Kultur im Landkreis Ebersberg:Wohlfühlorte für jedermann

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Lesungen wie hier in Vaterstetten sind immer noch die fast schönste Möglichkeit, in die Welt der Buchstaben einzutauchen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

"Im Gespräch bleiben - über Grenzen hinweg", so sind heuer die Wochen der Büchereien überschrieben. Kein Wunder, denn neben Bildung ist Begegnung einer der Eckpfeiler der öffentlichen Ausleihen.

Von Anja Blum, Ebersberg

Ein Ort der Konzentration, an dem sich kluge Köpfe über dicke Folianten beugen? Das sind die Büchereien im Landkreis Ebersberg eher nicht. Anstatt des Geistes toter Dichter weht durch sie nämlich jener des prallen Lebens. "Hier ist es nicht still - sondern meist ziemlich laut", sagt Manuela Reinhardt, Büchereileiterin in Kirchseeon und lacht, ihre Kollegin aus Vaterstetten, Patrizia Schukowski, spricht sogar von "Rambazamba": Kinder, Schüler, Senioren - da sei zwischen all den Büchern manchmal ganz schön was los.

Die Lesetempel im Landkreis sind nicht nur Orte der Bildung, sondern auch der Begegnung und Integration, das ist von A wie Anzing bis Z wie Zorneding überall so zu hören. Kein Wunder also, dass die "Wochen der Büchereien" heuer unter einem entsprechenden Motto stehen: "Im Gespräch bleiben - über Grenzen hinweg". Gerade in Zeiten der Krisen sei das besonders wichtig, schreibt der Schirmherr der Veranstaltungsreihe, Landrat Robert Niedergesäß. Über Geschichten lernten wir, "uns in andere hineinzuversetzen, und erfahren viel über die Gedanken anderer Menschen, von ihren Gefühlen, Bedürfnissen und Einstellungen". Das fördere das Verständnis und Einfühlungsvermögen anderen gegenüber.

Büchereien sind einmalige Orte: geschützte Räume, in denen sich jeder aufhalten kann

Im Gespräch mit den Büchereien des Landkreises wird schnell deutlich, dass die Interaktionen dort sehr vielgestaltig sind. "Auch wenn das so mancher nicht verstehen mag: Wir sind für die breite Masse da, nicht nur für Intellektuelle", sagt Ursula Schneider, Büchereichefin in Grafing. Deswegen müsse man das Sortiment auch unbedingt am Interesse der Besucherinnen und Besucher ausrichten - jenseits von literarischem Niveau oder eigenem Geschmacksempfinden. Ganz nach dem Motto: "Hauptsache, es wird gelesen."

Und oft steht gar nicht die Lektüre im Vordergrund, sondern die Atmosphäre: Öffentliche Büchereien seien tatsächlich einmalige Orte, sagt Schukowski aus Vaterstetten, ein geschützter Raum, an dem sich jeder aufhalten könne. In den Lesestuben ist es warm, es gibt dort Ansprache, meist Wlan sowie Zeitschriften oder Spiele zum Zeitvertreib. "Das alles kann man nutzen, sogar ohne eine Gebühr zu bezahlen", sagt Schukowski.

Ursula Schneider von der Grafinger Stadtbücherei und Schauspieler Thomas Peters, der auch heuer die Auftaktveranstaltung bestreiten wird. (Foto: Christian Endt)

Es gehe ums Wohlfühlen, das betonen alle. "Und ganz entscheidend dafür ist das Personal", sagt Schneider. Es gebe Büchereien, wo die Ausleihe quasi anonym über einen Automaten abgewickelt werde, doch das sei mitnichten vergleichbar mit persönlichem Kontakt. "Die Leute schätzen es alle, mit uns zu sprechen, ganz unabhängig von Alter oder Geschlecht", erzählt Schneider. Nach Corona habe das Team denn auch öfter gehört: "Ihr habt mich gerettet!"

Deswegen reicht die Spanne der Besucherinnen und Besucher so ungemein weit: von Familien, die Kinderbücher ausleihen, über Schüler, die in der Bücherei Hausaufgaben machen, und Senioren, die zum Ratschen kommen, bis hin zu Geflüchteten, die mit dem Handy ihre Korrespondenz erledigen. "Jeder darf hier so sein, wie er ist - solange er andere nicht stört", fasst die Vaterstettener Büchereileitung die Hausordnung zusammen.

Die Nationalität wird aus Datenschutzgründen nicht mehr abgefragt

Und ja, Büchereien seien auch im engeren Sinne Orte der Integration, sagt Gertraud Bamberg, Chefin der Ausleihe in Poing: "Denn da geht es um Sprache, und Bücher vermitteln Sprache." Menschen aus aller Herren Länder nutzen die Büchereien im Landkreis, vor allem in den größeren, besonders bunten Kommunen. Geflüchtete aus der Ukraine machten da nur einen Bruchteil aus, sagt etwa Stefanie Griesel aus Zorneding. Ein Schwerpunkt sei freilich Europa, aber auch aus dem asiatischen Raum habe man großen Zulauf. "Da gibt es viele Eltern, denen die Leseförderung sehr wichtig ist." Allerdings sind die Angaben über die Herkunft der Leserschaft nur gefühlter Natur, nicht belegt: Die Nationalität wird aus Datenschutzgründen bei der Anmeldung nicht mehr abgefragt.

Alle sind willkommen: Gabi Bingerl und Renate Schlögel von der Poinger Gemeindebücherei mit Bild-Tafeln für ihren "bunten Vorleseabend von 5 bis 99 Jahren". (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Fest steht aber, dass die Büchereien gerade über ihre zahlreichen Kooperationen mit den Grundschulen eine sehr breite Basis an jungen Leserinnen und Lesern erreichen. "Und so kommen dann irgendwann auch die Eltern zu uns", sagt Griesel. Sei es als Unterstützung, zum Mitlernen oder nur, um möglicherweise eine Versäumnisgebühr zu bezahlen. "Aber selbst das ist dann ein willkommener Anlass, ins Gespräch zu kommen", so Schneider.

Doch was haben die öffentlichen Ausleihen überhaupt an integrativen Medien zu bieten? Jede Menge, ist zu vernehmen. Material für Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache zum Beispiel, Lesestoff in Einfacher Sprache sowie Großdruckbücher - beides laut Schneider nicht nur für Ausländer interessant - haufenweise Kinderbücher sowie Belletristik in anderen Sprachen, vor allem in Englisch. Generell gilt: Der Bestand richtet sich nach dem Bedarf. "Bereits 2015 haben wir viele Medien in arabischer Sprache angeschafft und nun eben ukrainische", berichtet Bamberg aus Poing. Und wenn eine Bücherei zu klein sein sollte für ein solch breites Angebot, machen E-Books das oftmals wieder wett.

Sogar während der Corona-Pandemie hatten die Büchereien wie hier in Zorneding geöffnet, so gut es eben ging. (Foto: Christian Endt)

Besonders interessant für den Spracherwerb ist auch die Kinderabteilung: "Bilderbücher zum Beispiel sprechen ja für sich", sagt Schukowski, Memory oder Uno könne jeder spielen, und auch Hörbücher seien eine gute Möglichkeit, sich mit einer fremden Sprache auf einfache Weise vertraut zu machen. Besonders gelobt wird zudem das Tiptoi-System: Diese Bücher samt Digitalstift verbinden das geschriebene Wort mit einer Audioerfahrung. "Das ist ganz toll, wenn die Eltern selbst nicht vorlesen können", sagt Susanne Gnann-Pohle aus Markt Schwaben.

Keinerlei Barrieren aufzubauen, gerade auch gegenüber Menschen, die des Deutschen nicht unbedingt mächtig sind, das ist auch Manuela Reinhardt ganz wichtig. Die Kirchseeoner Büchereichefin stammt selbst aus Spanien und weiß deshalb ganz genau, wie schwierig es am Anfang ist. "Ich habe selber vor 30 Jahren in diesen Räumen angefangen, deutsche Bücher zu lesen", erzählt sie. Seit nunmehr 20 Jahren arbeitet Reinhardt in der Ausleihe und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen zu helfen, sich einzufinden. "Wir kümmern uns um jeden", sagt sie, "wir sind ein freundlicher Treffpunkt."

Die Kirchseeoner Büchereileiterin Manuela Reinhardt bemüht sich wie ihre Kolleginnen immer wieder um besondere Aktionen, hier zum Beispiel das "Blind date with a book". (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Klar ist aber: Um Bildung und Begegnung leisten zu können, benötigen die Büchereien Personal, Raum und Geld. Für persönliche Beratung genauso wie für Angebote wie Spielenachmittage, Ausstellungen oder Lesungen. Doch obwohl es freilich an der ein oder anderen Stelle mangelt, machen die Hüter der Bücher im Landkreis ganz vieles möglich. Im Gespräch zu bleiben, dafür geben sie alles.

Wochen der Büchereien im Landkreis Ebersberg: Auftaktveranstaltung mit dem Schauspieler Thomas Maria Peters am Donnerstag, 2. März, um 19 Uhr in der Gemeindebücherei Vaterstetten. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht erforderlich. Alle weiteren Infos zu der Veranstaltungsreihe für Groß und Klein mit Autorenlesungen, Workshops, Improtheater und vielem mehr gibt es in den Büchereien oder auf der Homepage des Kreisbildungswerks .

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