Medizin:Weg vom Stigma als "Sterbestation"

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Anna Bresele (links) und Michelle Ulrich in einem der Aufenthaltsräume der Palliativstation der Kreisklinik Ebersberg. (Foto: Kreisklinik Ebersberg)

Die Palliativstation an der Kreisklinik Ebersberg will Patienten helfen, die bestmögliche Lebensqualität zu erhalten.

Interview von Sybille Föll, Ebersberg

Laut einer Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin ist die Anzahl an Palliativstationen seit Beginn der Corona-Pandemie bundesweit rückläufig. Hauptgrund sei der Personalnotstand. Die Kreisklinik Ebersberg kann weiterhin eine Palliativstation anbieten. Warum das so wichtig ist, erläutern die Oberärztinnen Anna Bresele und Michelle Ulrich, beide Fachärztinnen für Palliativmedizin und Anästhesie.

Frau Bresele, seit ihrem Eintritt in das Team der Palliativstation 2008 hat sich die Bettenanzahl von sechs auf zehn erhöht. Ist der Bedarf gewachsen?

Anna Bresele: Ja, deutlich sogar. Immer mehr Patienten machen sich darüber Gedanken, wie sie beispielsweise im Fall einer unheilbaren Krankheit medizinisch versorgt werden möchten und verfassen eine Patientenverfügung. Meistens möchten sie nach langen, oft belastenden Therapien nur noch eine Verbesserung der Lebensqualität. Die Krankheitsbilder auf unserer Station haben sich in den letzten Jahren auch verändert. Waren es früher fast ausschließlich Patienten mit Krebserkrankungen, die zu uns kamen, sind es nun auch Menschen mit chronisch internistischen Erkrankungen wie Herzschwäche oder Lungenerkrankungen oder neurologischen Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Demenz.

Wie können Sie diesen Menschen helfen?

Michelle Ulrich: Ich möchte betonen, dass die Patienten nicht ausschließlich zum Sterben zu uns kommen. Viele brauchen in ihrer letzten Lebensphase Unterstützung, sowohl körperlich als auch psychisch. Die Palliativmedizin behandelt Symptome wie Schmerzen, Atemnot oder Ängste. Im Schnitt bleiben die Patienten zehn bis 14 Tage bei uns, bevor sie - je nach Situation - nach Hause zurückkehren oder in ein Pflegeheim oder in ein Hospiz gehen.

Bresele: Unser primäres Ziel ist, den Patienten ein Weiterleben mit bestmöglicher Lebensqualität zu ermöglichen - physisch, psychisch und spirituell. Die schulmedizinische, medikamentöse Therapie von Symptomen bildet die Grundlage unserer Behandlung. Wir versuchen aber auch, im Gespräch Patienten und Angehörige bei ihren Ängsten und Sorgen zu unterstützen und gemeinsam mit ihnen Lösungen zu finden. Wichtig für die Betroffenen ist auch das Erkennen eigener Grenzen, um professionelle Hilfe annehmen zu können.

Welche Hilfe erhalten die Patienten außerdem?

Bresele: Zum Beispiel Krankengymnastik. In unserem Team arbeiten auch Physio- und Ergotherapeuten, die eine palliative Ausbildung haben und sich intensiv mit den Patienten beschäftigen. Die Krankengymnastik spielt aber nicht nur für den Körper, sondern auch für die Psyche eine große Rolle. Jeder körperliche Fortschritt, etwa ein paar Meter auf dem Gang weiter laufen zu können, ist motivierend und gibt dem Patienten das Gefühl, die Kontrolle über sich selbst zu behalten und selbst etwas für sich tun zu können. Ein weiteres Beispiel ist die Atemtherapie. Hier lernen Patienten mit Atemnot durch spezielle Techniken, besser mit diesen Beschwerden sowie mit existenziellen Ängsten umzugehen.

Frau Ulrich, Sie verstärken das Team seit Januar 2021 und sind auch Fachärztin für Schmerztherapie. Wie kommt das den Patienten zugute?

Ulrich: Nun, da Schmerz ein sehr häufiges Symptom in der Palliativmedizin ist, ist meine Erfahrung aus der Schmerztherapie hilfreich. Es gibt unterschiedliche Formen von Schmerz und auch die Ursachen können unterschiedlich sein. Manche Formen des Schmerzes, etwa Trauer, können nicht allein durch eine medikamentöse Therapie gelindert werden. Wir versuchen zum Beispiel, die Patienten zusätzlich durch Ansätze aus der Komplementärmedizin, beispielsweise Aromatherapie, zu unterstützen.

Arbeitet die Palliativstation auch mit anderen Fachbereichen oder Einrichtungen zusammen?

Bresele: Ja, in der Kreisklinik Ebersberg kooperieren wir mit dem Brust-, Darm- und Prostatazentrum sowie der Strahlentherapie. Bei Bedarf werden Patienten aus diesen Abteilungen zu uns verlegt. Außerdem übernehmen wir Patienten von niedergelassenen Ärzten und Kliniken, auch im weiteren Umkreis, und für die Entlassung von Patienten pflegen wir Kontakte zu Hospizen, Pflegeeinrichtungen und Teams der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV).

Was wünschen Sie sich für die Palliativmedizin in der Zukunft?

Ulrich: Ich erlebe oft, dass Patienten sich aufgegeben oder abgeschoben fühlen, wenn sie zu uns kommen. Das liegt daran, dass sie nicht wissen, was Palliativmedizin leistet. Daher wünsche mir mehr Aufklärung der Bevölkerung, damit Palliativstationen ihr Stigma als "Sterbestation" verlieren.

Bresele: Ich bin froh, dass es die Palliativstation in Ebersberg gibt und hoffe, dass es so bleibt. Menschen, die am Ende ihres Lebens mit einer schweren Erkrankung kämpfen müssen, und deren Angehörige brauchen eine ganzheitliche, individuelle Betreuung, um diese schwere Zeit im Rahmen der Familie durchzustehen. Als Gesellschaft sollten wir ihnen diese Unterstützung ermöglichen.

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