Von einer Krise in die nächste:"Kultur ist der Fußabstreifer der Politik"

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Wie wird es werden, mit der Kultur im Landkreis im Herbst und Winter? Wird man im Alten Speicher so wie hier bei "Masquerade" von Movimento so zahlreich zusammenkommen können? (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Veranstalter in der Region müssen mit steigenden Energiekosten und anderen Herausforderungen umgehen - und dann ist da ja noch das Oktoberfest mit seinen möglichen Folgen.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Der Herbst kommt - und damit viele Herausforderungen für Kulturschaffende: exorbitante Energiekosten, womöglich erneut strenge Corona-Auflagen und zum Jahresende läuft das staatliche Förderprogramm aus. Was diese Gemengelage für sie bedeutet, erzählen hier neun Kulturveranstalter aus dem Landkreis, deren Gefühlslage von besorgt bis tiefenentspannt reicht. Ein Reizwort allerdings fällt in fast jedem Gespräch: die Wiesn als vermutlich großer Infektionstreiber.

"Kultur ist der Fußabstreifer der Politik", konstatiert etwa Sebastian Schlagenhaufer, freiberuflicher Künstler und Programmanager der Grafinger Stadthalle. "Oktoberfest ist super - aber im Theater muss wieder getestet werden? Fast hat man den Eindruck, dass das Anzapfen in Bayern mehr Kultur ist als eine Theateraufführung."

Wenn es um mangelnde Wertschätzung für die Kultur geht, nimmt Sebastian Schlagenhaufer aus Grafing kein Blatt vor den Mund. (Foto: Christian Endt)

Auch Hanno Größl von der Glonner Schrottgalerie ist kritisch: "Sie wollen die Wiesn durchziehen mit aller Macht. Wenn danach die Maßnahmen kommen, geht es wieder gegen die Kleinen." Dabei wolle man sich doch auch bei Konzerten am liebsten ohne Maske begegnen: "Im Sommer hat man gemerkt, wie sehr die Leute das genießen, auch die Musiker selbst. Denn nur am offenen Gesicht lässt sich ablesen, ob es jemandem gefällt oder nicht." Und Franz Stetter, Chef des Theatervereins Markt Schwaben, hat sogar eine Erklärung für die zu erwartende Misere parat: "Das Oktoberfest wird durchgeführt - danach wieder alles beschränkt." Warum? Weil die Wiesn eben ein Wirtschaftsfaktor sei. "Wir hingegen nicht. Leider."

Dabei sei ein Besuch auf der Wiesn deutlich riskanter als der einer Kulturveranstaltung: "Im Bierzelt kommt man sich deutlich näher als in der Oper", sagt Oliver Triendl, der künstlerische Leiter des Kulturvereins Zorneding-Baldham, und Sandra Scheid vom Capitol in Grafing präzisiert: "In Kino oder Theater schauen alle in eine einzige Richtung - und sprechen dabei nicht." Wie viele Veranstalter im Landkreis wünscht sie sich, dass "wir Kulturbetriebe in Bayern nicht die Wiesn ausbaden müssen".

Sandra Scheid vom Grafinger Capitol Kino hofft, dass auch im Herbst das vielfältige kulturelle Angebot genutzt wird. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Schlagenhaufer jedenfalls fühlt sich völlig im Stich gelassen von der großen Politik, "nicht lokal, sondern in Bayern und in Berlin." Schließlich wisse man seit Ende des Frühjahrs, dass wohl im Herbst eine neue Welle kommen werde. Doch wie es dann weitergeht? Welche Regelungen gelten werden? Das wisse momentan niemand. Und diese Unsicherheit schlage sich bereits jetzt negativ auf die Ticketverkäufe nieder.

Publikumsschwund ist auch für Axel Tangerding vom Meta-Theater in Moosach kein Fremdwort. "Seit Mai streamen wir nicht mehr, sondern führen nur noch Präsenzveranstaltungen durch, um die Leute ins Theater zu locken. Doch auch das uns gewogene Publikum findet nur schwer zurück." Die Verunsicherung sei noch immer groß - die Begeisterung bei denen, die kommen, aber auch. Daher werde es zwar weiterhin Experimente mit hybriden Formaten geben, aber zuweilen sei eine Live-Performance unabdingbar - etwa bei Luftartistin Jana Korb. "Ihre Show muss man vor Ort sehen!"

Theaterchef Axel Tangerding beklagt, dass er einige Zuschauerinnen und Zuschauer während der Pandemie "an die Couch" verloren hat. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Thema Gästezahlen beschäftigt auch das Team der Schrottgalerie. Wenn klar ist, welche Auflagen nach dem Oktoberfest eventuell gelten, könnte man kurzfristig ein Herbst- und Winterprogramm auf die Beine stellen, sagt Größl. Falls dann wieder nur wenige Besucher zugelassen sind, wird er sich gut überlegen müssen, ob er noch einmal sechs Monate privat draufzahlt - oder doch lieber zusperrt. "Unsere Miete wird nur über den Getränkeverkauf finanziert. Was im Hut ist, kriegen bei uns schon immer die Musiker."

Auch in Markt Schwaben beschäftigt man sich mit der Frage von möglichen Obergrenzen. Laut Stetter könne man im Theater am Burgerfeld zwar bei eigenen Veranstaltungen nur 80 statt der 280 Zuschauerplätze belegen - nicht jedoch bei externen Künstlern, die eine garantierte Gage bräuchten. Und mit Pech kämen, wie vor zwei Jahren, wegen der Angst vor möglicher Ansteckung, nicht einmal die 80 erlaubten Personen.

In Ebersberg wurde bereits freiwillig das Zuschauerkontingent um 30 bis 35 Prozent reduziert. "Wir verkaufen nicht mehr aus", sagt Markus Bachmeier, Chef von Altem Kino und Altem Speicher. Das Herbstprogramm dort steht - mit etwas weniger Veranstaltungen als sonst. Fakt sei aber auch: "Wir leben momentan zum Großteil von Förderungen", und da sich das Kultur-Sonderprogramm an den Einnahmen orientiere, zähle jedes verkaufte Ticket. Als Folge von Auflagen wie Masken, Tests oder Obergrenzen könnte der Zuspruch aber durchaus abnehmen. "Meine größte Sorge ist, dass uns Leute komplett abspringen und wegbleiben", so Bachmeier. Und wenn dann zum Jahresende die Förderung ausläuft, könnten die Nöte auch in Ebersberg noch deutlich größer werden.

In Markt Schwaben sind knappe Finanzen von jeher Realität: Unterstützung für ihr Haus erhalten die Theaterspieler als Amateure keine. "Weder von der Gemeinde, noch vom Landkreis oder vom Staat", zählt Stetter auf. Gefördert würden nur Häuser mit angestellten Schauspielern. Unterkriegen lassen wolle man sich aber nicht, der Verein feile fleißig an seinem Herbstprogramm.

Musiker wie der Ebersberger Pianist Oliver Triendl leben nicht nur von Bühnenauftritten, sondern auch für sie. (Foto: Christian Endt)

Zuversicht ist auch das Motto von Oliver Triendl, der sich selbst einen unverbesserlichen Optimisten nennt. "Bald beginnt unsere Saison, und ich hoffe erst mal, dass alles wie geplant über die Bühne geht." Bei diversen Sommerfestivals habe sich gezeigt, wie sehr sich die Menschen nach Konzerten sehnten und auch für die Künstler selbst seien Liveauftritte essenziell. "Wir müssen alle leben und Geld verdienen. Es ist uns aber auch eine Herzensangelegenheit, vor Publikum zu musizieren", erklärt der Ebersberger Pianist.

Peter Wurm gibt sich ebenfalls gelassen. Vor kurzem hat er die neun Veranstaltungen des diesjährigen Literarischen Herbsts in Zorneding vorgestellt. "Wenn es ganz blöd läuft, sagen wir ab, und die Leute kriegen ihr Geld wieder. Wir sind so ein kleiner Laden, das entscheiden wir ganz kurzfristig", sagt der Organisator.

Peter Wurm wartet in Ruhe ab, was kommt. Derzeit geht er davon aus, dass seine Veranstaltungen stattfinden werden. Notfalls mit Maske. (Foto: Christian Endt)

Positiv gestimmt ist auch Markus Steinberger vom Marktblick in Glonn, er erwartet im Herbst keine neuen Einschränkungen. Darum sei er in jeder Hinsicht bereit, wieder Gas zu geben. "Ich sage nicht, Corona ist weg, aber wir wissen in unserer Branche, wie man damit umgeht", so der Glonner Gastronom - und bekommt Rückenwind aus Grafing: "Wir Kulturbetriebe haben immer vorbildlich alles umgesetzt, um für die Besucher bestmögliche Bedingungen zu schaffen", sagt Scheid vom Capitol. Das werde auch weiterhin so bleiben, genauso wie ein für alle Altersgruppen attraktives Kinoangebot. Denn ihr ist wichtig: "Man muss auch mal hoffnungsvoll in die Zukunft schauen!"

Im Marktblick bei Markus und Ilonka Steinberger bleibt es auch in Zukunft mollig warm, dem Pizzaofen sei Dank. (Foto: Christian Endt)

Doch den Veranstaltern drohen ja auch die Verwerfungen auf dem Energiesektor. Werden die Säle womöglich kalt bleiben? Zumindest Steinberger ist auch in dieser Hinsicht tiefenentspannt: "Der Pizzaofen heizt die Bude auf, und die Gäste bringen die Wärme mit." Zudem habe er genügend Holz für den Kachelofen. In Zorneding, beim Literarischen Herbst war bislang nur die Entscheidung, Kirche und Gemeindesaal, zu nutzen von der Pandemie getrieben. Was auch Vorteile beim Heizen bringe: "Die Kirche muss ja sowieso warm sein. Also verschwenden wir darauf derzeit noch keine Gedanken", so Wurm.

Sollte es in der Schrottgalerie ab Oktober wieder Konzerte geben, sorgen die Gäste selbst dafür, dass sie nicht frieren müssen: Sie bringen schon von jeher Brennmaterial für den Holzofen mit. "Es wäre bitter, wenn jetzt nach 22 Jahren jemand sagt: Ich brauche jedes Scheitl selber", sagt Größl. Er gehe aber fest davon aus, dass jeder noch eins entbehren könne für die Kultur.

Hanno Größl ist darauf angewiesen, dass mehr als eine Handvoll Gäste kommen, denn die Schrottgalerie lebt von dem, was sie trinken. Was im Hut landet, bekommen die Musiker. (Foto: Christian Endt)

Im Ebersberger Alten Kino erwartet man die nächste Nebenkostenabrechnung mit Spannung, sie kommt aber erst Anfang 2023. Da treibe ihn durchaus die Befürchtung um, plötzlich einen "großen Batzen Geld" nachbezahlen zu müssen, sagt Markus Bachmeier. Obwohl man auch bisher keine Energie verschleudert habe, gebe es im Team nun einen Nachhaltigkeitsbeauftragten, der nach weiteren Einsparungen suche, erklärt der Chef. Ob aber tatsächlich eine 19-Grad-Regelung in Frage käme, müsse man sehen. "Das ist schon ziemlich kühl."

Das sieht auch Sandra Scheid so: Ein Absenken der Raumtemperatur sei im Capitol definitiv nicht angedacht. Ohnehin heize sie nur während der Vorstellungen. Ansonsten habe man die Türen immer schon geschlossen gehalten und die Beleuchtung der Schaukästen per Zeitschaltuhr betrieben. "Mehr einsparen geht also bei uns eigentlich gar nicht."

Das Moosacher Meta Theater produziert mit Photovoltaik eigenen Strom, die Heizung läuft allerdings mit Öl. Langfristig soll es aber einen Anschluss ans örtliche Wärmenetz geben. Unter der Woche will Bühnenchef Tangerding die Temperatur herunterdrehen, zu den Veranstaltungen dann wieder hoch. "Theater hat etwas mit den Sinnen zu tun. Wenn es ungemütlich wird, wird die Wahrnehmung auch ungemütlich."

Vereinschef Franz Stetter (rechts) bei den diesjährigen "Weiherspielen" zusammen mit Franz Hermannsgabner. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch Stetters oberstes Gebot ist: "Die Zuschauer dürfen nicht frieren. 21 Grad wie daheim muss es schon haben." Gespart wird anderswo: Bis auf die Kühlschränke könne die Halle komplett stromlos geschaltet werden, geprobt werden müsse dann halt in Jacken.

Ein Aufschlag aufs Ticket, ist laut Stetter "schon eine Option - aber ich weiß nicht, ob es eine gute ist". Einige seiner Kollegen hingegen haben diese Frage bereits für sich entschieden: Sie wollen die erhöhten Energiepreise nicht auf die Gäste umlegen, zumindest nicht in Form eines verpflichtenden Entgelts.

"Wir sind doch froh um jeden, der kommt", sagt etwa Tangerding. Womit das Meta Theater im Sommer gute Erfahrungen gemacht habe, sei eine freiwillige Zahlung. "Der Eintritt war immer frei, am Ende hat jeder gegeben, was es ihm wert war." Eventuell könne man in dieser Form auf die zunehmenden Energiekosten eingehen. "Aber eine Zwangsabgabe, so gut uns der Beitrag täte, ist nicht förderlich."

Eine solche lehnt auch Bachmeier kategorisch ab: "Über die Jahre haben wir uns einen Pool an wunderbaren Zuschauern erarbeitet - wenn die Not zu groß wird, bekommen wir Unterstützung, das müssen wir nicht aktiv einfordern. Immer noch was draufzuschlagen, das liegt mir nicht."

Auch Markus Bachmeier vom Alten Kino treibt die eine oder andere Sorge um. (Foto: Christian Endt)

Für das falsche Signal hält auch Schlagenhaufer eine solche Maßnahme. Freilich müsse man die Energiekosten betriebswirtschaftlich gesehen einpreisen, "aber auf diesen Anteil mit einer plakativen Aktion hinzuweisen, finde ich nicht richtig". Zumal Kultur doch auch eine moderierende Aufgabe habe: "Man sollte die Leute nicht noch zusätzlich verrückt machen!"

Aufgrund der sich verzögernden Sanierung der Stadthalle findet Kultur in Grafing derzeit in verschiedenen Ausweichquartieren statt. Insofern muss sich Schlagenhaufer selbst aktuell nicht mit dem Thema Temperatur beschäftigen. Trotzdem fällt ihm etwas dazu ein: "Wenn man die öffentlichen Gebäude nur mehr auf 19 Grad heizen darf, sollte man überlegen, das Bier am Oktoberfest nur auf zwölf Grad zu kühlen."

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