Corona im Landkreis:"Sie rennen uns die Bude ein"

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Vorwiegend ältere Personen holen sich jetzt die Booster-Impfung. Doch auch das Interesse an Erstimpfungen ist deutlich angestiegen. (Foto: Christian Endt)

Das Ebersberger Impfzentrum erlebt dieser Tage einen regelrechten Ansturm - ein positives Signal angesichts exorbitanter Infektionszahlen. Co-Chef Leiter Maximilian Ziegler kennt aber auch Probleme.

Von Johanna Feckl, Ebersberg

Von 67 auf mehr als 700 in nur einer Woche - ein durchaus rasantes Tempo, mit dem die Zahl der Impfungen im Ebersberger Impfzentrum in die Höhe schnellt. Wobei die 700 eher eine Ausnahme gewesen seien, aktuell liege man eher bei 600 bis 700 Impfungen täglich, sagt der stellvertretende Leiter des Impfzentrums Maximilian Ziegler. Dazu zählen Erst- und Zweit- sowie Auffrischimpfungen. Vorgenommen werden sie am Zentrum selbst, durch mobile Teams sowie im Zelt am Segmüller in Parsdorf von nach wie vor zwei Teams. "Da rennen sie uns auch schon die Bude ein", erzählt Ziegler weiter. Läuft ganz gut, oder? Theoretisch ja, in der Praxis hakt es aber durchaus an der einen oder anderen Stelle - Vorgaben und Regeln von höherer Stelle sowie Stiko-Änderungen sei Dank.

Zunächst: Erneut hat die bayerische Staatsregierung den Katastrophenfall ausgerufen, es trat am Donnerstag in Kraft. An diesem Tag lag die Inzidenz im Kreis Ebersberg laut RKI bei 686,4, es wurden 181 Neu-Infektionen gemeldet. Zwölf Erkrankte werden derzeit in der Kreisklinik behandelt, auf der Intensivstation versorgt und beatmet werden fünf. Und: Sieben Patienten sind nicht geimpft - die Mehrheit. Dass sich das Impfzentrum einem regelrechten Ansturm gegenüber sieht, verwundert angesichts dieser Zahlen - und der Tatsache, dass in vielen Bereichen nun 2G gilt - wohl kaum.

Nun beginnen die Probleme: Ein dritter Pieks, ein sogenannter Booster, im Abstand von mindestens sechs Monaten zum zweiten soll die abklingende Wirkung des Impfstoffs wieder anheizen. Die sechs Monate sind mehr oder weniger willkürlich festgesetzt, es könnten auch fünf Monate oder sieben oder irgendetwas dazwischen sein. Darüber gibt es unter den führenden Stimmen aus der Wissenschaft keinen Zweifel. Auch Politiker und Politikerinnen widersprechen dem nicht. Dennoch: Es kann gut sein, dass der Booster-Interessierte wieder weggeschickt wird, wenn die sechs Monate noch nicht voll sind - auch wenn es sich nur um wenige Tage handelt.

So berichten es mehrere Personen der SZ. "Es lebe die Bürokratie - sie wird sicher helfen die Pandemie einzudämmen!", schrieb eine 78-Jährige, der ein solches Erlebnis widerfahren ist. Es fehlten drei Tage. Ist ein solch striktes Vorgehen angesichts der drängenden Notlage nicht unangemessen? Nachfrage im Impfzentrum bei Maximilian Ziegler. Ja, die Vorgaben der Stiko seien durchaus kein Gesetz. Aber wenn bei einer Person die sechs Monate unterschritten sind und es zu einer der sehr seltenen Nebenreaktionen kommen sollte, dann hafte der impfende Arzt persönlich dafür. "Und den Schuh zieht sich niemand an", so Ziegler. Deshalb halten sich in der Regel die Teams des Impfzentrums an die Sechs-Monate-Regel. Und zwar penibel. "Wenn die Leute einfach ein paar Tage später noch einmal kommen, dann sind wir alle auf der sicheren Seite."

Dass es für den Einzelnen ärgerlich ist, wegen ein paar fehlender Tage die Impfung verwehrt zu bekommen, versteht Ziegler durchaus. Dem Impfzentrum hier aber die Schuld zuzuschieben würde die Falschen in die Verantwortung nehmen. "Aber das wurde ja von Anfang an schon recht gern so gemacht", sagt Ziegler. "Leider sind wir es gewohnt, der Spielball der Politik zu sein." So hieß es zum Beispiel, dass von Oktober an die Impfzentren mit geringer Auslastung fahren sollten. Mit einer angekündigten Vorlaufzeit von vier Wochen sollten die Zentren in der Lage sein, ihre Kapazitäten wieder anzuziehen. "Wir hatten jetzt drei bis vier Tage, bis wir wieder fast in Vollbetrieb gefahren sind."

Es kommen noch mehr Aspekte hinzu. Zum Beispiel änderte die Stiko am Mittwoch ihre Empfehlung für den Moderna-Impfstoff. Dieser soll von sofort an nicht mehr bei Menschen unter 30 Jahren verimpft werden. Denn in dieser Altersgruppe zeigten Analysen, dass Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen nach einer Moderna-Impfung häufiger beobachtet würden als nach einer mit Biontech. "Corona ist eine extrem kurzlebige Sache in der Hinsicht, dass sich täglich Vorgaben ändern", so Ziegler. "Wir stehen dann in dem Konflikt, einerseits dem Impfwilligen ein Angebot zu schaffen, das so niederschwellig und einfach wie möglich ist - aber andererseits gleichzeitig immer in diesem vorgegebenen Rahmen zu sein."

Die Änderung der Moderna-Vergabe sowie der allgemeine rasante Ansturm auf das Impfzentrum führt schon zum nächsten Problem: Sollte die Nachfrage anhalten oder sogar noch steigen, dann könnte es sein, dass für kurze Zeit das Biontech-Vakzin knapp wird. Bislang wurden die Impfstoffe mit einem Rhythmus von 14 Tagen bestellt - bei der vergangenen Bestellung war die stark steigende Nachfrage noch nicht absehbar. Die Bestellmengen sind ein diffiziles Unterfangen, wie Landratsamtssprecherin Evelyn Schwaiger erklärt. "Es soll natürlich immer genügend da sein, um der Nachfrage nachzukommen, aber eben auch nicht zu viel, sodass am Ende Impfstoff verfällt und weggeworfen werden muss." Schnelle Hilfe vonseiten des Gesundheitsministeriums sei aber in Sicht, wie es in einer Pressemitteilung des Landratsamts am Donnerstag heißt. Vielleicht gibt es also doch keinen Engpass, das hängt ganz davon ab, wie viele Impfwillige in den kommenden Tagen erscheinen. Und von sofort an wird ohnehin wieder im wöchentlichen Rhythmus bestellt, sodass sich schneller auf Veränderungen reagieren lässt. Auch der Bestellrhythmus ist übrigens etwas, das nicht das Impfzentrum oder der Landkreis festlegt, sondern das Land Bayern.

"Wir können immer nur reagieren", sagt Maximilian Ziegler. "Agieren ist wirklich schwierig."Ist das nicht zermürbend, sozusagen immer der Buhmann der Nation zu sein? "Ich glaube, mit der Zeit haben wir gelernt, zu akzeptieren, dass wir nicht alles beeinflussen können." Keinen Einfluss hatten die Mitarbeiter im Impfzentrum auch darauf, dass die Impflingsdaten nach der Zweitimpfung vom System gelöscht wurden. Zur Booster-Impfung muss also alles noch einmal neu eingetragen werden - oder, so empfiehlt Ziegler, man nimmt einfach die analoge Dokumentation der vorherigen Impfungen mit, auf denen ein QR-Code zu sehen ist. Damit geht das Prozedere zumindest einigermaßen zügig. Der QR-Code der Cov-Pass- oder Corona-Warn-App reicht hier übrigens nicht aus.

© SZ vom 12.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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