SZ-Adventskalender:Kein Geld, kein Abschied

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Seit ihrer Corona-Erkrankung sind die Depressionen von Marina S. noch schlimmer geworden - sie hat Long Covid. (Foto: imago premium/IMAGO/Addictive Stock)

Wegen ihrer Depressionen kann Marina S. als Pflegekraft nachts nicht arbeiten. Ein Problem in der Branche - mittlerweile ist die 55-Jährige an Long Covid erkrankt und bezieht Bürgergeld. Ein Flugticket, um bei der Beerdigung ihres Vaters dabei zu sein, konnte sie sich davon nicht leisten.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Eigentlich wollte Marina S., die in Wahrheit anders heißt, nur in ihrer Arbeit als ausgebildete Pflegekraft ordentlich bezahlt werden, sodass sie davon leben und sich etwas für die Rente zurücklegen konnte. Doch das ging in dem Land, in dem die 55-Jährige aufgewachsen ist, nicht. Sie hat es trotzdem mehr als 17 Jahre lang gemacht, hat die Pendelei zwischen ihrer Heimatstadt und dem Krankenhaus in Kauf genommen, obwohl die öffentlichen Verkehrsmittel so selten fuhren, die Zwölf-Stunden-Schichten - bis sie vor fast 20 Jahren endgültig beschloss: "Hier habe ich keine Zukunft."

Also zog sie in ein anderes europäisches Land. Sechs Jahre dauerte das Verfahren über die Anerkennung ihrer Ausbildung. Sechs Jahre Ungewissheit - zum ersten Mal hatte Marina S. mit Depressionen zu kämpfen. Als dann endlich der Bescheid über ihr Anerkennungsverfahren kam, wurden sie schlimmer: Demnach sei ihre Ausbildung zu alt gewesen, ihre jahrelange Berufserfahrung im Grunde wertlos.

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Die 55-Jährige ging zurück in ihre alte Heimat, "ohne einen Cent in der Tasche", erzählt sie. Eine eigene Wohnung konnte sie sich nicht leisten, so lebte sie mit 42 Jahren wieder bei den Eltern. In dem Krankenhaus, in dem sie früher gearbeitet hatte, war keine Stelle frei. Das Einzige, was sie finden konnte, war ein Privatkrankenhaus - dort hätte sie illegal arbeiten sollen, also ohne Arbeitsvertrag, ohne Sozialversicherungen, ohne Kündigungsschutz. "Da habe ich gesagt, nein, das geht nicht, ich brauche doch schließlich etwas für die Rente." Die Depressionen wurden noch stärker. "Ich hatte das Gefühl, als ob ich mein Leben völlig ruiniert hätte."

Doch was hatte sie bis dahin überhaupt falsch gemacht?

Vor gut zehn Jahren dann kam Marina S. nach Deutschland, obwohl ihr die Sprache große Sorgen bereitete - das war der Grund, warum sie nicht gleich bei ihrem ersten Versuch, woanders neu anzufangen, nach Deutschland gekommen war. Doch sie wusste, dass es als Pflegekraft für sie hier eine Perspektive gab. Die Anerkennung ihrer Ausbildung dauerte sechs Monate. Bis dahin arbeitete sie als Pflegehilfskraft und lernte Deutsch. Nach einem Jahr legte sie ihr B2-Zertifikat ab - ein solches Fremdsprachniveau haben Schülerinnen und Schüler an bayerischen Gymnasien in Englisch nach der elften Jahrgangsstufe erreicht.

Mehrere Male hat Marina S. eine Jobabsage bekommen, weil sie nachts nicht arbeiten kann

Ein großer Erfolg, dennoch wurden die Depressionen von Marina S. immer heftiger. Ein Psychiater bescheinigte ihr, dass sie keine Nachtschichten übernehmen kann - ein unregelmäßiger Schlafrhythmus hätte das Fortschreiten ihrer Erkrankung nur noch gefördert. Doch genau das, was ihr eigentlich helfen sollte, legte ihr Steine in den Weg: Mehrere Male wurde ihr deshalb im Vorstellungsgespräch abgesagt, "das wäre unfair", habe es jedes Mal geheißen. Offenlegen wollte die 55-Jährige den Grund für das Attest nicht, also ihre Depressionen. Zu groß war die Sorge, dass ihr das nur noch mehr Probleme bereiten würde.

Schließlich fand sie doch eine Anstellung. Sie mochte den Job, auch wenn er hart war. Um sich wegen der fehlenden Nachtdienste vor den Kolleginnen und Kollegen, von denen deshalb blöde Sprüche kamen, zu rechtfertigen und kein noch größeres schlechtes Gewissen zu bekommen, hat sie zwei Jahre lang jedes Wochenende gearbeitet. "Ich bin immer eingesprungen, wenn jemand ausfiel, egal was war, weil ich ja auch keine Familie habe", sagt sie.

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Doch dann kam es zu einem Konflikt - um Marina S. zu schützen, soll nicht näher darauf eingegangen werden. Nur so viel: Sie wurde genötigt zu kündigen. Die 55-Jährige war zu krank, um sich zu wehren - sie erinnert sich genau, wie sie bei ihrer Psychiaterin saß, und so viel weinte, dass sie gar nicht sagen konnte, was überhaupt passiert war. Und so kündigte Marina S.

Einige Zeit später erkrankte sie an Corona. Die Folgen davon spürt sie bis heute: Long Covid, ärztlich attestiert. Ihre Depressionen haben sich dadurch verstärkt, sich zu konzentrieren fällt ihr schwer, Gelenkprobleme schmerzen sie. Mittlerweile ist sie zu 50 Prozent schwerbehindert. Trotzdem stellte ein Gutachter fest, dass sie keine Kandidatin für eine Erwerbsunfähigkeitsrente ist - sie dürfe eben nur nicht mehr in der Pflege arbeiten, etwas ohne Stress, wo es nicht kalt ist, nicht frühmorgens und nicht nachts. "Im Jobcenter haben sie mich ausgelacht, weil es einen solchen Job nicht gibt."

Marina S. bezieht Bürgergeld. "Ich fühle mich wie ein Parasit", sagt sie dazu. Abzüglich der Miete bleiben ihr 470 Euro zum Leben. "Ich habe gelernt, mit wenig auszukommen", denn Schulden wolle sie auf gar keinen Fall haben. Deshalb konnte sie nicht einmal ein Flugticket buchen, um bei der Beerdigung ihres Vaters dabei zu sein, der vor gut einem Jahr gestorben ist. Bis heute war sie kein einziges Mal an seinem Grab. Die Stimme der 55-Jährigen wird brüchig, als sie erzählt, wie sehr es sie belastet, dass sie sich nicht verabschieden konnte. "Ich hoffe, dass ich ihn bald auf dem Friedhof besuchen kann."

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