Flucht aus der Ukraine:"Ich fühlte mich zunächst wie ein Kind"

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Lidiia Mitrova, kurz nach ihrer Ankunft in Kirchseeon im Sommer 2022. (Foto: privat)

Die 24-jährige Lidija Mitrova ist vor dem Krieg in der Ukraine geflohen und lebt nun bei einer Gastfamilie in Kirchseeon. Wie geht es ihr in dieser neuen Umgebung?

Von Hanna Hartmann, Kirchseeon

Ein T-Shirt, viel Essen und vier Liter Wasser. Mehr hatte Lidija Mitrova nicht dabei, als sie sich auf den Weg gemacht hat. Keine materiellen Erinnerungen. Nur ein paar Fotos, wie auch das Passfoto ihres Mannes, das sie immer in ihrem Geldbeutel trägt. Eigentlich sollte sie mit ihm jetzt auf Hochzeitsreise sein. Doch es ist anders gekommen. Ganz allein ist die 24-Jährige am 17. März aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. 58 Stunden war sie unterwegs. Als erstes musste sie 36 Kilometer zu Fuß laufen, weil in Kiew keine Bahn fuhr. Danach ist sie mit einem überfüllten Zug von Kiew nach Lwiw gefahren. Auch für die nächsten Züge musste sie lange anstehen. Sie fuhr nach Katowice, dann nach Wien und schließlich nach München. Von dort kam sie nach Kirchseeon.

"Als ich ankam, war es schwierig für mich. Ich weiß, ich bin 24 Jahre alt, aber ich fühlte mich zunächst wie ein Kind", erzählt Mitrova auf Englisch. Sie hatte immerhin Glück, dass ihr Onkel seit längerem in Deutschland und seit einigen Jahren auch in München lebt und sie für kurze Zeit aufnehmen konnte. "Sobald ich ihn sah, wusste ich, dass ich in Sicherheit bin", sagt sie. Die Flucht wurde ihr durch die vielen Freiwilligen, die ihr Essen und Trinken angeboten haben, um einiges erleichtert. Doch bedrückend war für sie der Anblick der vielen Frauen, die hilflos und verängstigt mit Kindern am Bahnhof und in den Zügen waren und nicht wussten, wohin sie gehen sollten. Der Gedanke an diese Mütter ging Lidija Mitrova lange nicht aus dem Kopf, wie sie erzählt.

Eigentlich sollte Lidija Mitrova mit ihrem Mann gerade auf Hochzeitsreise sein

Und dann ist ja auch die Sorge um die eigene Familie: Ihr Ehemann ist Soldat und ihre Mutter musste für die Großeltern sorgen und auf die Tiere und das Haus aufpassen. Lidija hofft, dass sie jetzt an einem sicheren Ort in Kiew ist. Einmal kam ihre Mutter aus der Ukraine, um zu sehen wie es ihr gehe. Dabei hatte diese jedes Mal Angst, wenn sie ein Geräusch am Himmel hörte. Auch wenn sie ihre Freundinnen und Freunde anruft, bekommt sie mit, dass sie immer wieder Panik bekommen, während sie ruhig bleibt.

"Mir fällt es schwer, dass ich nicht mit meiner Familie zusammen bin. Ich und mein Mann haben erst im September geheiratet und sollten jetzt auf Hochzeitsreise sein. Stattdessen sind wir nicht beisammen. Er ist nicht erreichbar und ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist", sagt Mitrova. Sie weiß, dass es auch vielen anderen Familien ähnlich geht. Von einem Tag auf den anderen müssen sie ohne Vater oder ohne Ehemann leben.

Die 24-Jährige unterrichtet am Gymnasium und an der Mittelschule

Ein Lichtblick in ihrem Leben ist, wie sie sagt, dass sie bereits ein paar Freundinnen und Freunde hier gefunden hat. Eine von ihnen kommt aus Vietnam, kann aber auch andere Sprachen, wie Deutsch und Ukrainisch. Mit ihr war sie auf einem Flohmarkt. Eine andere, mit der sie bereits bowlen war, hat sie auf ein Konzert der Red Hot Chili Peppers eingeladen. Es gibt viele, die Menschen wie sie fragen, ob sie Lust haben, etwas mit ihnen zu unternehmen. Deswegen war sie bereits in Regensburg, Straubing, in ein paar kleinen Städten, im Legoland, auf einer Alpakafarm und in München.

In der Ukraine hat sie Lehramt studiert. Hier in Deutschland arbeitet sie sowohl am Gymnasium, als auch an der Mittelschule als Lehrerin für Ukrainer und unterrichtet ukrainische Literatur, Sprache, Geschichte, Kunst und Kultur. Für sie ist es wichtig, dass das ukrainische Volk sich an sein Heimatland erinnert.

Der größte Unterschied zwischen Deutschland und der Ukraine? Die Mülltrennung

Lidija Mitrova hat sich dafür entschieden in Kirchseeon zu bleiben, da sie dort eine Arbeit hat und aktuell in einer deutschen Familie wohnt, jedoch hat sie vor, bis September eine neue Wohnung zu beziehen. Am Anfang kannte sie die Familie nicht, jetzt lebt sie schon seit drei Monaten mit ihr unter einem Dach. Dadurch dass sie bei einer deutschen Familie lebt, ist sie nicht darauf angewiesen die deutsche Sprache zum Beispiel fürs Einkaufen zu beherrschen. Aber auch wenn sie alleine einkaufen geht, ist es für sie sehr praktisch, dass sie Englisch sprechen und verstehen kann, zur Not reicht auch mal eine App zum Übersetzen aus. Außerdem wurde allen Ukrainern ein deutscher Sprachkurs angeboten, den sie dankbar besucht.

Laut Lidija Mitrova ist der größte Unterschied zwischen Deutschland und der Ukraine die Mülltrennung. "Es ist so schwierig. Ich wusste nicht, dass man Plastik von Papier trennen muss, wenn es in einer Verpackung ist", sagt sie.

Natürlich wünscht sie sich, dass der Krieg endet und dass sie wieder zurück in ihr Heimatland gehen kann. Außerdem hofft sie, dass die ukrainischen Schüler, die sie unterrichtet auch zurückkommen und mithelfen, das Land wieder stark und erfolgreich zu machen.

Autorin Hanna Hartmann, 15, besucht die neunte Klasse des Gymnasiums Kirchseeon. Sie hat den Text im Rahmen ihres Praktikums bei der SZ Ebersberg verfasst.

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