Kommunalwahl in Ebersberg:Harte Schule

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Die Bürgermeisterkandidaten in der Kreisstadt stellen sich bei einer Podiumsdiskussion jungen Menschen. Die werfen den Politikern so einiges an den Kopf - besonders einer muss sich viel anhören. Dabei argumentieren die Jugendlichen stets rational. Vielleicht schon ein bisschen zu sehr

Von Dorian Baganz, Ebersberg

Eine rote Fahne geht in die Höhe im Alten Kino Ebersberg. Es ist ein etwas ungewöhnlicher Anblick in dieser, nun ja, doch eher bürgerlichen Umgebung. Denn der einzige sozialdemokratisch tickende Mensch, der an diesem Abend eine Rolle spielt, ist Uli Proske: seines Zeichens Bürgermeisterkandidat in der Kreisstadt. Und so gern Proske auch vor privaten Investoren warnt und bezahlbaren Wohnraum fordert: Der Nimbus eines sozialistischen Revolutionärs haftet dem Blauhemdträger so gar nicht an. Und so steht die rote Fahne am heutigen Tage mal ausnahmsweise nicht für Arbeitskampf und Kommunismus - sondern für: Redezeitbegrenzung. Ein Jugendlicher schwenkt die Flagge, wenn einer der Politiker lieber ausschweifend monologisiert, anstatt sich an die vorher verabredete Regel zu halten: "Schlau in 60 Sekunden." Die Veranstaltung soll schließlich nicht bis in die Puppen dauern!

Die Stadt hat am Montagabend zusammen mit dem Kreisjugendring unter dem Motto "Jugend diskutiert" in die Kulturstätte geladen. Die jungen Ebersberger sollen die Gelegenheit bekommen, den Anwärtern auf den Chefsessel im hiesigen Rathaus ihre Fragen zu stellen. Oder Kritik zu äußern. Und mit Tadel hält sich die Generation der Fridays for Future (FFF) nicht gerade zurück. Besonders Toni Ried von den Freien Wählern bekommt sein Fett weg, weil er von der Idee eines Windparks im Ebersberger Forst wenig bis gar nichts hält. "Das ist so schrecklich zu beobachten", schleudert ihm ein ziemlich lässig auftretender Junge entgegen, "ich empfinde das als ignorant!" Beim Thema Klimawandel sei Ried auf der gleichen Schiene unterwegs wie die AfD. Jetzt sollte man meinen, ein Mann mit dem Standing von Toni Ried - Stellvertreter des Landrates und Zweiter Bürgermeister - wäre in der Lage, auf solche Anwürfe angemessen zu reagieren. Stattdessen ruft er "Das verbitt' ich mir!" in den Saal. Als hätten die Schüler abends noch Bock auf Lehrer-Sprech. Zumal manch Elfjähriger rationaler argumentiert als der Profi-Politiker: " Einen Tod müssen wir sterben", sagt einer der jungen Zuhörer - denn wenn man das mit dem Klimawandel nicht in den Griff bekomme, sei schließlich eines Tages auch der Ebersberger Forst in seinem Bestand gefährdet. Was sind da ein paar Windräder in ansonsten unberührter Natur?

Winfried Pletzer hat einiges zu moderieren im "Alten Kino": Die Jugendlichen wollen sich mit hergebrachten Antworten einfach nicht abspeisen lassen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ungefähr 50 Jugendliche seien ins Alte Kino gekommen, schätzt Stadtjugendpfleger Christian Zeisel, der die Veranstaltung organisiert hat. Vorab habe es zwei Vorbereitungsrunden gegeben, bei denen die Teenager die Themen des Abends festlegen konnten. Diese arbeitet der enthusiastische Moderator Winfried Pletzer vom Bayerischen Jugendring eins nach dem anderen ab. Dabei verbietet er den anwesenden Kandidaten nur eine einzige Floskel: "Jugend ist unsere Zukunft!" Solche Plattitüden hat jemand wie Uli Proske auch überhaupt nicht nötig: "Ich bin seit über 30 Jahren bei der Feuerwehr in der Jugendausbildung tätig", sagt der 49-Jährige.

Ein bisschen ist Proske auf Krawall gebürstet an diesem Abend. Als die anderen Kandidaten laut über die Wichtigkeit neuer Radwege nachdenken, stellt er in nüchternem Tonfall fest, bis auf Josef Peis habe er "noch nicht so viele" von ihnen auf zwei Rädern durch die Gegend fahren sehen. Peis tritt im März für Pro Ebersberg an. So wie er da auf seinem Stuhl sitzt - mit überschlagenden Beinen und einem Notizblock in der Hand - wirkt er selbstsicherer als manch anderer in der Runde. Als es um die Verkehrspolitik in der Kreisstadt geht, wird die Kreuzung am Amtsgericht von den meisten Jugendlichen als besonders gefährlich eingeschätzt. "Wir fordern da seit langem einen Kreisverkehr", sagt der 46-jährige Peis. Doch auch er bemüht sich sichtlich, keinem hier nach dem Mund zu reden. Während Bernhard Spötzl (FDP) über autonom fahrende Busse schwadroniert, die dann auch "rund um die Uhr" unterwegs sein könnten, will Peis zunächst den "Bedarf messen."

(Foto: oh)

Es ist eine interessante Dialektik bei der Veranstaltung im Alten Kino zu beobachten: Während in Alexander Gressierer (CSU) ein 24-Jähriger unter den Kandidaten ist, der von "unserer Generation" spricht, wenn er die Jungen im Saal meint, gelingt es trotzdem den Älteren, ebenjene für sich zu gewinnen. Uli Proske zum Beispiel: Als Feuerwehr-Kommandant bekomme er seit Mitte der 90er-Jahre mit, dass Hochwasser- und Starkwindereignisse zunähmen. Klimaschutz aus Erfahrung quasi. Da kann Gressierer, der nüchtern von einer "guten Mischung" bei der Stromerzeugung spricht und die Wichtigkeit von Nahwärme betont, nicht mithalten. Beim Thema Erderwärmung bekommt Uli Proske besonders viel Applaus von den Jugendlichen: So macht er darauf aufmerksam, dass eigentlich 33 Windräder gebaut werden müssten, wenn man bis zum Jahr 2030 die Energiewende im Landkreis auf die Ketten kriegen wollte. "Der Ebersberger Forst wird in 30 Jahren sowieso nicht mehr der sein, der er jetzt ist. Das beschert uns der Klimawandel." Damit hat er nicht Unrecht: Große Teile des Waldgebietes bestehen aus Fichtenmonokulturen, die besonders schlecht mit Trockenheit umgehen können.

Und dann ist da noch das Thema Rechtsextremismus. Ein "riesiges Hakenkreuz" habe sie mal im Schnee vor dem Jugendzentrum (Juz) entdeckt, erzählt eine der Jugendlichen, manch einer sei auf dem Weg nach Hause auch schon von Nazis verfolgt worden. "Das ist ein akutes Problem!" Ein anderer bedauert, dass die NS-Zeit erst in der neunten oder zehnten Klasse auf dem Lehrplan stehe. "Wie kann man so tief sinken?", frage er sich trotzdem immer wieder, wenn er von nationalsozialistischen Symbolen höre, die irgendwo hingeschmiert wurden. "Sind Lehrer anwesend?", fragt Moderator Pletzer in den Saal - und keiner meldet sich. Gressierer inszeniert sich in dieser Stimmungslage als Mann der Mitte, "mia san nicht radikal!" In diese Richtung geht auch, was Josef Peis zu sagen hat: "Klare Kante gegen Rechts" sei sein Motto. Aber wie sensibilisiert man junge Menschen für das Thema? "Wir hatten damals immer Max Mannheimer bei uns in der Schule", berichtet einer, "aber der ist ja leider tot." Deswegen wünsche er sich, dass sich seine Schule auf die Suche nach neuen Zeitzeugen begebe. Und wieder zeigt sich: Die FFF-Generation ist rational, kreativ - fast schon ein bisschen zu vernünftig, denkt man hin und wieder. Wo versteckt sich das Kind in diesen so erwachsen auftretenden jungen Menschen? Ist ihre Art des Protests die Vernunft? Einer traut sich dann doch noch, was Riskantes zu sagen: Er wüsste, dass mehrere Pauker heute Abend hier seien, sagt er - und dreht sich von seinem Platz vorne im Stuhlkreis nach hinten um. "Schade, dass Sie nicht den Hintern in der Hose haben, hier etwas zu sagen." Fehlt nur noch der Mic Drop.

Das letzte Sujet des Abends: "Zukunftsstadt Ebersberg". Die meisten der Jugendlichen gingen in zehn Jahren oder so weg von hier, sagt Pletzer: zum Studieren oder für eine Lehre. Was planen die Politiker, damit diese jungen Menschen anschließend zurück nach Ebersberg kommen? Uli Proske leiert eine ellenlange Liste ab: Keine weiteren öffentlichen Flächen an private Investoren verkaufen, besserer ÖPNV, mehr Start Ups und Ausbildungsbetriebe "und ein bissl nachverdichten." Ja, der bezahlbare Wohnraum: Er wird von den meisten hier genannt. Der einzige, der sich in diesem Feld von den anderen Kandidaten unterscheidet, ist Josef Peis: "Man muss ein Heimatgefühl entwickeln", sagt er. Deswegen wolle Pro Ebersberg einen sogenannten "Bürgerpass" einführen, mit dem einkommensschwache Familien umsonst ins Hallenbad oder in Vereine kämen. Die rote Fahne schwenkt an diesem Abend trotzdem ein anderer.

© SZ vom 19.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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