Prozess in München:Der Sturz nach dem Sturz

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In der Zentralen Notaufnahme der Ebersberger Kreisklinik arbeitet genügend Personal, sodass die Notfallversorgung trotz des Streiks gewährleistet bleibt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein junger Mann fordert nach einer Knieverletzung 22 000 Euro Schadenersatz von der Kreisklinik Ebersberg. Vor Gericht allerdings geht er leer aus.

Von Barbara Mooser, Ebersberg/München

Fest steht: Der junge Mann hatte sich zweifellos am Knie verletzt. Eine Untersuchung zeigte später, dass er unter anderem einen Kreuzbandriss und eine Meniskusverletzung aufwies. Die Fragen, mit denen sich nun die Arzthaftungskammer des Landgerichts München II befassen musste, waren diese: Stammten diese Verletzungen von einem Fahrradsturz - oder doch von einem zweiten Sturz wenig später im Behandlungszimmer der Kreisklinik Ebersberg? Und falls der Sturz in der Kreisklinik die Ursache war - hat dann davor jemand etwas falsch gemacht? Dieser Überzeugung ist der Mann, Jahrgang 1997, der deshalb die Kreisklinik auf einen Schadenersatz von 22 000 Euro verklagt hat.

Der Mann war nach dem Fahrradsturz im Sommer 2020 von Verwandten in die Notaufnahme der Kreisklinik Ebersberg gebracht worden. Weil er unter anderem aufs Knie gefallen war, wurde er dort zunächst in einen Rollstuhl gesetzt und dann ins Behandlungszimmer gefahren. Dort schaffte er es zwar, aus eigener Kraft vom Rollstuhl auf die Behandlungsliege zu wechseln - doch beim Weg zurück in den Rollstuhl stürzte er. Seiner Überzeugung nach deshalb, weil ihm von der Pflegekraft nicht die notwendige Unterstützung gewährt worden sei. "Ich habe mindestens viermal gesagt, dass ich Hilfe brauche", erklärte er vor Gericht. Diese habe er nicht erhalten, weshalb er dann eben mit dem gesunden Bein einen Sprung Richtung Rollstuhl gemacht habe - und dabei hingefallen sei. Beim Fallen habe sein Knie richtig laut gekracht, sogar der behandelnde Arzt, der noch in der Nähe gewesen sei, habe sich nach dem Geräusch erkundigt, berichtete der junge Mann.

Nach Ansicht der Pflegekraft ließ sich der Patient absichtlich fallen

Vor Gericht allerdings sagte dieser Arzt am Dienstag, er habe weder den Sturz, noch ein Geräusch mitbekommen, er habe lediglich dabei geholfen, den Mann zurück in den Rollstuhl zu setzen. Danach habe er das Knie noch einmal durchbewegt und keine Probleme feststellen können. Auch zuvor bei der Untersuchung habe er keine Fehlstellung, Hämatombildung oder Fraktur diagnostiziert. Die Pflegekraft hatte schon früher - zum Termin am Dienstag war sie nicht erschienen - betont, dass der Patient sich ihrer Ansicht nach absichtlich habe fallen lassen.

Bei so unterschiedlichen Schilderungen zum selben Vorfall kam dem Gutachter, einem Fachmann für Unfallchirurgie und Orthopädie, eine wichtige Rolle zu. Er wies zum einen darauf hin, dass der Kläger ja den einen Weg vom Rollstuhl auf die Liege ohne Probleme bewältigt habe, weshalb man davon ausgehen konnte, dass der Rückweg ebenso unproblematisch wäre. Zudem seien auch die Anweisungen der Pflegekraft, wie der Patient zurück zum Rollstuhl gelangen sollte, nachvollziehbar gewesen.

Während der Kläger darauf verwies, dass er wegen seiner Adipositas - zum Zeitpunkt des Unfalls wog er gut 130 Kilo - nicht so beweglich gewesen sei, erinnerte der Gutachter daran, dass der junge Mann selbst zu einem anderen Zeitpunkt mehrere Sportarten als seine Hobbys angegeben habe. Zudem habe sich auch in der Verhandlung gezeigt, dass der junge Mann keine signifikanten Beeinträchtigungen durch sein Gewicht habe - zuvor hatte der Kläger am Zeugentisch demonstriert, wie sich der Unfall aus seiner Sicht zugetragen hatte.

Vor allem aber ist aus Sicht des Gutachters "unvorstellbar", dass der Kläger die Verletzungen am Knie durch jenen Sturz in der Kreisklinik erlitten hat. Für eine Kreuzbandriss sei eine Drehbewegung erforderlich, wie es sie nach der Aussage des Klägers beim Sturz nicht gegeben habe. Der Mann hatte zuvor auch beschrieben, dass er auf sein gesundes Bein gefallen sei. Dass die Verletzungen des Mannes bei der Untersuchung zwar vorhanden, aber nicht aufgefallen waren, hält der Gutachter für nicht unwahrscheinlich. Gerade solche Verletzungen seien bei einer ersten Untersuchung zunächst schwer zu diagnostizieren.

Am Ende der Verhandlung machte Richter Johannes Brose bereits deutlich, dass er die besseren Argumente eindeutig nicht auf der Seite des Klägers sah, er empfahl ihm, die Klage zurückzunehmen. Der allerdings kam dem Vorschlag nicht nach - weshalb die Klage wenig später abgewiesen wurde.

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