Arkadien-Festival:Rohbau mit Aussicht

Lesezeit: 3 min

Stephanie Müller und Klaus Erika Dietl aus München sind auf der Suche nach Geschichten des Gelingens. Ihr kreatives Refugium: eine Bushaltestelle am Ebersberger Bahnhof.

Von Anja Blum

Normalerweise sind öffentliche Verkehrsmittel ja dazu da, voranzukommen. Ein Ziel zu erreichen. Klaus Erika Dietl und Stephanie Müller jedoch würden das wahrscheinlich ein wenig anders formulieren. Eine Haltestelle nämlich kann in ihren Augen viel mehr sein als ein Warteraum auf dem Weg von A nach B. Ein Ort nämlich, an dem man die Richtung auch mal ändern könnte. An dem man sich Zeit lassen sollte, fürs Leben.

Seit Freitag haben Müller und Dietl eine Bushaltestelle am Ebersberger Bahnhof nicht okkupiert, das nicht, aber zumindest zu ihrem vorübergehenden kreativen Refugium erkoren. Immer wieder werden sie in den kommenden Tagen dort anzutreffen sein, allerdings ist es schwierig vorauszusagen, was um sie herum passieren und zu erleben sein wird. Denn zwar gibt es Ideen, Regie aber führt letztlich der Zufall. "Nächster Halt: Zukunft mit Zukunft" nennen die beiden Münchner Künstler, die als Duo unter dem Namen Mediendienst Leistungshölle firmieren, ihre Langzeitperformance - ein Beitrag zum Arkadien-Festival des Ebersberger Kunstvereins.

Wie so oft bei diesem Kunstfestival geht es darum, die Menschen in Ebersberg zu überraschen und einzuladen, sich einzulassen auf Wege und Gedanken abseits des Alltags. "Wir warten nicht lange. Die Ebersberger Bushaltestelle verstehen wir als Rohbau mit Aussicht", formulieren es Müller und Dietl in ihrer Projektbeschreibung. Die Idee, ein ordinäres Wartehäuschen als Kunstraum zu nutzen, ist im harten Winterlockdown entstanden - klar, da waren ungewöhnliche Lösungen gefragt. Das Experiment in München gelang jedenfalls so gut, dass das Duo nun eine arkadische Neuauflage wagt. Und vom Vorplatz des Ebersberger Bahnhofs seien sie gleich bei der ersten Besichtigung begeistert gewesen, erzählt Müller. "Klaus hat sich sofort in diesen Eber verliebt." Ist ja auch zu schön, wie er da entspannt liegt, dieser steinerne Kopf, unter einem Haufen Felsen.

Die beiden Münchner Klaus Erika Dietl und Stephanie Müller sind das Duo Mediendienst Leistungshölle. Beim Ebersberger Arkadien-Festival sind sie mit ihrem Programm im Buswartehäuschen am Bahnhof anzutreffen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nun bespielen die beiden Künstler also die Bushaltestelle neben dem Eber. Es soll Musik, geben, Text, Aktion, Handarbeit und Kino. Aber nichts muss, alles kann. Vor allem geht es Dietl und Müller darum, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Das Konzept ließe sich wohl als Improvisation plus Interaktion beschreiben. Wieder einmal heißt es in Arkadien: sich Zeit nehmen, auch die langsamen Momente genießen, reagieren auf das, was kommt. "Wir machen kein Theater, keine Aufführung", erklärt Müller. "Wir sind völlig frei." Insofern sind die beiden selbst gespannt, mit welchen Erfahrungen sie Ebersberg am Ende wieder verlassen werden. "Das Schönste ist eigentlich, wenn uns etwas erzählt wird. Wenn wir einfach nur zuhören dürfen", sagt Dietl. Und auch vor Konfrontation haben die beiden keine Angst: Gerade wenn Menschen beim Austausch die eigene Blase verließen, entstehe oft Reibung, so Müller. "Aber es ist gut, mal umzudenken und gefordert zu werden."

Dass es diesen beiden Münchnern gelingen wird, mit Ebersbergern in Dialog zu treten, scheint unzweifelhaft. So kurios ist ihr Setting, so anders ihr Gebaren, so positiv ihre Ausstrahlung. Vor allem Müller, bunte Leggings, grüner Ballonrock, wilde, rote Haare, scheint ein Ausbund an Freundlichkeit, ihr offenes Lachen steckt sofort an. Dietl, lange Haare, funktionale Kleidung, wirkt etwas introvertierter, wenn er sich über sein Instrument beugt, doch auch er sucht bald das Gespräch.

Doch wie will dieser Mediendienst ein so vielfältiges Programm bieten - in einer Bushaltestelle? Zumal die Akteure mit der Bahn nach Ebersberg kommen, anstatt mit einem Transporter, in dem reichlich Platz wäre für allerhand Equipment? Das Zauberwort lautet: Einfallsreichtum. Müller erzählt zum Beispiel von einer Rasenmäherharfe, die sie wie einen Kinderwagen vor sich herschieben könne. Wichtig seien auch Magnete, dank derer sich alles mögliche an der Bushaltestelle befestigen lasse, ohne Spuren zu hinterlassen - etwa einen bunten Vorhang, eine Collage aus Fotografie, Zeichnung und Malerei. Oder Kostüme. Oder Stoff, der noch bestickt werden soll. Auch Stühle will das Duo mitbringen, um nicht die öffentlichen Sitze belegen zu müssen. "Wir wollen schließlich niemandem etwas wegnehmen."

Im Gepäck haben Müller und Dietl jedenfalls stets eine Auswahl an Utensilien, mit denen sie die Wartezone binnen weniger Minuten in eine Klangkabine, ein Miniatur-Gewächshaus, eine Performancebühne oder eine Teestube verwandeln können. Aber Kino? "Ja, auch das ist ganz einfach, das geht mit Buttermilch", erklärt Müller. Auf einer Glasscheibe verteilt, biete diese nämlich eine wunderbare, später schnell wieder entfernte Projektionsfläche. Sachbeschädigung hat in Arkadien schließlich nichts verloren. Dietl lässt derweil Musik aus einem Mini-Lautsprecher dringen, er hat aus einem Skateboard eine E-Gitarre gebaut. Um sie zum Klingen zu bringen, verwendet er wahlweise eine Schere oder einen Bogen. "Aber sie ist ganz schön schwer zu spielen."

Diese Bushaltestelle bleibt nun also kein Wartebereich, sondern erreicht mit dem Mediendienst Leistungshölle ein nächstes Level, auf dem gemeinsam editiert wird. "Im Austausch mit Passantinnen und Passanten machen wir uns auf die Suche nach Geschichten des Gelingens für eine Zukunft mit Zukunft."

Arkadien-Festival in Ebersberg: "Mediendienst Leistungshölle" am Bahnhofsvorplatz, Dienstag, 13. Juli, 18 bis 21 Uhr, Mittwoch, 14. Juli, 21 bis 24 Uhr, Donnerstag, 15. Juli, 15 bis 18 Uhr.

© SZ vom 12.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: