Amtsgericht Ebersberg:Eine Zeugin für mich, eine für dich...

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Der Prozess um den Geschäftsführer eines Bekleidungsgeschäfts geht in die nächste Runde. Die Verteidigung versucht, die Zeuginnen und Zeugen der Gegenseite als psychisch labil und voller Groll darzustellen - mit mäßigem Erfolg.

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Wer hätte gedacht, dass Gerichtssäle auch Orte der Kunst sein können? Am zweiten Verhandlungstag des Prozesses um die Sexuelle Belästigung von Mitarbeiterinnen eines Bekleidungsgeschäfts durch den Geschäftsführer, bemühen sich die Staatsanwaltschaft und Verteidigung jedenfalls darum, Bilder zu zeichnen.

Der Staatsanwalt muss dabei kaum den Pinsel schwingen, er stellt den Zeuginnen und Zeugen diesmal nur wenige Fragen, lediglich an manchen Stellen hakt er nach. Zum Beispiel, als eine Zeugin auf eine Frage der Verteidigung in einem Nebensatz erwähnt, dass eine der beiden Frauen, die Strafanzeige gestellt haben, ihr berichtet hätte, dass sie wegen des "Antatschens" ihres Chefs sauer sei.

Mitarbeiterinnen wurden angeblich davor gewarnt, gegen den Angeklagten auszusagen

Die gleiche Zeugin sagt aber auch aus, dass sie nie belästigt wurde, was dem Bild widerspricht, der Angeklagte hätte jede Frau nahezu durchgehend begrapscht. Auch sexistische Witze will sie nicht vernommen haben. Gleichzeitig glaubte sie der Frau, die ihr erzählt hatte, sie sei im Frühjahr des vorvergangenen Jahres massiv vom Angeklagten angegangen worden. "Wir kannten uns gut, sie würde mich nicht anlügen", meinte sie. Besonders stark sind die Aussagen dieser Zeugin, weil sie nicht persönlich auf Kriegsfuß mit dem Angeklagten steht und somit, in diesem Sinne, interessenlos scheint.

Das gleiche kann man von anderen Zeugen nicht behaupten. Diese stehen oft noch in einem Arbeitsverhältnis zum Angeklagten und verdanken ihm mitunter viel - wie die Position einer stellvertretenden Geschäftsführerin, trotz jungen Alters. Diese soll den Mitarbeiterinnen in Bezug auf den Prozess mitgeteilt haben, dass dadurch "die Ehe, das Geschäft und alle Arbeitsplätze bedroht" seien. Was durchaus als Warnung verstanden werden kann, gegen den Angeklagten auszusagen.

Die Verteidigung hinterfragt die Motivationen der Gegenseite

Zwei Mitarbeiterinnen sagen dann auch für den Angeklagten aus: Sie hätten nichts gesehen, der Chef hätte sich immer korrekt verhalten, sie wären nie angefasst worden, lediglich in Sachen Humor sei es manchmal "Ansichtssache" gewesen, ob er angebracht war.

Andere Zeugen sind im Streit mit dem Angeklagten auseinandergegangen. Hierauf fokussiert sich die Verteidigung, die diese Zeugen als psychisch labil beziehungsweise grollend zeichnen will. Auch eine Zeugin hatte bereits Vermutungen angestellt, dass die Corona-Situation und womöglich Geldgier das Motiv für zumindest eine der Anzeigen sein könnte.

Der Angeklagte soll eine Mitarbeiterin, nach einer Brustrekonstruktion, nach ihrem "transparenten Busen" gefragt haben

Groll könnte etwa ein ehemaliger Geschäftspartner des Angeklagten hegen, der diesen schwer belastet. Er habe ständig Frauen angefasst, an Taille, Po oder Brüsten. Auch von anzüglichen Videos, Bildern und Witzen, weiß der Zeuge zu berichten. Die Verteidigung verweist dann darauf, dass die beiden Partner nicht gut auseinander gegangen sind. 300.000 Euro Abfindung wurden dem Zeugen in einem außergerichtlichen Vergleich zugesprochen.

Etwas bizarre Züge nimmt das Vorgehen der Verteidigung dann nach der Mittagspause an. Ihre Taktik bleibt gleich, nur die Zeugin ist speziell: sie wird per Video zugeschaltet, da sie aufgrund einer Krebserkrankung nicht ins Gericht kommen kann. Sofern ihre Anschuldigung zutrifft, markiert sie einen Tiefpunkt. Nach einer Brustoperation und -rekonstruktion soll der Angeklagte gesagt haben, dass er "gerne ihren transparenten Busen" sehen würde.

Noch ist der Ausgang des Verfahrens offen

Die Fragen der Verteidigung beziehen sich hier dann vor allem darauf, dass die Zeugin die nun stellvertretende Geschäftsführung online als "Göre" bezeichnet hat - mit dem Subtext, dass die krebskranke Zeugin schlicht aus Groll nun gegen den Angeklagten aussage. Die Beförderung dieser Frau scheint tatsächlich für einigen Unmut gesorgt zu haben, wobei fraglich ist, ob dieser Ausreicht, um eine Aussagenkampagne wegen Sexueller Belästigung anzustiften.

Am Ende des zweiten Prozesstages stehen sich Bilder gegenüber: hier das Porträt eines Mannes, der Frauen permanent belästigt, begrapscht, aufgrund ihrer Attraktivität befördert und im Zuge des Prozesses bedrohen lässt; dort das Gruppenbild einer Clique von Männern und Frauen, die den Angeklagten "an der Wand sehen möchten", wie es eine Zeugin formuliert. Welches Bild die vorsitzende Richterin Hörauf am Ende authentischer findet, steht noch aus. Der nächste Termin ist auf den 8. März angesetzt.

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