Kirchseeon:Hitler als Ehrenbürger?

Seit 1933 genoss Adolf Hitler in Kirchseeon Ehrenbürgerrechte. Nun soll sich der Gemeinderat mit der offiziellen Aberkennung beschäftigen - eine historisch interessierte Schulklasse hatte den Stein ins Rollen gebracht.

Christoph Giesen

Wenn der Abschlussprüfer für den Jahresabschluss und Lagebericht des Wasserwerks Kirchseeon bestellt ist, widmet sich der Gemeinderat am Montag, 28. März, der unrühmlichen Vergangenheit. Tagesordnungspunkt elf: "Aberkennung Ehrenbürgerrecht Adolf Hitler", heißt es in der Einladung. Im März 1933 hatte Kirchseeon wie viele andere Städte und Gemeinden Hitler zum Ehrenbürger ernannt, doch anscheinend wurde das nach dem Krieg vergessen.

Kirchseeon: Wusste gleich, was im Fall der heiklen Ehrenbürgerschaft zu tun war: Kirchseeons Bürgermeister Udo Ockel.

Wusste gleich, was im Fall der heiklen Ehrenbürgerschaft zu tun war: Kirchseeons Bürgermeister Udo Ockel.

(Foto: Christian Endt)

Die meisten Kirchseeoner hatten keine Ahnung, dass Hitler Ehrenbürger war. "Ich habe es auch nicht gewusst", sagt Kirchseeons Bürgermeister Udo Ockel (CSU). "Ich gehe davon aus, dass der Gemeinderat sich einstimmig distanzieren wird." Aberkennen müssen die Kirchseeoner Hitler den Ehrentitel formal nicht, weil er mit dem Tod offiziell erlischt.

Als eine der Wenigen im Ort wusste Dagmar Kramer seit Jahren Bescheid. Sie ist die Pflegerin des Kirchseeoner Heimatarchivs. 1988 verfasste sie die Ortschronik. "Damals habe ich noch nichts davon gewusst, sonst hätte ich darüber geschrieben", sagt Kramer. Erst 1991 stieß sie auf Hitlers Dankesschreiben. "Die Ernennungsurkunde existiert nicht mehr, aber Hitlers Brief trägt seine Originalunterschrift", sagt Kramer. "Der ehemalige Bürgermeister, Konrad Hollerieth hat mir Ende der 1980er erzählt, dass unter dem Dach der alten Schule viele Dokumente eingelagert seien." Sie stieg auf den Boden und fand rund 50 Leitzordner. "Viele der Akten waren schon verwittert."

Nachdem sie die Papiere getrocknet und geordnet hatte, fand sie den Brief. "Ich habe mich dann aber nicht mehr darum gekümmert, weil Hitler nie in Kirchseeon gelebt hat und auch nie einen Pfennig Steuern hier gezahlt hat", sagt sie.

Dass sich der Kirchseeoner Gemeinderat überhaupt mit dem Thema beschäftigen muss, ist dem historischen Interesse einer 9. Klasse des Kirchseeoner Gymnasiums zu verdanken. Die Schüler statteten mit ihrer Geschichtslehrerin im Januar Dagmar Kramer und ihrem Archiv einen Besuch ab. "Eigentlich wollte ich ihnen bloß zeigen, wie Archivarbeit funktioniert und wie man Bücher und Akten findet. Aber dann sind wir gemeinsam auf Hitlers Dankesschreiben gestoßen", erinnert sich Kramer. "Ich hatte den Brief eigentlich schon fast vergessen."

Nach einer Diskussion mit den Schülern ging sie dann zu Bürgermeister Udo Ockel. Und der wusste sofort, was zu tun ist.

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