Kunstwerke made in Ebersberg:Budgie und Tweety und der heilige Franziskus

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Viola Deimel aus Ebersberg malt Ikonen, ein zeitintensives Hobby. Pro Jahr schafft sie ungefährt sechs Abbildungen. (Foto: Christian Endt)

Viola Deimel hat sich der Ikonenmalerei verschrieben. Für diese traditionsreiche Kunst braucht die 75-Jährige extrem viel Geduld - und außergewöhnliche Zutaten.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Einmal hat Viola Deimel es einfach gemacht. Eine Ikone mit auf den ersten Blick erkennbar persönlichen Details angereichert, obwohl doch, wie die Ebersbergerin erklärt, "künstlerische Freiheit und die Betonung der unverwechselbaren Handschrift des Künstlers" in diesem speziellen Bereich der Malerei nicht von Bedeutung seien. Denn für Ikonen, die der Duden als "Kultbilder der orthodoxen Kirche mit der Darstellung heiliger Personen oder ihrer Geschichte" beschreibt, und die dank der teils üppigen Verwendung von Blattgold oft von überwältigender Strahlkraft sind, gebe es ganz klare Vorgaben für Motive, Farben und Gestaltung. "Jede Geste, jedes Detail hat eine bestimmte Bedeutung, bis hin zur Handhaltung oder Fußstellung," erläutert die bescheidene 75-Jährige mit dem ansteckenden Lächeln, als sie mit zunehmender Lebhaftigkeit von dem berichtet, was sie bereits seit 2002 mit großer Begeisterung ausübt. Besuche in zahlreichen Klöstern auf Zypern seien der Auslöser gewesen, sich ernsthaft mit Ikonenmalerei zu beschäftigen - einem Hobby, mit dem sie durch die eigene Schwester zwar bereits in Berührung gekommen war, für das sie sich aber bis dato persönlich nicht interessiert hatte.

Der heilige Nikolaus mit seinem leuchtend goldenen Hintergrund. (Foto: Christian Endt)

"Gemalt habe ich nie - stattdessen getöpfert und Makramees geknüpft", erinnert Viola Deimel sich auf die Nachfrage nach sonstigen künstlerischen Hobbys. "Und gestickt wie verrückt," ergänzt schmunzelnd ihr Mann. Vor allem während der gemeinsamen Zeit im Iran, wo der gebürtige Österreicher als Bauleiter für Industrieanlagen wie Stahl- oder Zementwerke arbeitete. Dieses Land und seine Bewohner haben einen starken Eindruck auf das Paar gemacht, das ist im Gespräch zu spüren. Der Grund dafür wird durch die Schilderung einer Episode ganz deutlich: "Es war der 24. Dezember auf einer Baustelle mitten im Iran, ein Arbeitstag wie jeder andere, und doch geschah am Abend ein kleines Wunder: Plötzlich erstrahlte mitten im Camp ein Weihnachtsbaum in vollem Kerzenschein, den das iranische Personal extra für uns errichtet hatte. Was für eine wunderbare Geste in einem Land mit einer anderen Glaubensausrichtung - das hat uns tief berührt!"

In einem Erinnerungsbuch sind alle bisherigen Werke dokumentiert

Doch nicht nur im Iran verbrachte das Ehepaar Teile seiner insgesamt 28 Auslandsjahre, nachdem es sich in Südafrika kennengelernt hatte, wohin Viola Deimel mit 25 Jahren emigriert war. Auch in Ungarn, Saudi-Arabien, Ägypten und Libyen, wo die beiden fast täglich tauchten, machten sie Station. Viele Erinnerungen daran befinden sich im Flur und im Treppenhaus ihres Ebersberger Heims: Schwarz-weiß-Zeichnungen von exotischen Tieren, Holzmasken südafrikanischer Künstler oder Gepäcktaschen aus dem Iran, wie sie dort die Esel tragen, um Brot zu transportieren. Doch bevor man mit der Fränkin, die schon als Kind mit den Eltern nach München kam, in den ersten Stock steigt, um ihre fast 50 unterschiedlich großen Ikonen zu bewundern, die dort dicht an dicht hängen, geht es zunächst in den Wintergarten. Dort, wo die gelernte technische Zeichnerin aufgrund des guten Lichts besonders gern arbeitet, zeigt sie stolz ein Buch mit Fotos und handschriftlichen Einträgen, in dem sie alle ihre Arbeiten seit den Anfängen dokumentiert hat. Auch jene, die sie inzwischen verkauft oder verschenkt hat, wie die Ikone des Heiligen Sebastian, Patron der Ebersberger Kirche, die der Diakon bekam.

Muss man eigentlich ausgesprochen fromm sein, um sich der Ikonenmalerei widmen zu können? Deimel schüttelt den Kopf. Allerdings sei sie auch evangelisch, die meisten anderen Teilnehmerinnen bei ihren regelmäßig besuchten Fortbildungskursen, meist ältere Damen, seien schon religiös. "Die kennen alle Festtage genau und gehen regelmäßig in den Gottesdienst." Dennoch kennt sich auch die Ebersbergerin in der Bibel aus und hat ihren Glauben, was allein schon durch das Gebet am Anfang ihres Erinnerungsbuchs deutlich wird.

Eigene Kreationen sind in der Ikonenmalerei nicht erlaubt - eigentlich

Anhand der dort enthaltenen Aufzeichnungen erläutert die Künstlerin auch das aufwändige Vorgehen "vom Dunkeln ins Helle" - für das man viel Geduld brauche. Grundlage der Ikonenmalerei ist eine Tafel aus Holz, meist Linde oder Tulpenbaum, Deimel bevorzugt das Format Din-A-4. Um den Rahmen nicht einfach auf die Tafel kleben zu müssen, hat Ehemann Horst Deimel extra eine Maschine angeschafft. Deswegen ist er es, der als erster Hand anlegt, indem er die Bretter ausfräst und schleift. Danach wird auf einen Leimgrund Leinenstoff aufgeklebt, damit es keine Sprünge im Bild gibt, sollte das Holz reißen. Nun folgt die Grundierung, bestehend aus acht bis zwölf Kreideschichten, sorgfältig mit dem Pinsel aufgetragen. Jede muss mindestens einen Tag trocknen. Nach dem Schleifen - "jeden Kratzer würde man später im Gold sehen" - wird das Motiv aufgezeichnet.

Eine Darstellung von Christi Geburt. (Foto: Christian Endt)

Die Vorlagen, die es entweder schon jahrhundertelang gibt oder ausschließlich in griechischen Klöstern hoch in den Bergen neu kreiert werden, findet Deimel in alten Büchern, orthodoxen Kalendern oder dem Internet. Eigene Kreationen und vor allem Änderungen an den Figuren sind nicht erlaubt. Auf den Einwurf, Ikonenmalerei sei aus diesem Grund nicht wirklich Kunst, entgegnet die Ebersbergerin, dass sich ja auch in der klassischen Musik die Stücke nicht veränderten - und doch niemand einem Dirigenten seine künstlerische Leistung abspreche.

Ist eine endgültige Auswahl getroffen, wird das Motiv erst auf Pergament vorgezeichnet, dann mit einer Nadel aus gutem Stahl und mit perfekt geschliffener Spitze auf das Brett durchgepaust. Das dann mit einem speziellen Klebstoff, der Anlegemilch, aufgebrachte Blattgold hat 24 Karat - nimmt man zwei Lagen, ist das Bild schöner und kompakter. Für einen Heiligenschein etwa werden zwei Blatt, für einen ganzen Hintergrund gleich zehn pro Lage gebraucht. Zwischendrin muss alles, klar, wieder trocknen. Am Ende kommt die Farbe hinzu, alles besteht aus natürlichen Pigmenten - das ist der Ikonenfachfrau sehr wichtig. Sogar Eigelb und Dunkelbier kämen zum Einsatz. Ganz zum Schluss wird das Gesicht gestaltet. Handelt es sich um eine Staurothek, ein besonderes Reliquienbehältnis, wird außerdem ein orthodoxes Kreuz aus Bronze eingelegt. Manchmal veredelt die Künstlerin ihr Werk im Nachgang noch, bessert nach oder arbeitet zusätzliche Vertiefungen ein.

Die Gottesmutter im leuchtenden Stern. (Foto: Christian Endt)

Neben Heiligen und Erzengeln finden sich unter Deimels Ikonen immer wieder die Muttergottes sowie biblische Szenen aller Art. Hier wird dann doch eine gewisse Freiheit in der Gestaltung deutlich, bei Details im Hintergrund wie den Häusern oder bei der äußeren Form: Sowohl rund als auch eckig ist erlaubt. Besonders stolz ist die Ebersbergerin auf ihre im Zweijahresrhythmus erscheinenden Kalender mit Fotos der etwa sechs Ikonen, die sie pro Jahr schafft.

Deimels Lieblingsbild zeigt einen Heiligen mit Rauschebart und Zottelhaaren. Es erinnert sie an ihren Ehemann

Gefragt, was sie mit Advent und Weihnachten verbinde, entgegnet die Künstlerin, sie nehme sich dann die Zeit, um innezuhalten und ein wenig über ihr Leben, die zurückliegenden Jahre und auch über die Zukunft nachzudenken. "Dabei betrachte ich meine Ikonen an der Wand und bin dankbar dafür, dass ich noch immer die Zeit und die Gesundheit habe, mich dieser Kunst widmen zu können. Weihnachten ist für mich das Fest der Dankbarkeit, der Freude und der Besinnlichkeit."

Am Ende des Besuchs zeigt Viola Deimel bei der Frage nach ihrem Lieblingsbild mit leisem Glucksen auf den heiligen Simeon, dessen Rauschebart und Zottelhaare an das Erscheinungsbild ihres Ehemanns in früheren Jahren erinnerten. Und gesteht schließlich mit verschmitztem Lächeln, dass es die Darstellung des Franziskus von Assisi ist, in die sie etwas ganz Persönliches "hineingeschmuggelt" hat - nämlich ein Abbild ihrer im Wohnzimmer frei herumfliegenden Piepmätze Budgie und Tweety.

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