Die Theologin Margot Käßmann und der Journalist Heribert Prantl diskutieren über Krieg, Frieden und die Missbrauchsskandale der Kirchen.

Von Jakob Heim, Markt Schwaben

Fast schon traditionell folgt auch an diesem Sonntagvormittag das "Who is Who" aus Politik und Wirtschaft des Landkreises Ebersberg und zum Teil darüber hinaus der Einladung von Altbürgermeister Bernhard Winter zur Markt Schwabener Sonntagsbegegnung. So drückt es jedenfalls sein Nachnachfolger Michael Stolze (parteilos) aus. Dazu zählen dürfen sich in jedem Fall der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU), die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes Simone Fleischmann, Bezirksrätin Walentina Dahms (CSU) oder Markt Schwabens Brauereichef Erich Schweiger.

Im Mittelpunkt der illustren Veranstaltung steht aber wie immer der Dialog im Bürgersaal des Unterbräu. Dieses Mal trafen sich dazu der SZ-Kolumnist und Buchautor Heribert Prantl und Margot Käßmann, einstige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Angelehnt an den Titel eines Buchs der Theologin, das 2020 im bene! Verlag erschien, lautet das Thema dieser 114. Sonntagsbegegnung "Mut".

Bei der AfD dürfe man intolerant sein, sagt Prantl

Auf dem Podium kommt dieser Titel zunächst reichlich unbestimmt daher. Und so bietet er Spielraum für allerlei Bezüge zu den großen Themen unserer Zeit. Drei Schlaglichter greifen die Gesprächspartner heraus. Postuliert Prantl einführend einen Bedarf der Demokratie nach "Mut zur Intoleranz in der Auseinandersetzung mit der AfD", äußert Käßmann ihre Erleichterung über die jüngsten Massendemonstrationen gegen Demokratiefeindlichkeit und Intoleranz vonseiten der politischen Rechten: "Ich bin in den letzten Tagen froh, wie viele Menschen auf die Straße gehen, weil ich mich zeitlebens für ein Deutschland eingesetzt habe, das Vielfalt lebt."

Der weitaus größte Teil ihres Gesprächs dreht sich um Fragen nach Krieg und Frieden, wie sie Heribert Prantl zusammenfasst. Auch hier ist der aktuelle Bezug kaum zu verkennen. So bringt der Journalist, der auch mal Staatsanwalt war, seine Bewunderung für Käßmann zum Ausdruck, dass sie den Mut besitze, sich zum Pazifismus zu bekennen, "auch wenn der schon mal höher in Mode stand".

Das Publikumsinteresse an der 114. Sonntagsbegegnung war wie immer hoch und die Veranstaltung schnell ausgebucht. (Foto: Christian Endt)

Beide bemühen rege den historischen Vergleich. Und wenngleich Prantl zu bedenken gibt, dass es "ohne Waffengewalt wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre, die Nazis in Deutschland zu besiegen", ist er sich mit Käßmann einig: "Man kann den Frieden auch herbei verhandeln. Ich wehre mich dagegen, zu sagen: 'Putin ist nicht verhandlungswillig'."

Das Beispiel Nazideutschlands komme natürlich immer, sagt Käßmann, aber sie frage sich, was wohl gewesen wäre, hätte es eine große pazifistische Bewegung im Deutschland der Dreißigerjahre gegeben. "Wir können die Geschichte nicht ändern, aber wir können aus ihr lernen", so Käßmann.

So mangelt es dem Zwiegespräch bisweilen an dem, was sich Käßmann für die Gesellschaft so wünscht: Vielfältig sind die hier abgebildeten Meinungen nicht. Ein Zuhörer nimmt abschließend eine Gegenposition ein. Er erinnert an den britischen Premierminister Chamberlain, der sich nach dem Münchner Abkommen von 1938 als Bewahrer des Friedens habe feiern lassen, was doch in der Rückschau als Fehlschluss zu interpretieren sei. Ob nicht dieses Stück Geschichte ein früheres, beherzteres militärisches Entgegentreten lehre, möchte der Zuhörer sinngemäß wissen. "Ich mache nicht mit bei der Abwatschung auf Chamberlain", entgegnet Prantl. "In der Nachbetrachtung" finde er den Gedanken gut, es gäbe "eine Mischung aus Chamberlain und Churchill." "Mir fehlt aber aktuell das Chamberlainsche Element, nicht das Churchillsche", sagt Prantl.

Auch die evangelische Kirche habe die Täter statt der Opfer geschützt

Das dritte Thema der Dialogpartner ist eines, bei dem es naturgemäß keine zwei Meinungen gibt: die Missbrauchsskandale der Kirchen beider Konfessionen. "Auch da spielt Mut eine Rolle", sagt Prantl. "Mut der Opfer, an die Öffentlichkeit zu treten", präzisiert Käßmann. Journalist und Theologin haben immer geglaubt, in der evangelischen Kirche sei es besser als in der katholischen Kirche. "Ich habe das gehofft, weil ich gedacht habe, das Zölibat spielt dabei eine Rolle", sagt Käßmann. Nun komme heraus, dass in der evangelischen Kirche das Ausmaß der Missbrauchsfälle bedrückend sei. Sie sei sauer, "dass die Täter die Jugendarbeit der Kirchen in den Dreck ziehen". Auch in der evangelischen Kirche habe bisweilen ein "Männerklüngel" geherrscht, der die Täter statt der Opfer in Schutz nahm. Dabei sei theologisch eindeutig, dass sich die Kirche auf die Seite der Opfer stellen müsse.

Diese Sonntagsbegegnungen, mit der auch der 70. Geburtstag Bernhard Winters gefeiert wurde, ermöglicht schließlich doch noch ein ermutigendes Ende. Bei der Frage, was man aus den derzeitigen Demonstrationen gegen rechts lernen könne, erkennt Prantl das Potenzial, den demokratischen Parteien "Feuer unterm Hintern" zu machen. So befürwortet er den Entzug des Grundrechtes der Wählbarkeit des thüringischen AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke. Die Demonstrationen ermutigten viele dazu, aufzustehen für die Demokratie, sagt Käßmann. "Ich hoffe darauf, dass das jetzt etwas bewirkt."

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